Politik

04.09.2020

Übers Ziel hinausgeschossen: Gerichte kippen Corona-Maßnahmen

Ein Kommentar von Angelika Kahl

Die Niederlage kam mit Ansage: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat das nächtliche Alkoholkonsumverbot der Stadt München gekippt. Das Verbot auf das ganze Stadtgebiet auszuweiten statt auf Hotspots zu begrenzen sei unverhältnismäßig, entschied das Gericht. Und: Fleisch, Wurst und Gemüse dürfen auf öffentlichen Plätzen wieder auf den Rost – in ganz Bayern. Denn das von der Staatsregierung erlassene Grillverbot in der Öffentlichkeit hat der Verwaltungsgerichtshof diese Woche ebenfalls kassiert. Auch hier lautet die Begründung: unverhältnismäßig.

Es ist nicht das erste Mal, dass Gerichte Behörden korrigieren müssen, die mit Corona-Maßnahmen über das Ziel hinausschießen. Gekippt wurden in Bayern unter anderem schon die absurden Sperrstunden für die Gastronomie, die 800-Quadratmeter-Regel für den Einzelhandel und das Wellness-Verbot für Hotels. Positiv dabei: Es zeigt, dass die Gewaltenteilung funktioniert. Ärgerlich, weil völlig unnötig, ist aber, dass überzogene Maßnahmen wie ein stadtweites Alkoholverbot das Vertrauen in die Urteilsfähigkeit der Entscheidungsträger erschüttern – und damit Verschwörungstheoretikern und Extremisten in die Hände spielen.

Statt nur auf Zwang sollte die Politik
wieder stärker auf die Eigenverantwortung setzen

Dass am Beginn der Pandemie angesichts vieler unbeantworteter Fragen über das Virus die Politik maximal vorsichtig agierte, ist verständlich. Und so bestätigten Gerichte gerade anfangs viele Entscheidungen und Verbote. Doch zu Recht mahnen sie mittlerweile mit Blick auf die aktuelle Corona-Lage immer häufiger eine stärkere Betrachtung des Einzelfalls an. Ein nächtliches Alkoholverbot am stark frequentierten Münchner Gärtnerplatz dürfte auch vor Gericht Bestand haben – so wie das Stehbierverbot an den Wochenenden im Bamberger Kneipenviertel, das der Verwaltungsgerichtshof bestätigte.

Freilich ist auch dann fraglich, ob Alkoholverbote zur Bekämpfung der Pandemie überhaupt sinnvoll sind. Die Jugend wird sich das Feiern kaum verbieten lassen und auf andere Räume ausweichen. Statt nur auf Zwang sollte die Politik wieder stärker auf die Eigenverantwortung der Bürger*innen setzen. Und auf Aufklärung. Dazu gehört auch, Maßnahmen der aktuellen Corona-Lage anzupassen und sie plausibel zu erklären.

Kommentare (4)

  1. Sonia am 06.09.2020
    Meines Erachtens ist auch die Maskenpflicht derzeit unverhältnismäßig. Es wird auf der Verpackung von
    Masken hingewiesen, dass es keinen Virenschutz gibt. Laut RKI Wochenbericht, kann jedermann nachlesen , wurde in der 16. Woche die letzte Sars-Cov 2 Erkrankung gemeldet. Das war noch vor der Einführung der Maskenpflicht! Es gibt in ganz Deutschland insgesamt 235 covid 19 Kranke, die auf der Intensivstation liegen und die haben Vorerkrankungen. Also ist das Symbolpolitik! Politiker räumen inzwischen ein, dass sie Fehler gemacht haben! Mit Wissen von jetzt hätte es keine Schließungen von Frisörläden und der Gastronomie gegeben. Darum appelliere ich an die Vernunft der Politiker die Maskenpflicht aufzuheben!
    Es sollte doch in der Eigenverantwortung der Bürger bleiben. Wer sich mit der Maske sicherer fühlt ,kann sie tragen.
    Mit 1,50 Abstand und Plexiglasscheibe im Supermarkt hat man eine gute Lösung gefunden
    Die Bewältigung der Covidkrise gelingt mit Augenmaß aber nicht mit einer Maskierung der Gesellschaft!
    ZitaT aus dem Gewerbeverband Schweiz.
  2. Schlawiner am 05.09.2020
    Es ist regelrecht skandalös, wiederkehrend Gesetze, Verordnungen und Allgemeinverfügungen zu erlassen, denen von Anfang an der Ruch der Unverhältnismäßigkeit oder sogar Verfassungswidrigkeit anhaftet. Leider war das schon vor Corona immer häufiger festzustellen. Von den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen muss ordentliches Juristenhandwerk erwartet werden dürfen. Gut, die Justiz funktioniert zumeist recht gut und bügelt die teils schweren Fehler aus (Klage vorausgesetzt), aber z. T. erst lange Zeit später. Das geht so nicht!
  3. Schlawiner am 05.09.2020
    Es ist regelrecht skandalös, wiederkehrend Gesetze, Verordnungen und Allgemeinverfügungen zu erlassen, denen von Anfang an der Ruch der Unverhältnismäßigkeit oder sogar Verfassungswidrigkeit anhaftet. Leider war das schon vor Corona immer häufiger festzustellen. Von den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen muss ordentliches Juristenhandwerk erwartet werden dürfen. Gut, die Justiz funktioniert zumeist recht gut und bügelt die teils schweren Fehler aus (Klage vorausgesetzt), aber z. T. erst lange Zeit später. Das geht so nicht!
  4. Ludwig u. Jana Degenhart am 05.09.2020
    Die Niederlagen der Behörden vor Gericht sind nicht nur unnötig. Nach unserer Auffassung weisen sie auch auf ein fragwürdiges Demokratieverständnis in der Politik hin, weil Verantwortung auf die Judikative abgeschoben wird. Was spricht denn dagegen, wenn unsere politische Machtelite vor wichtigen politischen Festlegungen zunächst den Rat ihrer eigenen Verfassungsjuristen berücksichtigt?
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