Nach dem klaren Nein des britischen Parlaments zum Brexit-Deal von Premierministerin Theresa May schaut Europa gespannt auf die Entwicklung in Großbritannien. "Ein geordneter Austritt bleibt in den nächsten Wochen unsere absolute Priorität", sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Mittwoch im Europaparlament. Allerdings sei die Gefahr eines "No Deal"-Brexits so groß wie nie. Außenminister Heiko Maas forderte die Briten dazu auf, ihre Position möglichst schnell zu klären. "Die Zeit der Spielchen ist jetzt vorbei", sagte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk.
Nach ihrer schweren Niederlage im britischen Unterhaus muss sich May am Mittwochabend einer Misstrauensabstimmung stellen. Es gilt als wahrscheinlich, dass sie die nötigen Stimmen bekommt und weitermachen kann. Am Dienstagabend hatte das Parlament das zwischen Brüssel und London ausgehandelte Brexit-Abkommen überraschend deutlich abgelehnt. Die Premierministerin kündigte an, sich mit allen Parteien zu treffen, falls das Parlament ihr das Vertrauen ausspreche. An diesem Montag wolle sie einen Plan B vorlegen, um einen chaotischen EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen doch noch zu verhindern.
Kanzlerin Angela Merkel will ihre Bemühungen um einen geordneten Austritt Großbritanniens aus der EU auch nach dem klaren Scheitern des Brexit-Abkommens im britischen Parlament fortsetzen. "Wir glauben, dass es jetzt an der britischen Seite ist - und die Premierministerin hat das ja auch angekündigt - uns zu sagen, wie es weitergeht", sagte die CDU-Politikerin am Mittwoch vor einer Sitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages in Berlin. "Wir haben noch Zeit, zu verhandeln." Man warte jetzt auf das, was die britische Premierministerin noch vorschlage. Dies habe Theresa May auch angekündigt.
Sie bedauere sehr, dass das britische Unterhaus dem Abkommen zum Austritt Großbritanniens eine Absage erteilt hat, sagte Merkel und versicherte: "Wir wollen den Schaden - es wird in jedem Fall einen Schaden geben durch den Austritt Großbritanniens - so klein wie möglich halten. Deshalb werden wir natürlich versuchen, eine geordnete Lösung weiter zu finden." Die Bundesregierung sei aber auch vorbereitet, dass es eine solche geordnete Lösung nicht gebe. Deshalb werde der Bundestag an diesem Donnerstag über die von der Bundesregierung vorgelegten Gesetze beraten, die dann gelten würden, wenn es kein Abkommen mit Großbritannien über den Austritt gibt.
Aiwanger: Brexit-Abstimmung hat auch unter dem Eindruck der zugespitzten Flüchtlingssituation in Zentraleuropa stattgefunden
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) plädiert für ein Verfahren mit möglichst wenig negativen Folgen für alle Beteiligten. Aiwanger: „Der Binnenmarkt muss weiterhin reibungslos funktionieren. Daher gilt es, das Verfahren sowohl auf britischer als auch auf Brüsseler Seite möglichst unschädlich zu gestalten. Wir unterstützen das Parlament in London gerne dabei, gute und vernünftige Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Am liebsten wäre mir, Großbritannien würde am Ende doch noch in der EU bleiben.“ Aiwanger verweist darauf, dass die Brexit-Abstimmung auch unter dem Eindruck der zugespitzten Flüchtlingssituation in Zentraleuropa stattgefunden habe.
Der europapolitische Sprecher der BayernSPD Landtagsfraktion, Markus Rinderspacher, hofft nach der gescheiterten Brexit-Abstimmung im britischen Parlament auf eine neue Perspektive für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. "Der Ausstieg aus dem Ausstieg ist möglich. Jetzt braucht es diplomatische Schritte, damit sich die Türe für einen Verbleib Großbritanniens in der EU wieder öffnet", fordert der 49-Jährige, "das liegt auch im bayerischen Interesse." Zumindest solle nun die Austrittsfrist nach Artikel 50 der EU-Verträge über den 29. März hinaus verlängert werden. Ein erneutes Referendum hält Rinderspacher für denkbar.
Bayerns Bauernpräsident Walter Heidl hat am Dienstag eindringlich vor den Folgen eines ungeregelten Brexits für die Landwirte gewarnt. "Ein ungeregelter Brexit würde im Chaos enden. Ohne Rechtssicherheit oder Übergangsfristen wären auch enorme Folgen für die bayerischen Bauern die Folge", sagte Heidl, der Präsident des Bayerischen und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes ist. Derzeit würden Agrarerzeugnisse - vor allem Milch und Fleisch - im Wert von 4,7 Milliarden Euro von Deutschland an Großbritannien geliefert. Wenn es tatsächlich zum Brexit komme, werde das zudem ein Loch von zehn bis zwölf Milliarden Euro pro Jahr in den EU-Haushalt reißen.
Der ifo-Präsident Clemens Fuest hat vor einem harten Brexit gewarnt und beide Seiten dazu aufgefordert, die Verhandlungen wieder aufzunehmen. „Ein harter Brexit mit seinen riesigen Kosten muss vermieden werden. Beide Seiten sollten nun zurückkehren an den Verhandlungstisch und das Abkommen so modifizieren, dass es für beide Seiten akzeptabel ist. Alles andere wäre ein nicht akzeptables Politikversagen.“ Der ifo-Forscher Gabriel Felbermayr hält die Ablehnung des Brexit-Deals durch das Unterhauses für verständlich. „Das Nein der britischen Abgeordneten zum Trennungsabkommen ist absolut nachvollziehbar, weil es das Vereinigte Königreich auf den Status einer Handelskolonie herabstufen würde. Es gewinnt keine handelspolitische Autonomie; zudem wird seine territoriale Integrität in Frage gestellt.“
Der CSU-Europapolitiker und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, sagte am Mittwoch im Europaparlament an die Adresse des britischen Parlaments im Brexit-Streit: "Bitte, bitte, bitte, sagt uns endlich, was ihr erreichen wollt." (BSZ/dpa)
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