Politik

Tobias Rüther arbeitet seit über 20 Jahren in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in München. Der Oberarzt leitet dort die Tabakambulanz. (Foto: Florian Peljak)

26.04.2024

"Das Gehirn weiß nicht, ob die Droge legal oder illegal ist"

Suchtexperte Tobias Rüther über den Umgang mit Cannabisverboten, die richtigen Schlüsse aus der Politik anderer Länder und darüber, welche Substanzen gerade in Mode sind

In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in München sieht Tobias Rüther jeden Tag Menschen, die Drogenprobleme haben. Der Suchtmediziner warnt nicht nur vor dem Konsum illegaler Substanzen. Gefährlicher sind für ihn Tabak und Alkohol, auch Cannabis dürfe man keinesfalls unterschätzen. 

BSZ: Herr Rüther, gerade ist Cannabis in aller Munde. Wie gefährlich ist denn das wirklich, wie sieht Ihr Ranking der schädlichsten Drogen aus?
Tobias Rüther: Wenn Sie meinen, wie viele Menschen daran sterben, dann ist Tabak die gefährlichste Droge, die es gibt. Daran sterben nämlich in Deutschland jedes Jahr 127 000 Menschen. Dann kommt Alkohol und dann erst mal lange nix. Erst danach kommen die sogenannten illegalen Drogen, dann kommt irgendwann mal Cannabis. Würde man vor allem die unmittelbaren Schäden für den Körper und die sozialen Folgen bewerten, stünde Alkohol ganz oben.

BSZ: Ich hätte Heroin oder eine andere illegale Droge an der Spitze erwartet.
Rüther: Heroin ist natürlich eine extrem gefährliche Substanz, es nehmen nur nicht so viele. Es gibt auch da Tote und Abhängige, aber nicht in der Dimension, dass es mit Alkohol oder Tabak vergleichbar wäre. Sie dürfen auch eines nicht vergessen: Das Gehirn weiß überhaupt nicht, ob die Substanz legal oder illegal ist. 

BSZ: Spielen dann aus Ihrer Sicht die illegalen Drogen gar keine Rolle?
Rüther: Doch. Aber wir haben ein gutes Suchthilfesystem und für viele Drogen gibt es schon eine ganz gute Behandlung. Was gab es früher für Probleme mit Heroin! Durch Substitutionspraxen haben wir das seit 30, 40 Jahren eigentlich ganz gut im Griff. Aber selbstverständlich sollte der Konsum von Heroin verboten bleiben.

BSZ: Was ist mit den anderen illegalen Drogen?
Rüther: Es kommen immer wieder neue Drogen auf. Zum Beispiel Crystal Meth: Das ist eine extrem abhängig machende Substanz. Wenn Sie das einmal nehmen, haben Sie eigentlich schon verloren, weil Ihr Gehirn, wenn Sie nicht wirklich resilient sind, immer wieder Crystal haben will. Natürlich muss der Gesetzgeber darauf achten, dass sich das nicht ausbreitet. Und wir müssen unsere Jugend davor schützen. 

BSZ: Für viele gilt Cannabis als Einstieg in die Welt der illegalen Drogen. Stimmt das?
Rüther: Das ist wissenschaftlich nicht bewiesen. Wir wissen schon, dass Menschen mit schweren Drogenabhängigkeiten oft mit Cannabis angefangen haben. Aber ob die, wenn es Cannabis nicht geben würde, nicht einfach auf etwas anderes zurückgegriffen hätten, wissen wir nicht. 

BSZ: Ist die Diskussion um die Gefährlichkeit von Cannabis also übertrieben?
Rüther: Drogen haben generell im Gehirn von Heranwachsenden – das Gehirn wächst bis 25 – nichts verloren. Das gilt für Nikotin, Alkohol, Cannabis und alle anderen Drogen. Cannabis stört die Gehirnentwicklung und verursacht unwiderruflich Schäden, zum Beispiel bei der Intelligenz. Für einige Erwachsene ist es ebenfalls gefährlich. Es ist durchaus möglich, auch im Erwachsenenalter Psychosen zu bekommen. Es gibt Menschen mit einer Suchtpersönlichkeit, die abhängig werden und das in hohen Dosen konsumieren. Und wenn Sie Cannabis regelmäßig in hohen Dosen konsumieren, hält das kein Hirn lange aus, das hat in der Regel dramatische Folgen.

BSZ: Was halten Sie dann von der jetzt in Kraft getretenen Legalisierung der Droge für Erwachsene?
Rüther: Das Gesetz ist ein sehr guter Vorstoß aus suchtmedizinischer Sicht. Weil wir in den vergangenen 50 Jahren festgestellt haben: Die Kriminalisierung von Drogen bringt den Menschen gesundheitsmäßig nichts. Selbst in Ländern, in denen bei Heroinbesitz die Todesstrafe gilt, gibt es Heroinabhängige. Und wir haben hier trotz Verbots 30 Prozent jugendliche Cannabiskonsumenten. Das scheint also nicht zu wirken. 

BSZ: Was hilft dann?
Rüther: Eine tolle Politik. Das Allerwichtigste ist ein funktionierender Jugendschutz, und zwar nicht nur durch Verbieten, sondern vor allem durch Informieren und Aufklären. Die Jugendlichen sind nicht dumm, die muss man nur gescheit aufklären und gute geschickte Präventionsmaßnahmen durchführen.

BSZ: Wie finden Sie dann das rigorose Vorgehen der Staatsregierung gegen Cannabis?
Rüther: Das ist eher gegen den Geist des Gesetzes. Die Staatsregierung müsste mal uns Wissenschaftler fragen. Wir wissen: In den Ländern, in denen das legalisiert wurde, konsumieren die Jugendlichen nicht mehr als vorher. Die Zielgruppe, die mehr konsumiert, sind wir, die Gruppe der 31- bis 50-Jährigen. Also die, die über eine einigermaßen gute Resilienz verfügen. Folglich sollte man das Geld nicht in mehr Polizeikontrollen und Bestrafung stecken, sondern in Aufklärung und Prävention. In den Schulen, in der Öffentlichkeit. Mit geschickten, gerne auch psychologischen Mitteln sollte die Droge uncool und unattraktiv gemacht werden. Über die Gefährlichkeit muss informiert werden. Es wundert mich zum Beispiel, warum nicht die gesamten Straßen mit Plakaten der Staatsregierung tapeziert sind, die erklären, dass Cannabis jetzt zwar für Erwachsene legal ist, dass das aber nicht bedeutet, dass es ungefährlich ist und man es jetzt konsumieren sollte. 

BSZ: Also wären Sie auch gegen eine völlige Freigabe?
Rüther: Ja. Legalisierung und Entkriminalisierung heißt ja nicht, dass man es morgen im Supermarkt kaufen können sollte. Es ist sehr sinnvoll, dass die Abgabe nicht kommerzialisiert wird und einigermaßen unter Kontrolle ist. Aus Amerika und Uruguay haben wir gelernt, dass bei einer völligen Marktfreigabe sich die Geschäfte gegenseitig immer weiter im Preis unterbieten und vor allem mehr Menschen mit niedrigem Bildungsstand und geringen sozialen Chancen abhängig werden. 

BSZ: Kann man generell Drogen jeweiligen Milieus zuordnen?
Rüther: Ja. Tatsächlich nehmen zum Beispiel Männer, die Sex mit anderen Männern haben, andere Drogen als etwa heterosexuelle Unternehmensberater oder junge Frauen. Unterschiede gibt es auch je nach Einkommen, Bildung – und Region. Es ist immer interessant, wenn ich mit Suchtmediziner*innen aus ganz Deutschland zusammensitze. Hier in München, einer reicheren Gegend mit durchschnittlich höherem Bildungsstand, haben wir eher ein Kokainproblem. Wenn Sie Richtung Osten gehen, kommt relativ bald Crystal, was schon ein Riesenproblem ist. In Richtung Freiburg konsumiert man eher wieder mehr Cannabis.

BSZ: Was ist aktuell bei der Jugend angesagt?
Rüther: Es gibt immer neue Modeerscheinungen. Große Sorgen bereiten mir gerade diese Wegwerf-E-Zigaretten mit hohen Nikotindosen. Aber auch die neuen psychoaktiven Substanzen, Designerdrogen, über die aktuell gar keiner spricht. 

BSZ: Wie weit sind die verbreitet?
Rüther: Wenn sie zum Beispiel in München in einen Club gehen – da konsumiert die Hälfte der Altersgruppe zwischen 16 und 22 Jahren irgendwelche synthetischen Drogen. Da kann kein Gesetzgeber was machen, weil die Pillen oder Plättchen so klein sind und sie sich alles im Internet bestellen können. Das ganz abzustellen, funktioniert nicht, den Kampf brauchen wir gar nicht mehr zu führen. Wichtig ist, die Leute darüber zu informieren, was sie sich da antun. So ein Trip kann unter Umständen das Leben ruinieren. In anderen Bundesländern kann man zumindest in den Clubs seine Pillen oder Plättchen abgeben und analysieren lassen, was da überhaupt drin ist, verknüpft mit Aufklärung und Beratung. Denn in der Regel kriegen die Leute etwas anderes als das, was sie kaufen wollten. Und natürlich kann das richtig gefährlich sein. In Bayern ist dieses Drugchecking leider noch verboten. 

BSZ: Gibt es eine Sucht, die Ihnen selbst zu schaffen macht?
Rüther: (lacht) Ich bin vor allem süchtig nach der Oper. Im Ernst: Es gibt ein paar Sachen, die ich niemals konsumieren würde. Ich glaube zum Beispiel, dass mir Cannabis zu gut gefallen würde. Ich weiß aber um die Gefährlichkeit und halte mich davon fern.
(Interview: Thorsten Stark)

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