Politik

Um den Mangel an Arzneimitteln zu beheben, hat der Freistaat jetzt die gesetzlichen Vorgaben gelockert. (Foto: dpa/Woitas)

26.05.2023

Bittere Arznei

Der Freistaat muss hier nicht zugelassene Antibiotikasäfte für Kinder importieren – wie sicher sind die eigentlich?

Seit Anfang Mai können Apotheken und Arzneimittelgroßhandelsbetriebe in Bayern antibiotikahaltige Säfte für Kinder aus dem Ausland importieren – selbst wenn diese Medikamente keine Zulassung in Deutschland haben. Das Bundesgesundheitsministerium hat vorübergehend die gesetzlichen Vorgaben gelockert. Grund ist ein drastischer Versorgungsmangel.

Flächendeckend fehlt es nach Angaben des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte an Antibiotika für Kinder. Mit der Konsequenz, dass laut Verband sogar Leben in Gefahr sind, weil zur Behandlung von Lungenentzündungen oder Streptokokkeninfektionen nicht genügend Medikamente aufzutreiben sind.

In Bayern sind die Regierungen von Oberbayern und Oberfranken für die Arzneimittelüberwachung zuständig. Dort wurden bereits die ersten Importe nach Bayern gemeldet. Laut Gesundheitsministerium kamen die Medikamente unter anderem aus Belgien, den Niederlanden und Polen. Eine Sprecherin versichert: „Es geht in der Importgestattung nicht darum, irgendwelche Arzneimittel zu importieren, deren Qualität zweifelhaft ist.“ Die Sprecherin verweist darauf, dass nur im Ausland rechtmäßig in Verkehr gebrachte Arzneimittel erlaubt sind. Eine extra Prüfung der bayerischen Behörden gibt es aber nicht.

Der Freistaat ist nicht das einzige Bundesland, das von der Lockerung Gebrauch macht. Auch die anderen Länder haben entsprechende Verordnungen erlassen. Laut dem bayerischen Gesundheitsministerium findet auch bereits eine Verteilung der importierten Medikamente über Ländergrenzen hinweg statt – je nach Bedarf. Die Lockerung gilt mindestens einen Monat lang. Sie endet, sobald das Bundesgesundheitsministerium formal ein Ende des Versorgungsmangels feststellt.

Aber woher kommt der Mangel, der nicht nur Kindermedizin betrifft? Die Lieferengpass-Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte listet gerade 482 verschiedene rezeptpflichtige Arzneien in Deutschland. Die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände geht von etwa 20 Millionen verordneten, aber nicht verfügbaren Arzneimittelpackungen pro Jahr aus.


Werden Antibiotika tatsächlich so oft benötigt?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Es gab nach dem Ende der Pandemie mehrere Krankheitswellen und eine entsprechend höhere Nachfrage nach Medikamenten, und zwar weltweit. Noch bedeutender ist allerdings die große Abhängigkeit von den Lieferketten: Rund zwei Drittel der Wirkstoffe in unseren Medikamenten kommen inzwischen aus China oder Indien. Vor 20 Jahren war es nur ein Drittel.

Daher machte sich die Null-Covid-Strategie Chinas im vergangenen Jahr so eklatant bemerkbar. Der Stillstand in den chinesischen Fabriken unterbrach auch die Lieferketten weltweit. Hinzu kamen die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, in der die Pharmafirmen auch Produktionsstätten betreiben.

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte macht das Abwandern der Produktion an der seit 1989 geltenden Festpreisbindung für Medikamente fest. Seitdem gilt: Gekauft wird da, wo es am billigsten sind.

Die Bundesregierung hat nun reagiert. Die Ampel will die Preisregeln für Kinderarzneimittel lockern und so die Pharmakonzerne wieder nach Europa locken. Bei Antibiotika sollen europäische Firmen stärker zum Zug kommen, indem die Krankenkassen in ihren Verträgen entsprechende Vorgaben machen. Dazu sieht der Gesetzentwurf ein Frühwarnsystem, mehr Vorräte und vereinfachte Austauschregeln für Medikamente vor.

Von Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) gibt es dafür sogar Lob. Er fordert aber weitere Maßnahmen: mehr Flexibilisierung in Notlagen, verbesserte Bedingungen für die Forschung und Entwicklung und eine langfristige Strategie, wie man unabhängiger von Monopolherstellern außerhalb der EU sein kann.

Für Ates Gürpinar, bayerischer Bundestagsabgeordneter der Linken, sind die meisten Pläne „Augenwischerei“. Aus seiner Sicht ist es kaum vorstellbar, dass die Pharmakonzerne alle mit ihrer Produktion nach Europa zurückkehren. Dafür seien die Lohnunterschiede zu groß. Die vorübergehende Lockerung des Arzneimittelgesetzes nennt Gürpinar „ein Zeichen von Totalversagen“ des Bundes. Statt gemeinsam mit den Ländern vorzugehen, sage man: „Jeder kümmert sich jetzt selber drum.“

Die Linke fordert, die gesetzlich schon bestehende Verpflichtung zur Versorgungssicherstellung zu konkretisieren und mit einem Bußgeld zu hinterlegen. Dazu will die Partei eine Abkehr von den umstrittenen Rabattverträgen. Mit diesen gewähren die Hersteller Preisnachlässe für Medikamente. Im Gegenzug sichern die Krankenkassen zu, dass ihre Versicherten im Normalfall nur dieses Präparat erhalten.

Was in der Diskussion untergeht: In der Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums werden auch explizit Ärzt*innen darauf hingewiesen, die Antibiotika „maßvoll einzusetzen“. Dieser Hinweis kommt nicht von ungefähr: Im Vor-Corona-Jahr 2019 wurden rund 339 Tonnen Antibiotika an Erkrankte in in Deutschland verschrieben, in der Tierhaltung waren es sogar rund 670 Tonnen.

Fachleute klagen schon seit Langem, dass Antibiotika zu sorglos eingesetzt werden, auch bei Kindern. Gleichzeitig hat die Industrie nur wenige neue Antibiotika auf den Markt gebracht. Das führt zu immer mehr Resistenzen. Die einstigen Wunderwaffen gegen Infektionskrankheiten werden so immer stumpfer – ob mit Zulassung in Deutschland oder ohne. (Thorsten Stark)
 

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