Unergründlich sind nicht nur die Wege des Herrn, sondern oft auch die der beruflichen Entwicklung. So auch in meinem Fall. Nach über einer Dekade im Journalismus arbeite ich seit mittlerweile vier Jahren als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache. Trotz eines Magisters in Germanistik habe ich mich dazu entschlossen, wieder an die Universität zu gehen. Und studier nun wieder an der Uni Regensburg, um das Hochschulzertifikat für Deutsch als Fremdsprache zu erwerben. Wie ist das, mit über 40 Jahren wieder die alte Matrikelnummer auf dem Studierendenausweis zu tragen? Ein Erfahrungsbericht.
Manche Dinge verlernt man nicht, oder? Schwimmen oder Radfahren etwa. Aber was ist mit Studieren? Kann man das verlernen? Gemeinhin heißt es, das Lernen falle einem im Alter schwerer – eine Erfahrung, die viele teilen, wenn sie sich nach 15 Jahren Urlaub auf der immergleichen Insel endlich zu einem Spanischkurs hinreißen lassen. Irgendwie purzelten die Wörter früher leichter ins Hirnkastl. Oder?
Siezen oder duzen?
Wie ergeht es einem also, wenn man nicht nur „Guten Tag, zwei Bier, bitte!“ in einer anderen Sprache lernen soll, sondern plötzlich wieder mit allerlei Fachbegriffen und wissenschaftlichen Methoden konfrontiert wird? Tatsächlich gar nicht mal so schlecht.
Die Neurowissenschaft hat herausgefunden, dass die menschliche Lernfähigkeit mit den Jahren gar nicht so drastisch abnimmt wie vermutet. Vielmehr liegt es meist nur an ein paar Startschwierigkeiten, bis das Gehirn wieder daran gewöhnt ist, neue Verknüpfungen zu bilden. Sobald man merkt, dass man intellektuell noch mithalten kann, macht man sich daran, die sozialen Fähigkeiten auszuloten.
Wie schwimmt es sich so im Pool mit Menschen, die halb so alt sind wie man selbst? Selbstverständlich fühlt man sich keinen Tag älter als 23, wenn man in Jeans, Hoodie und Chucks über den Campus schlurft. Man achtet schließlich darauf, sich optisch ins Gesamtbild einzufügen, und diese Uniform funktioniert auch 20 Jahre später noch. Trotzdem merkt man, dass sowohl das Personal in der Cafeteria als auch die Kommiliton*innen oft nicht so recht wissen, wie sie dieses Mischwesen aus alt und neu einordnen sollen. Dozentin? Zu leger. Studentin? Zu alt. Siezen oder duzen? Hilfe am Snackautomaten anbieten oder den Partyflyer in die Hand drücken? Die Gewissenskonflikte stehen den Leuten ins Gesicht geschrieben. Wenn man dann mit jemandem in Kontakt getreten ist, erzählt man erst mal die Geschichte über das WiesoWeshalb-Warum des erneuten Studiums, bevor man als Zebra in die Pferdeherde integriert wird.
Das Warum ist in diesem Fall übrigens schnell erklärt: Für den Beruf an sich reicht die vorhandene akademische Qualifikation, doch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fordert auch von graduierten Germanist*innen eine spezielle Weiterbildung, um Integrationskurse leiten zu dürfen. Eine berufliche Weiterbildung oder Umorientierung ist natürlich für einen großen Teil der rund 8300 Studierenden über 40 Jahre in Bayern der treibende Faktor.
Auch wenn man aus den Zahlen des Bayerischen Landesamts für Statistik keine persönliche Motivation herausorakeln kann, lässt allein die Wahl der Fächer Rückschlüsse zu: Gut 1000 der Ü40-Studis sind für BWL eingeschrieben – wenig überraschend, da es sich hierbei auch insgesamt um das größte Studienfach handelt. Wirtschaftliche Kenntnisse versprechen gute Aufstiegschancen, erleichtern den Wechsel von einer Fach- in eine Managementkarriere.
BWL boomt bei Best Agern
Nahezu ebenso groß ist ein komplementärer Bereich: Sozialpädagogik, Soziale Arbeit und Psychologie kommen zusammen auf fast ebenso viele Immatrikulierte in dieser Altersgruppe. Bemerkenswert: Theologische und philosophische Fächer haben ebenso wie künstlerische Fächer eine veritable Fan-Gruppe unter den Best Agern. Es scheint, als nähme mit den Jahren das Bedürfnis zu, sich mit den großen Fragen und schönen Dingen des Lebens zu beschäftigen. Oder man hat endlich die Kapazitäten dafür.
Organisatorisch und mental scheinen die älteren Studierenden im Vorteil zu sein – im Vergleich zu denen, die heute jung sind, aber auch im Vergleich zum jüngeren Ich. Während sich viele der Twens im Kleinklein von Perfektionsstreben und Zukunftsängsten verlieren und darüber Seminararbeiten aufschieben, hat einen das Berufsleben den nötigen Pragmatismus gelehrt, man setzt sich einfach hin und schreibt. Manchmal fühlt man sich etwas aus der Zeit gefallen, wenn man während der Vorlesung Bleistift und Block anstatt Laptop oder Tablet zückt. Doch solange das Ergebnis stimmt, ist der Weg dorthin egal. (Bianca Haslbeck)
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