Politik

Eine Baseballkappe wird längst nicht mehr nur beim Sport getragen. Bei einem Lehrer wurde die Kappe jetzt allerdings gerügt. (Foto: dpa/Hoppe)

12.04.2024

Casus Cappus

Warum die Baseballkappe in Gauting nicht der schlimmste modische Fehltritt eines Lehrers ist

Das eigentlich Außergewöhnliche am Fall Marcus Burkert, dem käppitragenden Grundschullehrer aus Gauting, ist ja, dass die Outfit-Kritik einen Mann trifft. Der Fall des Lehrers hatte medial Aufmerksamkeit erregt, weil er sich weigerte, seine Basecap im Unterricht abzunehmen.

Typischerweise geben Männer in unserer Gesellschaft selten Anlass zur Kritik, es sei denn, sie tragen Socken in Sandalen. Meistens sind es die Frauen und Mädchen, deren Rock zu kurz, deren Ausschnitt zu tief, deren Bluse zu durchsichtig oder deren Stöckel zu hoch sind. Selten trifft es Männer und Buben, die durchaus auch in (zu?) kurzen Hosen unterwegs sein können, deren Sneaker oftmals eher das Format eines Ziegelsteins haben, die mit Muskelshirts viel von ihrem Oberkörper preisgeben oder die in ihrem Erscheinungsbild Insignien kalifornischer Straßenkampfgangs zur Schau stellen.

Während die Makel mit dem größten Meckerpotenzial meist auf moralische Bedenken zurückzuführen sind, ist im Casus Baseballkappe bislang kein handfester Grund auszumachen. Das Schulamt kritisierte die Kappe als „nicht angemessenes Kleidungsstück“, die Rektorin von Burkerts Schule hat ihn bereits zuvor darauf aufmerksam gemacht, dass sie hygienische Bedenken wegen der Kappe habe. Weiteres war bislang nicht zu vernehmen, außer, dass ihm von anderer Seite wie Eltern und Kollegium bislang große Unterstützung entgegengebracht wird. Nicht einmal eine Kleiderordnung an besagter Schule war zu finden.

Worin genau nun also die Unangemessenheit der Kappe begründet sei, ist weiterhin unklar. Ebenso, warum es von allen Erscheinungen, die an Schulen so gesichtet wurden und werden, ausgerechnet einen Baseballkappenträger trifft. Gab es da nicht schon Wilderes? Durch ihre tägliche Präsenz in exponierter Position vor wechselndem Publikum sind Lehrkräfte ja dafür prädestiniert, Opfer von mehr oder minder qualifizierter Outfit-Kritik zu werden. Und da ist eine sportliche Kappe bei Weitem nicht das Erwähnenswerteste, weder aus ästhetischen noch aus hygienischen Gründen.

Flachmann in prähistorischer Cordhose

Unter den modischen Phänomenen des pädagogischen Personals gibt es ja so einige Archetypen, die sich durch die Jahrzehnte und die Schularten ziehen wie der Muff von Turnhallen oder bekritzelte Toilettenwände. Da gibt es zum Beispiel den Sport- und Chemielehrer, der zwischen Stadion und dem naturwissenschaftlichen Unterrichtssaal keinen geeigneten Unterschlupf gefunden hat, um seine Nylon-Jogginghose gegen eine Jeans zu tauschen. Oder die Religionslehrerin, die in ihren Walle-Gewändern ohne weitere Modifikationen eine Gesangs- und Meditationsgruppe in Taizé leiten könnte. Nicht nur einmal wurde auch der Deutsch- und Englischlehrer gesichtet, der seit 1988 in den großzügigen Hosentaschen seiner prähistorischen Cordhose seinem Flachmann eine stabile Heimat gibt. Oder die Referendarin, die auf ihrem Lebensweg von der Schule an die Universität zurück an die Schule bislang keine Notwendigkeit sah, ihre Glitzer-Tops gegen seriösere Ausführungen von Oberbekleidung einzutauschen.

Insofern scheint es ungerechtfertigt, ausgerechnet einer Baseballkappe dieses Maß an Aufmerksamkeit zu schenken. Unter den Auswüchsen pädagogischer Kleidungsfehltritte gibt es doch weitaus mehr Potenzial. Die Kappe an sich sollte ihren Schrecken, sofern sie jemals solchen besessen hat, doch schon längst verloren haben. Schließlich sieht man sie nicht nur an amerikanischen Schlagball-Trainern oder Gangsta-Rappern, sondern auch an Kindergartenmädchen, oberbayerischen Opas am Rasenmäher und Parkwächtern vor Volksfesten.

Vielleicht liegt die Abneigung der Schulautoritäten gegen die Kappe ja aber auch wo ganz anders begründet. Vielleicht ist sie Ausdruck der mitteleuropäischen Neurose Kopfbedeckungen im Allgemeinen gegenüber, die zumindest dann zutage tritt, wenn sie in Innenräumen getragen werden. Der ordentliche bayerische Mann nimmt schließlich seinen Hut ab, wenn er in eine Kirche geht, wohingegen man in anderen Regionen dieses Planeten das Haupt bedeckt, wenn man religiöse Stätten betritt.

In greifbarer Nähe steht auch die Diskussion um das Kopftuch muslimischer Lehrerinnen. Offenbar ist es in unserem Kulturkreis von entscheidender Bedeutung, die Haartracht der Mitbürger*innen regelmäßig unter die Lupe nehmen zu können.

Sollte es den zuständigen Stellen immer noch Unbehagen bereiten, einen Grundschullehrer mit Baseballkappe zu beschäftigen, tröstet sie vielleicht die Tatsache, dass sogar das US-amerikanische Militär seinen Soldat*innen erlaubt, eben diese Kappen als Teil ihrer Uniform zu tragen. Während natürlich niemand die Verantwortung von Grundschullehrern bestreiten möchte, kann sich der betreffende Lehrer immerhin darauf berufen, dass auch Flugzeugträger von käppitragenden Soldat*innen gesteuert werden dürfen – eine Aufgabe, die der eines bayerischen Grundschullehrers zumindest ein bisschen nahekommen dürfte. (Bianca Haslbeck)
 

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