Politik

Blutegel sitzen auf dem Arm einer Patientin. (Foto: dpa/Rolf Vennenbernd)

02.08.2019

Blutegel und Heilwickel

In Bayern ist die integrative Medizin auf dem Vormarsch – sie vereint Schulmedizin mit Naturheilkunde

Schröpfen, Blutegel oder Heilwickel – die integrative Medizin vereint die Naturheilkunde mit Schulmedizin und einer veränderten Lebensführung. Und sie kommt in Bayern in Schwung. In Bamberg gibt es seit diesem Jahr eine Klinik für integrative Medizin und Naturheilkunde. Eine Station mit derzeit 25 Betten, die um eine Tagesklinik mit Schwerpunkt für chronische und für onkologische Erkrankungen noch erweitert werden soll. Sie ist an einen Lehrstuhl für integrative Medizin in Essen angeschlossen.

Bayern könnte bald sogar einen eigenen Lehrstuhl für integrative und komplementäre Medizin bekommen. Womöglich an der Uni Augsburg. Ebenfalls geplant: ein Kompetenznetzwerk integrative Medizin. Ein entsprechender Antrag der CSU-Fraktion passierte im Frühsommer den Landtag – mit den Stimmen aller Fraktionen. „Mir ist es ein Anliegen, dass wir die Forschung verbessern“, fordert Klaus Holetschek, gesundheitspolitischer Sprecher der Landtags-CSU und Vorsitzender des Bayerischen Kneipp-Bunds. „Schließlich haben wir mit unseren Kurorten und Heilbädern hier ja einiges zu bieten.“ Das sehen die anderen Fraktionen ähnlich. Einzig, dass im Antrag der Begriff Komplementärmedizin auftaucht, stößt Dominik Spitzer, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP, etwas auf. Denn die umfasse auch die Homöopathie, die seiner Meinung nach nichts an einer Uni zu suchen hätte. „Dass an der Universität Naturheilverfahren mit angegliedert werden, da bin ich ja dafür“, sagt er.

Naturheilkunde und Homöopathie sind zwei unterschiedliche Verfahren. Zwar werden auch in der Homöopathie oft Pflanzenteile als Ausgangssubstanzen benutzt, doch diese werden meist so weit verdünnt, dass im homöopathischen Mittel oft kein Molekül der Pflanze mehr vorhanden ist. Bei der Naturheilkunde dagegen kommen pflanzliche Mittel ebenso zum Einsatz wie Wickel, medizinische Bäder, Akupunktur, Heilfasten, Qi Gong oder Blutegel-Therapie. Man müsse da schon sauber trennen, sagt auch Holetschek, Anhänger der klassischen Naturheilverfahren etwa von Pfarrer Kneipp. Gerade habe die CSU-Fraktion eine Studie zur integrativen Medizin angestoßen, sagt Holetschek, „die wir auch finanziell unterstützen“.

CSU wünscht sich einen eigenen Lehrstuhl

In der Bamberger Klinik zieht man dagegen schon alle Register. Jost Langhorst, Leiter der neuen Station erklärt: „Stationäre Versorgung und seriöse Forschung in der Naturheilkunde inspirieren sich gegenseitig. Wir bieten hier eine zukunftsweisende Form der Medizin, eine Medizin des 21. Jahrhunderts.“ Der Facharzt für innere Medizin und Gastroenterologie, Naturheilkunde und Psychotherapie bringt nach eigenen Worten 20 Jahre Erfahrung mit. Und hat gleichzeitig eine Stiftungsprofessur für integrative Medizin an der Universität Duisburg/Essen.

Die Kosten der stationären Therapie in Bamberg werden von allen Krankenkassen getragen. „Wir behandeln auf unserer Station vor allem Patienten mit chronischen Erkrankungen aus dem gesamten internistischen Bereich, die in der Regel einen langen Leidensweg hinter sich haben“, sagt Langhorst. Darunter viele mit Rheuma, Kollagenosen (chronisch entzündliche Schmerzerkrankungen des Bindegewebes), chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Fibromyalgiesyndrom (chronischem Schmerzsyndrom). Aber auch Patienten mit Bluthochdruck, Diabetes, Herzkreislauf- oder chronischen Lungenerkrankungen sind darunter. „Wir zielen auf eine stabile Symptomlinderung ab und begleiten den Patienten dabei, seine Ressourcen für den Erhalt der Gesundheit besser zu nutzen“, erklärt Langhorst. Die Patienten bekämen Hilfe zur Selbsthilfe.

Und es gibt bereits Erfolge, etwa bei Annegret Schüppler. Die 74-Jährige litt vier Jahre lang unter ständigen Nerven- und Muskelschmerzen. Da könne man nichts mehr machen, habe der Arzt irgendwann gesagt, erzählt sie. Aber nach zwei Wochen stationärem Aufenthalt in der Bamberger Klinik „ging ich runderneuert nach Hause und bin jetzt beschwerdefrei“, berichtet sie. Man müsse aber bereit sein, an seine Grenzen zu gehen, sagt die Coburgerin. Eine der größten Herausforderungen: die Ernährungsumstellung.

Denn zum Behandlungskonzept in Bamberg gehört auch eine Umstellung der Lebensführung und vor allem der Ernährungsgewohnheiten. „Ernährung ist für die meisten chronischen Erkrankungen von zentraler Bedeutung“, erklärt Langhorst, der eine „pflanzenbasierte mediterrane Vollwertkost“ für essenziell hält. „Auch mit dem Heilfasten erzielen wir bei verschiedenen Indikationen sehr gute Erfolge“, sagt er.

Das aber ist nicht immer einfach: „Kein Kaffee, keine Milch, kein Zucker, kein Salz, und hauptsächlich Pflanzen und Körner“ – das ist schon eine absolute Herausforderung“ gesteht Patientin Schüppler. Sie habe Leute erlebt, die nach zwei Tagen gesagt haben, das bringe nichts, und die Klinik verlassen haben. Schüppler dagegen hat es trotz ihrer Bedenken mit dem Heilfasten probiert. „Danach dachte ich, ich kann fliegen“, erklärt sie. Jetzt gelte es, die Erfahrungen aus der Klinik auch im Alltag umzusetzen. „Wenn im Winter wieder meine Füße schmerzen, weiß ich, mit welchen Wickeln ich mir helfen kann.“

Ähnliche Erfahrungen hat die 24-jährige Julia L. in Bamberg gemacht. Seit einem Jahr leidet die Erzieherin an Rheuma. Auf ihrem Behandlungsplan standen mitunter Bewegungsbäder, Schröpfen, Qui Gong und Blutegeltherapie. Eine Ordnungstherapie unter anderem für Stressbewältigung und Ernährungsfragen kam hinzu. Es wurde aber auch ein Rheumatologe hinzugezogen, der ihr ein leichteres Rheumamittel verschrieb. Nach 15 Tagen Klinikaufenthalt könne sie nun wieder Flaschen aufdrehen, in die Hocke gehen, Radfahren, und gut schlafen – „alles Dinge, die ich vorher nicht mehr konnte“, sagt die junge Frau. Dass sie nun, zurück im Alltag, in der Ambulanz weiterbegleitet wird, findet sie beruhigend.
(Lucia Glahn)

Kommentare (1)

  1. henrivo am 29.09.2019
    Durch Zufall kam ich heute auf diese Seite und bin begeistert! Nachdem in den USA die komplementäre bzw. integrative Medizin schon seit vielen Jahren einen festen Platz in der universitären Landschaft hat und eine große Zahl an Ärzten auch in unserem Land - insbesondere für evidenzbasierte Naturheilverfahren - offen ist, wird es höchste Zeit, dass auch bei uns qualifiziert gelehrt wird.
    Ich selbst bin Heilpraktikerin, Kneipp-Gesundheitstrainerin, Kneipp Fastenleiterin und Phytotherapeutin mit "soliden schulmedizinischen Wurzeln". Traditionell wirksame und möglichst evidenzbasierte Behandlungsverfahren sowie ein gutes, ergänzendes Miteinander mit der "Schulmedizin" sind mir wichtig! Es wäre mein Herzenswunsch, wenn auch für Menschen wie mich ein Zugang zu hochwertiger universitärer Fort- und Weiterbildung im Bereich komplementäre/ integrative Medizin z. B. an der Augsburger Universitätsklinik möglich wäre.
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