Politik

Ob singen, Mathe oder Sport – an der Erzbischöflichen Theresia-Gerhardinger-Mädchenrealschule in München sind Mädchen unter sich. (Foto: BSZ)

09.02.2018

Beim Lernen unter sich sein

Die Zahl der reinen Mädchen- beziehungsweise Bubenschulen sinkt – schade eigentlich, denn die Lernerfolge dort sind größer

Schulen nur für Mädchen und für Buben – die Zahl der so genannten monoedukativen Schulen ist in Bayern gesunken. Dabei galten solche Schulen einmal als pädagogisch besonders sinnvoll, weil etwa Mädchen unter sich in naturwissenschaftlichen Fächern bessere Noten erzielen. Was also ist der Grund für die aktuelle Entwicklung? Im Schulhaus der Erzbischöflichen Theresia-Gerhardinger-Mädchenrealschule duftet es nach frischem Gebäck. An der Wand zum Direktorat hängen Bilder, von Schülerinnen im Kunstunterricht gemalt. Ein Rahmen zeigt vier moderne Bearbeitungen eines berühmten Klassikers von Caspar David Friedrich. Hier steht allerdings nicht ein Mann erhaben auf einem Fels. Es sind junge Frauen, die groß und aufrecht in die Welt hineinblicken.

Die Theresia-Gerhardinger-Mädchenrealschule in München gehört zu den wenigen Schulen, die monoedukativen Unterricht im Freistaat anbieten. Laut Kultusministerium ist die Zahl der monoedukativen Schulen in Bayern von 120 im Jahr 2011 auf aktuell 100 gesunken. Grund sei vor allem die demografische Entwicklung. Sind die Schülerzahlen rückläufig, müssen Schulen zusammengelegt werden, um Schulstandort und Bildungsangebot zu sichern. So wurde etwa in Osterhofen eine staatliche Jungenrealschule mit einer konfessionellen Mädchenrealschule zusammengeführt.

Mädchen lernen besser Mathe, Buben oft schneller lesen

Derzeit sind 63 Prozent der verbleibenden monoedukativen Schulen Realschulen, 21 Prozent Gymnasien und 12 Prozent Förderzentren; rund 80 Prozent haben einen kirchlichen Träger. Inzwischen besuchen nur noch 3,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Bayern eine Buben- oder Mädchenschule. Eine verschwindend kleine Zahl. Dabei ist es noch gar nicht so lange üblich, Buben und Mädchen gemeinsam zu unterrichten. Erst in den 1960-er Jahren wurde die koedukative Schule in der Breite eingeführt. Fachleute urteilten mehrheitlich, Mädchen wie Buben würden so erfolgreich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert. Andererseits halten einige Schulen bis heute an der Mono-edukation fest. Die Gründe sind meist pädagogischer Natur: Man hofft, dass Mädchen, die im Unterricht unter sich bleiben, in den Naturwissenschaften profitieren, Jungen dagegen beim Lesen.

Denn die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Lernerfolg sind in den Fächern Mathematik und Deutsch immer noch groß und spiegeln sich auch in der Schul- und Berufswahl wider. Dass Buben und Mädchen unterschiedliche Bedürfnisse haben, ist für Lehrer ganz offensichtlich.

Mechtild Barthel, Leiterin der Theresia-Gerhardinger-Mädchenrealschule sagt: „Jungen haben einen größeren Bewegungsdrang. Sie sind unruhiger und fallen mehr auf.“ An gemischtgeschlechtlichen Schulen herrsche eine andere Stimmung und Dynamik. Viele Lehrkräfte freuen sich über Mädchen – und wenden ihre Aufmerksamkeit den Jungen zu. Mädchen würden in gemischtgeschlechtlichen Schulen auch häufig als „Puffer“ eingesetzt, um unruhige Jungs auseinanderzuhalten. „Ich glaube, dass es Mädchen nützt, getrennt von Jungen unterrichtet zu werden“, sagt die Pädagogin. „Und auch die Jungen – momentan eher Bildungsverlierer – brauchen eine ihren spezifischen Begabungen und Bedürfnissen angepasste Pädagogik.“

Barthel führt die Geschlechterunterschiede durchaus nicht allein auf die Biologie zurück. Vielmehr seien es auch die Erwartungen von Eltern, Lehrkräften und Gesellschaft, die Jungen zu Jungen und Mädchen zu Mädchen machten. „In den naturwissenschaftlichen Fächern drängen Jungen die Mädchen zurück. Aber auch wir Lehrkräfte müssen genau hinsehen. Denn Lehrer und Lehrerinnen neigen dazu, in Mathematik häufiger Jungen aufzurufen – und zwar selbst dann, wenn die Jungen gar nicht besser sind als ihre Klassenkameradinnen.“ In der Theresia-Gerhardinger-Mädchenrealschule ist man darum stolz darauf, durchweg einen Schwerpunkt Mathematik und Physik anbieten zu können. Es steht auch Robotik auf dem Programm.

Von anderen Maßnahmen können Schülerinnen an gemischtgeschlechtlichen Schulen nur träumen: Die Schule hat Wärmeflaschen parat für Mädchen, die Menstruationsbeschwerden haben. Ein Unterrichtsprojekt zum Thema Fruchtbarkeit hilft den Mädchen, ihren Körper zu verstehen. Die Schule soll so „ein Schutzraum der Weiblichkeit sein, fachlich und psychologisch“, sagt Barthel. Ein stärkender Ort in einer Lebensphase, die von beunruhigenden Veränderungen geprägt ist: der Pubertät. Wer sich für die Mädchenrealschule entscheidet, wünscht sich für seine Tochter mehr Schutz, mehr Freiheit, eine behütendere Atmosphäre, als dies in gemischtgeschlechtlichen Häusern möglich ist – und zugleich im vollen Umfang Unterstützung für einen erfolgreichen, gleichberechtigen Bildungsweg. Insofern sind modern geführte Schulen wie diese durchaus kein Relikt aus alten Zeiten, sondern für manche Schülerinnen auch heute noch der passende Lernort.

„Mädchen und Buben entwickeln sich unterschiedlich und haben unterschiedliche Bedürfnisse“, erklärt auch das bayerische Kultusministerium. Ein Sprecher erklärt: „Monoedukativer Unterricht kann möglicherweise gesellschaftlichen Stereotypen entgegenwirken: Bei der frühzeitigen Vermittlung naturwissenschaftlicher Inhalte bei Mädchen beziehungsweise Leseförderung bei Buben kann einer stereotypen Rollenprägung vorgebeugt werden.“

Das Fazit des Ministeriums fällt dennoch gemischt aus: „Die Monoedukation kann Freiräume für eine Leistungssteigerung beider Geschlechter in allen Fächern eröffnen, kann jedoch die Auseinandersetzung mit dem anderen Geschlecht als Teil der Persönlichkeitsentwicklung verzögern.“ Bewusst stellt Barthel darum nicht auf gebundene Ganztagsschule um. Die Mädchen sollen ihre Freizeit sehr wohl mit Jungen verbringen – und tun dies auch, wie die Direktorin beim Blick aus dem Fenster des Schulgebäudes immer wieder amüsiert feststellt.

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband begrüßt die Vielfalt der Möglichkeiten. „Wir sind prinzipiell für Angebotsvielfalt“, betont Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes. Manchmal sei eine monoedukative Schule für Mädchen oder Jungs vielleicht genau das Richtige. Strebe eine Schule den Umwandlungsprozess von Mono- auf Koedukation an, sei „Changemanagement“ gefragt. „Eine Übergangsphase kann auch eine Chance sein. Schulen, die umstellen, müssen sich ein neues Profil geben. Und sensibel darauf achten, dass der Unterricht künftig für alle passt: für Mädchen genauso wie für Jungen“, sagt sie. Auch wenn Monoedukation nicht das „Topthema“ des Verbandes sei. Die großen Herausforderungen lauten derzeit: Integration, Inklusion, Digitalisierung, Ganztagsunterricht sowie individuelle Förderung. (Monika Goetsch)

Kommentare (1)

  1. Smiley am 09.02.2018
    Danke für diese Berichterstattung - das klingt nach einem guten Gespür dafür, was Mädchen gut tut und wie sie bestmöglich gefördert werden können.
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