Politik

Überall fehlt Personal, vor allem in der Gastronomie. (Foto: dpa/B.Weisbrod)

23.12.2022

Das hat uns bewegt

Das Jahr 2022: Was war schön, was war überraschend, was nervig? Ein Rückblick

2022 war ein Jahr der großen und kleinen Katastrophen, doch es gab auch Lichtblicke.
Eine Auswahl.


Was uns geschockt hat:
Die drastisch gesunkene Debattenbereitschaft. Übertrieben liberal waren die Deutschen möglicherweise nie, doch mit Beginn der Pandemie nahm das Scheuklappendenken an Fahrt auf. Selbst namhafte Fachleute, die einzelne Maßnahmen infrage stellten, die Impfung breiter Bevölkerungsteile hinterfragten und vor den gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen von Lockdowns und Co warnten, wurden diffamiert – und nicht selten in die rechtsextreme Ecke gestellt. Noch heute ist es kaum möglich, eine offene Debatte über Impfschäden zu führen. Dass Wissenschaft vom Diskurs lebt – passé. Menschen haben wegen fehlender Toleranz ihre Existenz verloren, Freundschaften sind zerbrochen, Familien wurden zerstört. Man werde einander viel verzeihen müssen, hatte Jens Spahn (CDU) zu Beginn der Pandemie prophezeit. Davon sind wir meilenweit entfernt.

Was uns gefehlt hat:
Eine energiepolitische Strategie. Zu beteuern, dass es einen Plan gebe, ersetzt noch keinen Plan. Selbst Unternehmen wussten nach dem russischen Angriff auf die Ukraine lange nicht, ob sie bei Energieknappheit weiter produzieren können. Stadtratsmitglieder diskutierten sogar über die Abschaltung einzelner Straßenlaternen. Und die Bundesregierung tat sich weiter schwer. Kohlestrom war willkommen, importierter Atomstrom auch. Die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke kam dagegen erst nach einem Machtwort des Kanzlers. Fracking-Gas wurde auch gerne genommen – sofern es aus dem Ausland kommt. Pragmatismus statt ideologischem Wischiwaschi wäre ein Wunsch fürs kommende Jahr.

Was uns genervt hat:
Die Lässigkeit, mit der man die Pandemiefolgen für Kinder abtut. Im Januar 2022 erklärten bayerische Fachleute in ihrer Langzeitstudie „Covid Kids Bavaria“, dass Kinder nie Treiber der Pandemie waren. Statt Erleichterung oder Genugtuung verspüren viele Eltern und Kinder vor allem: Wut. Monatelang waren Kitas geschlossen, die Schulen im Distanz-
unterricht, Sport oder lustige Kindergeburtstage waren kaum möglich; als die Schulen öffneten, wurden die Kinder mit stundenlangem Masketragen traktiert. Die Langzeitfolgen für die Entwicklung der Kleinen, die zu Sündenböcken der Pandemie gemacht wurden, sind noch gar nicht richtig abzuschätzen. Eine Entschuldigung der Verantwortlichen kann all das nicht ungeschehen machen. Angebracht wäre sie trotzdem.

Was uns gefreut hat:
Dass, nachdem das Coronavirus seinen Schrecken weitgehend verloren hat, Normalität einkehrt. Im Frühling fielen in den Geschäften die Masken, Menschen durften ohne Test und Mundschutz ins Restaurant. Fitnesscenter öffneten ihre Pforten wieder für alle, also auch für Ungeimpfte. Das Oktoberfest, das abgesehen vom Partytaumel auch vielen Menschen Jobs bietet, fand nach zwei Jahren Pause wieder statt. Ausgerechnet das einst superstrenge Bayern schaffte im Dezember die Maskenpflicht im Nahverkehr ab. Und am Christkindlmarkt ist unbeschwertes Glühweintrinken möglich. Auch Händeschütteln und Umarmen ist wieder üblich. Nach jahrelangem Social Distancing eine Wohltat – sofern einem die Richtigen näherkommen.

Was uns überrascht hat:
Die Heuchelei um die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Ja, es war eine schwer verdauliche WM. Mit Diskussionen über Menschenrechte und Korruption im Vorfeld, einer Armbindendebatte währenddessen und einer merkwürdigen Siegerehrung zum Schluss. Nur fiel der Aufschrei gerade im Vergleich zur vorherigen WM in Russland, das erst 2014 völkerrechtswidrig die Krim annektiert hatte, besonders schrill aus – und irgendwie sollte es vor allem ein deutscher Protest bleiben. Bizarr, dass ausgerechnet der Bundeswirtschaftsminister, der den Austragungsort Katar einen Fehler nannte, mit tiefen Verbeugungen vor dem dortigen Handelsminister um Flüssiggas bat.

Was uns geängstigt hat:
Der Krieg und die Energiekrise. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine steigt auch in Deutschland die Angst vor einem Krieg. Bei Google haben sich im Frühjahr die Suchanfragen nach Schutzbunkern um 300 Prozent erhöht. Und die infolge des Krieges gestiegenen Energiepreise nebst Inflation stürzen viele Menschen in Verzweiflung – trotz der Entlastungspakete der Bundesregierung. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst dadurch noch stärker.
Ebenfalls furchterregend: der allgegenwärtige Personalmangel. Als die Pandemie im Frühjahr an Schrecken verlor, fehlte es in Flughäfen, bei Paketzustellern, der Gastronomie und in Supermärkten an Mitarbeitenden. Der Fachkräftemangel befindet sich auf Allzeithoch. Jedes zweite Unternehmen ist davon betroffen. Bahnbetriebe müssen ihren Fahrplan zusammenstreichen, Kinderkliniken junge Patient*innen abweisen und Altenheime sowie Kitas teilweise sogar schließen. Lösungen sind nicht in Sicht.

Was uns amüsiert hat:
Die Diskussion um das Lied Layla. Dass Verbote Aufmerksamkeit erzeugen, hätte auch der Stadt Würzburg klar sein müssen, als sie den Partyschlager Layla wegen des sexistischen Textes auf dem Kiliani-Volksfest verbot. Erst danach wurde das Lied millionenfach auf Youtube geklickt. Selbst Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schaltete sich ein. Eine bessere PR hätten sich die Interpreten nicht wünschen können. Obwohl der Song auch auf dem Oktoberfest nicht gespielt werden sollte, wurde er zum Wiesnhit 2022.
(David Lohmann, Thorsten Stark, Waltraud Taschner)

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