Politik

Immer mehr Anträge kann man auch online stellen. Allerdings ist auch dabei noch sehr viel Eigeninitiative und Vorwissen nötig. (Foto: dpa/Jörg Halisch)

29.11.2024

Besser als Siri

Der Staat als Servicekraft: Bayerns Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) fordert eine viel aktivere Rolle der Verwaltung bei der Bearbeitung von Anträgen

Geburt, Hochzeit, Umzug in eine größere Wohnung: Was eigentlich schöne Ereignisse sind, ist in der Realität erst einmal mit viel Aufwand und Papierkram verbunden. Der bayerische Digitalminister Fabian Mehring (FW) wünscht sich ein komplettes Umdenken. Er will, dass der Staat den Menschen von sich aus hilft. Geht das?

Man stelle sich vor: Statt einfach auf fertige Anträge zu warten, gehen die Behörden – zumindest bei wichtigen Lebensereignissen – auf die Betroffenen zu, versorgen sie per KI mit auf sie zugeschnittenen Informationen und geben ihnen Tipps, was sie sonst noch brauchen könnten. Im besten Fall schicken der Staat oder die Kommune fertig ausgefüllte Anträge zu – man muss bloß noch unterschreiben. Digitale Assistenzsysteme schicken Erinnerungen, bevor ein Ausweis abläuft. Das alles läuft weitgehend automatisiert und digital ab. 

Push-Government nennt sich das Konzept, für das sich der Digitalminister Fabian Mehring eine staatliche Handy-App vorstellt, über die alle Behördendienstleistungen angeboten werden und die dann besser als ein digitaler Assistent wie Siri sein könnte. „Wir wollen einen modernen Staat mit einer innovativen Verwaltung erschaffen, die zeitgemäß mit den Menschen kommuniziert“, erklärt Mehring. 2025 soll es nach Angaben des Digitalministeriums mit der Umsetzung des Push-Governments losgehen.

Ein Vorbild ist Estland. Dort sind 99,9 Prozent aller staatlichen Dienstleistungen digital – und vieles läuft automatisiert ab. Schon das Neugeborene erhält, bevor die Eltern ihm einen Namen gegeben haben, eine digitale Kennung, die es sein Leben lang begleiten wird. Alle Behörden sind miteinander vernetzt, sodass zum Beispiel die neuen Eltern ohne irgendeinen Antrag automatisch Kindergeld erhalten.

Bayern soll aus Mehrings Sicht eine ähnliche digitale Vorreiterrolle in Deutschland übernehmen. Die neue Bundesregierung müsse unbedingt ein eigenes Digitalministerium schaffen – nach bayerischem Vorbild, in keinem anderen Bundesland gibt es das bisher. Der Freistaat ist auch bundesweit vorne dabei, was die Anzahl der digitalen Verwaltungsleistungen angeht, die flächendeckend verfügbar sind. 272 sind es, nur im Stadtstaat Hamburg sind es noch zehn mehr. Dazu gehört etwa die An- und Ummeldung von Fahrzeugen oder das Elterngeld. Einen Bauantrag kann man mittlerweile immerhin in 93 der 96 Landratsämtern beziehungsweise kreisfreien Städte digital einreichen.

Nur: Es gibt insgesamt weit über 1000 Dienstleistungen, die man bei Behörden erledigen kann beziehungsweise muss. Nicht alle lassen sich so leicht digitalisieren – eine Grundvoraussetzung für ein flächendeckendes Push-Government. Wer sich bei Behörden umhört, trifft auf grundsätzliche Zustimmung zu Mehrings Ansinnen – aber auch auf einige Skepsis.

Denn wie das bayerische Push-Government genau aussehen soll, das kann auch der bayerische Digitalminister nicht sagen. Sein Ministerium kann zwar Themen anstoßen, für die Umsetzung sind aber die Fachministerien zuständig.

Etwa das von Joachim Herrmann (CSU) geführte Innenministerium. Dort spricht man von einem „klaren politischen Willen“, in Richtung Push-Government zu gehen – aber eher als langfristigen Prozess. Es müssten dafür nämlich erst einmal Bundes- und Landesgesetze geändert werden, besonders zum Datenschutz. Denn anders als in Estland können hierzulande Behörden nicht einfach untereinander Daten teilen – sofern sie überhaupt genügend Daten haben. Denn jeder Vorgang muss erst einmal von den Nutzer*innen erlaubt werden. Hinzu kommt, dass fast jede Verwaltung ihre eigenen Datenverarbeitungssysteme und -regeln hat, die oft nicht mit anderen kompatibel sind. Eine Konsequenz der föderalen Strukturen. Beispiel Ausweise: Die Daten von Reisepass, Personalausweis und Führerschein finden sich in drei verschiedenen Registern. Das müsste man erst einmal alles zusammenführen.

Und natürlich müsste auch die Bevölkerung mitspielen. Denn anders als in Skandinavien und dem Baltikum gibt man in Deutschland nicht so gerne seine gesamten Daten gegenüber Behörden preis. Außerdem wollen nicht alle rein digital kommunizieren. Barrierefrei müsse so ein Push-Government sein, damit es auch wirklich allen zugutekommt, fordert daher auch das Innenministerium.

Auf Papier wollen viele nicht verzichten

Das Push Government könne Bayern auf eine neue Stufe der Digitalisierung heben, erklärt Kerstin Schreyer, digitalpolitische Sprecherin der CSU-Fraktion im Landtag. „Allerdings muss sie mit Augenmaß umgesetzt werden.“ Es brauche auch immer eine analoge Alternative.

Ähnlich sehen das die Kommunen, die am meisten von der Digitalisierung betroffen sind. „Papier muss es weiter geben“, fordert Achim Sing, Sprecher des Bayerischen Städtetags. Mehrings Pläne seien grundsätzlich positiv. Aber die Verwaltung sei nicht wie ein Digitalunternehmen, das einfach mit zentralen und digitalen Strukturen neugegründet wird.

Beim Bayerischen Gemeindetag sieht man auch die Grenzen des Push-Governments. Einfache Leistungen wie das Kindergeld, bei denen der Antrag eher Formsache ist, und Leistungen wie die Information, dass der Ausweis bald abläuft, könnten aus Sicht von Sprecher Florian Eckert gut gepusht werden. Auch dass man beim Antragseingang – möglicherweise KI-gestützt – weitere dazu passende Serviceleistungen vorgeschlagen bekommt, ist für Eckert gut vorstellbar. Bei vielen anderen Leistungen lägen dagegen oft die Daten gar nicht oder nicht digital vor.

Darauf verweist auch Benjamin Adjei, digitalpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag. Mehring mache den zweiten Schritt vor dem ersten. „Statt wolkige Begriffe wie Push-Government in den Raum zu werfen, sollte er erst mal die grundlegende Digitalisierung der Rathäuser angehen.“ Und wenn das erledigt sei, passiere das Push-Management von ganz allein, glaubt Adjei.

Immerhin hat sich im Frühjahr unter dem Hashtag #Digitales Bayern 5.0 ein großes Netzwerk zusammengefunden, in dem die kommunalen Spitzenverbände und die Staatsregierung vertreten sind. Ziel dieser Kommission ist die Erarbeitung von Vorschlägen für einheitliche Standards, sichere IT-Lösungen und kommunale Onlinedienste. Bis Ende des Jahres sollen die Vorschläge fertig sein. (Thorsten Stark)
 

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