Politik

14.01.2022

"Bußgelder bei Nichtimpfung sind nicht zielführend"

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger über Zoff in seiner Partei, die schwierige Frage einer Impfpflicht und 2G im Einzelhandel

BSZ: Herr Aiwanger, der Stadtverband Nürnberg ist aus dem Landesverband der Freien Wähler ausgetreten. Was ist da los?
Hubert Aiwanger: Da hat es schon seit längerer Zeit Spannungen gegeben. Es wurde die Aufnahme von neuen Mitgliedern verhindert, im Bundestagswahlkampf wurde für den CSU-Kandidaten plakatiert, nicht für den der Freien Wähler – da ist einiges zusammengekommen. Deshalb war schon ein Parteiausschlussverfahren in der Debatte. Der Austritt ist für uns die Chance für einen Neuanfang. Die Trauer hält sich in Grenzen.

BSZ: Sie sehen also keine Gefahr eines Flächenbrands?
Aiwanger: Nein. Ich erwarte eher eine Beruhigung an Orten, wo es immer wieder Ärger gegeben hat.

BSZ: Die Kritikpunkte der Nürnberger*innen stehen trotzdem im Raum. Dass die Freien Wähler nur eine Partei des ländlichen Raumes seien, zum Beispiel.
Aiwanger: Natürlich sind wir traditionell am Land stärker und haben die besseren Wahlergebnisse. In den Städten aufzuholen liegt aber auch an den dort Verantwortlichen. Das heißt: Mitglieder aufnehmen, Themen setzen.

„Die Impfpflicht in der Pflege wird zu Kündigungen führen“

BSZ: Als Landesvorsitzender können Sie das doch beeinflussen. Sie äußern sich halt sehr oft zu den Sorgen der Schweinehalter und eher selten zu denen von Kulturschaffenden und Mieter*innen in der Stadt.
Aiwanger: Das stimmt nicht. Ich kümmere mich sehr wohl um Stadtthemen und die Sorgen der Kulturschaffenden. Wir haben die Studiengebühren abgeschafft, ich habe in Nürnberg ein Wasserstoffzentrum gegründet und mich um Karstadt/Quelle gekümmert, ich mache Vorschläge zur Stärkung des innerstädtischen Einzelhandels, ich will Feste wie das Oktoberfest möglich machen. Natürlich sind die Freien Wähler von der Entstehung her eher eine Landpartei, aber wir denken ganzheitlich. Dazu gehört übrigens auch, dass es in der Großstadt genug zu essen gibt – und dazu braucht es den Schweinehalter am Land.

BSZ: Kritisiert wurde auch Ihre monatelange Impfskepsis. Hatten Sie sich da in etwas verrannt?
Aiwanger:Ich habe im Sommer lediglich gesagt, dass ich mir die Impfung überlege, wofür ich kritisiert wurde. Als ich mich dann impfen ließ, wurde ich wieder kritisiert. Bei diesem Thema wird man keine Position finden, die von allen gutgeheißen wird.

BSZ: Nun wurde Ihr Zögern aber auch als Anbiedern ans Querdenker-Milieu im Bundestagswahlkampf interpretiert. Ist das nicht nachvollziehbar?
Aiwanger: Nein, weil ich meinen Impfstatus nicht von mir aus kommuniziert habe, sondern im Sommer vor laufender Kamera zu einer Stellungnahme gefragt wurde. Ich habe meine Haltung klargelegt: Ich bin kein Impfgegner, sondern überlegte mir die Sache noch. Dieses Nachdenken haben manche ausgenutzt, um mich in eine Ecke zu stellen.

BSZ: Wie stehen Sie zur Impfpflicht?
Aiwanger: Das kommt darauf an, was man unter einer Impfpflicht genau versteht. Man muss ja jetzt schon geimpft sein, wenn man in ein Restaurant oder eine Kultureinrichtung will.

„Die 2G-Regel im Einzelhandel muss weg! Eventuell trägt die CSU das mit“

BSZ: Unter welchen Umständen würden Sie zustimmen?
Aiwanger: Eine Impfpflicht für Minderjährige lehne ich ab, und Bußgelder bei Nichtimpfung halte ich nicht für zielführend. Die berufsbezogene Corona-Impfpflicht im Pflegebereich wird zu vielen Kündigungen führen – es ist also alles nicht so einfach. Der Ball liegt jetzt beim Bund. Es müssen noch medizinische, juristische und gesellschaftliche Fragen geklärt werden. Vieles ist zudem abhängig von der weiteren Entwicklung bei Corona und den Impfstoffen. Am Ende ist die Impfpflicht eine Gewissensentscheidung.

BSZ: Unabhängig davon: Wie geht es weiter mit 2G im Handel?
Aiwanger: Diese Einschränkung gehört aus meiner Sicht weg. 80 Prozent des Sortiments im Handel sind schon jetzt als täglicher Bedarf eingestuft, da gibt es keine Zugangsbeschränkungen. Das wird sich noch ausweiten. Denn je länger die Einschränkungen für Ungeimpfte dauern, desto mehr Waren werden täglicher Bedarf. Wenn die Waschmaschine kaputt geht, kann ich die Leute doch nicht wochenlang aussperren oder nur noch auf den Online-Handel verweisen, wenn sie Ersatz kaufen müssen. Deshalb bin ich dafür, den Handel komplett freizugeben. Mit FFP2-Maske und Abstand ist das Infektionsgeschehen im Griff zu halten. Es wird höchste Zeit, dass das auch auf Bundesebene so gesehen wird, und die CSU würde es eventuell mittragen.

BSZ: Gutes Stichwort: In der Koalition scheint es gerade recht harmonisch zu laufen. Liegt das an Ihnen oder an Markus Söder?
Aiwanger: Ich glaube, eher an der CSU und Markus Söder. Die formulieren aktuell etwas moderater als zuletzt. Ich finde es zum Beispiel gut, dass wir in Bayern aktuell keine Verschärfungen für die Gastronomie beschlossen haben, wie es der Bund mit 2G plus vorhat. Früher waren Söder und die CSU gerne schärfer als der Bund, das hat es für uns Freie Wähler oft schwer gemacht. Ich hoffe, dass es bei diesem etwas pragmatischeren Kurs bleibt.

BSZ: Ist das vielleicht nur die Ruhe vor dem Sturm? Könnte ja sein, dass die CSU Sie auf der Zielgeraden vor der Landtagswahl noch von der Laufbahn rempelt, wie 2013 die FDP.
Aiwanger: Das fürchte ich nicht, denn dann stünden sie ja alleine da. Von mir fordern viele Wähler, dass ich härter mit der CSU umgehen soll. Wir müssen aber zum Wohl unseres Landes arbeiten und sinnvolle Themen gemeinsam umsetzen, nicht streiten. Wirtschaft in Gang halten, Energiewende, gute Bildungspolitik, Pflege stärken – das geht nur gemeinsam.

BSZ: Söder scheint es aber explizit auf Ihre Wählerklientel abgesehen zu haben. Er nennt als Kernthemen für den Landtagswahlkampf gleich ganz vorne die Landwirtschaft und den ländlichen Raum. Ist da nicht Ärger vorprogrammiert?
Aiwanger: Das freut mich, wenn wir diese wichtigen Themen wie die Zukunft unserer heimischen Lebensmittelversorgung gemeinsam noch ernster nehmen – auch wenn mir dann einige wieder vorwerfen, dass ich mich zu sehr um die Bauern kümmere …

BSZ: Nach einer aktuellen Umfrage hat Schwarz-Orange in Bayern keine eigene Mehrheit. Beunruhigt Sie das?
Aiwanger: Eineinhalb Jahre vor der Wahl ist das nicht einmal Kaffeesatzleserei. Außerdem war es in der Vergangenheit immer so, dass wir als Freie Wähler bessere Wahlergebnisse hatten, als uns die Umfragen vorausgesagt haben. Zuletzt bei der Bundestagswahl wurden uns in Bayern 5 Prozent prognostiziert, am Ende waren es 7,5. Obwohl viele gesagt haben, ich würde euch gerne wählen, aber ihr kommt eh nicht rein. Wenn wir jetzt angeblich bei 8 Prozent für eine Landtagswahl liegen, dann ist das um mehrere Prozent unterschätzt. Wir würden am Wahltag sicher zweistellig sein. Und wenn die CSU zwischen 33 und 35 Prozent holt, wird das gemeinsam wieder reichen.

BSZ: Wären Sie im Zweifel auch für andere Regierungskonstellationen offen?
Aiwanger: Diese Frage müssen Sie eher der CSU stellen, die in der Vergangenheit öfter mit den Grünen geflirtet hat. Da scheint aber eine gewisse Ernüchterung eingetreten zu sein. Die CSU sieht wohl auch, dass eine bürgerliche Regierung für Bayern mit den Freien Wählern besser ist.
(Interview: Jürgen Umlauft)

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