Politik

Viele Menschen trinken im Homeoffice. Manche versuchen sich auch mit Kokain oder Amphetaminen zu pushen. (Foto: dpa/Alexander Heinl)

18.02.2022

"Corona verstärkt den Drang nach Drogen"

Condrobs-Suchtberater Stefan Wenger über die Legalisierung von Cannabis, Präventionsmaßnahmen für Jugendliche und die Auswirkungen der Lockdowns

Durch das Homeoffice ist für viele Menschen die Tagesstruktur weggebrochen. Dadurch steigt die Verlockung, auf Alkohol oder illegale Substanzen zurückzugreifen, sagt Stefan Wenger von Condrobs. Den Trend sieht der Suchthelfer nicht nur an Hochschulen, sondern auch bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

BSZ: Herr Wenger, was halten Sie vom Plan der Ampel-Parteien, Cannabis in Deutschland zu legalisieren?
Stefan Wenger: Wir sprechen uns klar für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis für Erwachsene aus. Dadurch wäre erstens endlich eine Qualitäts- und Wirkstoffgehaltskontrolle möglich. Manche Cannabisprodukte sind extrem mit synthetischen Cannabinoiden oder anderen problematischen Beimengungen verunreinigt, die zu massiven gesundheitlichen Problemen führen können. Zweitens würden dadurch Konsument*innen nicht mehr kriminalisiert. Das würde Polizei und Justiz entlasten und die Berufs- und Entwicklungschancen junger Menschen, die Hauptkonsumentengruppe von Cannabis, nicht unnötig einschränken. 

BSZ: Sollten neben Cannabis auch harte Drogen wie Kokain legalisiert werden, wie es der jetzige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) 2020 gefordert hat?
Wenger: Das geht uns deutlich zu weit. Was wir aber brauchen, ist ein Richtungswechsel: weg vom Schwerpunkt der Strafverfolgung hin zu mehr Unterstützung und Hilfe. Noch mal: Entkriminalisiert werden sollen nur die Endkonsument*innen, nicht die Dealer oder Hintermänner. Wenn sie strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden, hätten sie wohl mehr Vertrauen, Hilfsangebote anzunehmen. Wenn diese Hürde wegfiele, könnten Suchtkarrieren verkürzt und Todesfälle verhindert werden.

BSZ: Sie werden gerufen, wenn Jugendliche mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus aufwachen. Wie oft passiert das und warum?
Wenger: Insgesamt gehen die Zahlen in den letzten Jahren kontinuierlich zurück. Allerdings sind sie nach wie vor auf einem hohen Niveau. Bei den meisten ist es ein Ausrutscher, die haben in ihrer Clique zu viel getrunken. Sie sind am nächsten Morgen selbst geschockt und die ganze Situation ist ihnen unglaublich peinlich. In solchen Fällen reichen in der Regel Informationen, wie Alkohol wirkt, und Hilfestellungen, wie sie sich beim nächsten Mal anders verhalten. Bei Jugendlichen, die öfter in der Klinik landen, braucht es andere Maßnahmen, beispielsweise die Vermittlung in weiterführende Hilfen. 

BSZ: Der neue Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) will Bier und Wein erst ab 18 Jahren erlauben. Eine gute Idee?
Wenger: Wählen soll bald ab 16 erlaubt werden, Autofahren ist es bereits ab 17, aber trinken sollen Jugendliche erst ab 18 Jahren dürfen? Das passt nicht zusammen. Sich mit Drogen zu befassen ist Teil der Entwicklung hin zum Erwachsenenleben. Nicht unbedingt mit illegalen, aber mit gesellschaftlich etablierten wie Alkohol. Wenn junge Menschen bis zum 18. Geburtstag offiziell nie trinken durften, dann aber plötzlich alles, also auch harten Alkohol, fehlt die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, wie ein verantwortungsbewusster Konsum möglich ist. Hierzu braucht es zum Beispiel gute Vorbilder in der Familie und Begleitung hin zu einem gesundheitsbewussten Umgang mit Alkohol durch die Eltern. Aber ich verstehe natürlich den Schutzgedanken des Bundesdrogenbeauftragten. 

BSZ: Auch bei Erwachsenen haben bereits vor der Pandemie viele Menschen zur Flasche gegriffen. Wie hat sich das Suchtverhalten seitdem entwickelt?
Wenger: Die Zahlen dürften coronabedingt 2021 weiter gestiegen sein. Besonders getroffen hat es Menschen, die schon vorher psychische oder finanzielle Probleme hatten oder bereits unter einer Suchterkrankung litten. Viele sind in Corona-Zeiten rückfällig geworden. Aber auch nicht abhängige Erwachsene trinken mehr als vor der Pandemie. Durch die Belastungen der letzten zwei Jahre wächst in der gesamten Bevölkerung der Wunsch nach einem Stimmungsaufheller oder Seelentröster. Neben den sogenannten substanzbezogenen Süchten hat auch die Medien- und Internetnutzung zugenommen. 

BSZ: Und alles ausschließlich wegen Corona?
Wenger: Natürlich sind Terminverdichtung und Arbeitsüberlastung ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend, der zu Abhängigkeiten führen kann. Aber durch das Homeoffice fällt die gewohnte Tagesstruktur weg, zusätzlich entfallen die Anfahrtswege. Viele nutzen das, um ihre Termine noch dichter zu packen. Dadurch steigt die Verlockung, auf Mittel wie Kokain, Amphetamine oder andere pushende Substanzen zurückzugreifen, die einen vermeintlich unterstützen. Den Trend sehen wir nicht nur im Arbeitsleben, sondern auch an Hochschulen, wo die Studierenden unter großem Druck stehen. 

"Wir sind alles mündige Bürger und dürfen uns auch potenziell schädigen"

BSZ: Funktioniert Suchthilfe im Lockdown und in Zeiten der Pandemie?
Wenger: Oftmals war es für Betroffene schwierig, Unterstützung zu bekommen. Wir bei Condrobs haben aber alle Angebote durchgängig offengehalten – seien es die Beratungsangebote, die alltagsbegleitende Arbeit oder die Jugendhilfe. Unsere Mitarbeitenden sind auch zu den Familien nach Hause gegangen. Zusätzlich haben wir die Suchthilfe digitaler aufgestellt, damit auch Menschen, die Angst vor Ansteckung hatten, unsere Hilfe in Anspruch nehmen konnten. Stärker getroffen haben die Einschränkungen die Jugendarbeit, wo Jugendzentren geschlossen oder der Zugang durch eine 2G-Regel erschwert war. Auch geschlossene Schulen und die Umstellung auf Homeschooling waren für Kinder und Jugendliche extrem harte Einschnitte in ihrer sozialen Teilhabe. Gute und tragfähige soziale Kontakte sind extrem wichtig für eine gelingende Entwicklung.

BSZ: Es gibt Länder wie die Schweiz, die illegale Drogen bei Veranstaltungen von Fachleuten untersuchen lassen. Halten Sie dieses sogenannte Drug Checking auch bei uns für sinnvoll, wenn die Clubs wieder öffnen dürfen?
Wenger: Wir sind absolut dafür, das fordern wir schon seit Jahren. Bisher haben die Konsument*innen in Deutschland keine Möglichkeit, Drogen vor Einnahme zu prüfen. Durch Drug Checking könnten sie eine bewusste Entscheidung treffen, ob sie das zu sich nehmen wollen. Das bringt den Gesundheitsschutz voran und verhindert riskanten Konsum. 

BSZ: Die Staatsregierung will trotz des jahrelangen Modellversuchs keine Drogenkonsumräume in München einrichten. Verstehen Sie das?
Wenger: Drogenkonsumräume gibt es in jeder Stadt: in öffentlichen Toiletten unter hygienischen Bedingungen, die alles andere als wünschenswert sind. Bayern ist traditionell das Bundesland, das bei den Drogentoten am meisten auffällt. Die Staatsregierung sollte daher dringend Angebote ermöglichen, um das zu verhindern. Drogenkonsumräume helfen eine Überdosierung zu vermeiden und sind ein niederschwelliger Zugang für Menschen zum Hilfesystem und zu Angeboten der Gesundheitsprävention. Auch die Kommunen haben ein ordnungspolitisches Interesse daran, dass der Konsum nicht im öffentlichen Raum stattfindet. 

BSZ: In Neuseeland soll das Mindestalter für den Kauf von Zigaretten jedes Jahr um ein Jahr steigen. Wer heute jung ist, könnte also sein ganzes Leben lang niemals legal Tabak kaufen. Gut so?
Wenger: Werbeverbote für Tabak und erschwerte Zugangsbedingungen durch Volljährigkeit oder den Preis halte ich für richtig. Aber wo ist die Grenze, was meine Privatentscheidung und was ein staatlicher Eingriff ist? Prävention und Sensibilisierung für ein gesundheitsbewusstes Verhalten sind wichtig. Ich denke aber, wir sind alles mündige Bürger und dürfen uns auch potenziell schädigen. Natürlich ist das eine Belastung für das Gesundheitssystem. Aber das ist es auch, wenn ich jeden Tag Schweinshaxe esse oder keinen Sport treibe. (Interview: David Lohmann)

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