Politik

Im Freistaat drehen sich zu wenig Windräder (hier im schwäbischen Wildpoldsried). Schuld trägt auch der Bund. (Foto: dpa)

30.06.2017

Das Ökostrom-Dilemma

Was ist eigentlich aus der Energiewende geworden? Den Windrädern im Freistaat geht jedenfalls erwartungsgemäß die Puste aus

Man kann sie mögen oder nicht: Windkraftanlagen liefern im Vergleich zu anderen regenerativen Erzeugungsarten am meisten Strom – wenn der Wind auch wirklich kräftig bläst. Völlig zu Recht hatte nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima der damalige bayerische Umweltminister Markus Söder (CSU) das Ziel von 1500 Windrädern für Bayern ausgegeben.

Inzwischen hat sich der Wind im Freistaat gedreht, und man fragt sich, wo der Strom herkommen soll, wenn in ein paar Jahren die Atommeiler abgeschaltet werden. Die großen Stromautobahnen, die Windstrom von der Küste in den Freistaat bringen sollen, werden kaum rechtzeitig fertig sein. Deshalb ist es überaus bedauerlich, dass vor Kurzem ein Vorbildprojekt für ganz Bayern gestoppt wurde: Das interkommunale Windkraftkonzept für den Landkreis Fürstenfeldbruck ist beendet. Die betroffenen Gemeinden im Westen des Landkreises fürchteten um ihre land- und forstwirtschaftliche Nutzung.

Dabei hatte das Pilotprojekt vor sieben Jahren verheißungsvoll begonnen. Auf Initiative von Landrat Thomas Karmasin (CSU) begannen 21 von 23 Kommunen für Windkraftanlagen gemeinsam zu planen.

Das Windkraft-Aus in Fürstenfeldbruck ist kein Einzelfall, sondern spiegelt den aktuellen Trend wider. Zwar sind in Bayern von Januar bis März 2017 mit 50 Anlagen so viele neue Windräder ans Netz gegangen wie noch nie. „Doch allzu viele werden in den nächsten Jahren nicht mehr folgen. Die Pipeline leert sich“, bedauert Raimund Kamm, Landesvorsitzender des Bundesverbands Wind-Energie (BWE).

48 dieser Windräder wurden beantragt, bevor die Staatsregierung zum Stichtag 4. Februar 2014 mit der umstrittenen 10H-Regelung den Bau neuer Windanlagen in Bayern deutlich erschwerte. 10H besagt, dass der Mindestabstand eines Windrads zur nächsten Wohnsiedlung mindestens das Zehnfache der Bauhöhe betragen muss – bei einer Rotorhöhe von 200 Metern also zwei Kilometer.

Windkraft ist im Freistaat eh nicht der Knaller

Im Freistaat liegen laut Kamm derzeit 136 Genehmigungen für neue Windräder vor, die noch nicht gebaut sind. Außerdem seien 78 Genehmigungsverfahren noch nicht entschieden. 2016 wurden bayernweit nur 43 Windräder beantragt, allein im ersten Quartal 2014 hatte es noch 150 Anträge gegeben. Kamm wirft der Staatsregierung vor, die Energiewende zu torpedieren. Doch auch die von der Bundesregierung beschlossene neue Ausschreibungspraxis für Windkraftanlagen bremst den Windkraft-Ausbau. So sieht es jedenfalls der ehemalige unterfränkische Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell, Präsident der Energy-Watch Group (EWG). In der ersten Ausschreibungsrunde, zwei weitere sind für dieses Jahr noch geplant, seien die Hauptzuschläge nach Norddeutschland gegangen. Fell und Kamm wollen, dass der Bund hier nachbessert. Denn wegen geringerer Windgeschwindigkeiten müssen im Süden die Anlagen höher und die Rotoren größer sein. Diese Mehrkosten von bis zu einer Million Euro pro Anlage werden aber bei den Ausschreibungen durch die Bundesnetzagentur leider nicht berücksichtigt.

Unstrittig ist, dass Bayern bei der Windkraft deutschlandweit nicht die Nase vorn hat. „Nach der regionalen Verteilung gingen sieben Windkraftanlagen mit insgesamt 21,4 Megawatt Leistung nach Bayern und Baden-Württemberg – zwei Zuschläge für Bayern“, erklärt Wilfried Schober, Sprecher des bayerischen Gemeindetags. Insgesamt gab es 70 Zuschläge mit über 807 Megawatt Leistung.

Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbands der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW), nennt die Bedeutung der Windkraft für Bayern deshalb überschätzt: „Nicht alles, was immer groß aussieht und sich manchmal auch dreht, erzeugt auch ständig viel Strom. Die Dinger stehen ja tagelang still.“ Ohne Langfristspeicher leiste die Windkraft keinen substantiellen Beitrag zur Versorgungssicherheit. „Aber wir schaffen es ja derzeit nicht einmal, ein kleines Pumpspeicherkraftwerk in die schönen oberbayerischen Berge zu bauen“, so Fischer.

Es sind also endlich mutige energiepolitische Entscheidungen nötig. Der Freistaat sollte die Geothermie stärken. Die Bohrungen sind zwar teuer, aber die Anlagen liefern konstant Strom. Und auf europäischer Ebene sollte die Vernetzung von Ökostrom vorangehen. Damit nirgendwo die Lichter ausgehen.
(Ralph Schweinfurth)

Kommentare (5)

  1. Raimund Kamm am 04.07.2017
    Die Energiewende für Deutschland wurde bereits Anfang der 1990er Jahre begonnen, als die Kohl-Regierung 1992 bei der Weltkonferenz in Rio die Größe des Klimaproblems erkannte und zusicherte, „Treibhausgase auf einem Niveau zu stabilisieren, dass eine gefährliche von Menschen gemachte Störung des Klimasystems verhindert wird“.
    Als Rot-Grün im Jahr 1998 in die Regierung gewählt wurde, hatten sie den Atomausstieg im Programm. Im Jahr 2000 hat dann die Schröder-Regierung mit den AKW-Betreibern den Atomausstieg vertraglich vereinbart.
    Wer an der Energiewende herummäkelt, wie der Geschäftsführer der alten Energiewirtschaft D. Fischer, muss endlich sagen, wo der gerade auch in Bayern erzeugte und über 1 Million Jahre tödlich strahlende Atommüll gelagert werden soll. Es ist moralisch verwerflich, über 65 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten AKW in Bayern immer noch keine Entsorgung für diesen Todesmüll vorweisen zu können.
    Wer an der Energiewende herummäkelt, muss auch sagen, ob er die Voraussagen von über 99 Prozent der Klimawissenschaftler, dass die jetzige Energiewirtschaft zu einer Erderwärmung führen wird, die weite Landstriche unserer Erde, wo heute hunderte Millionen Menschen wohnen, unbewohnbar machen wird, für falsch hält.
    Wir uns für die Energiewende einsetzenden Umweltschützer können übrigens aufzeigen, wie auch in Deutschland eine Strom- und bald auch Energieversorgung aus 100 % Erneuerbaren Energien machbar ist.
    Raimund Kamm (Vorsitzender der mitgliederstärksten AntiAtom-Bürgerinitiative Deutschlands sowie auch ehrenamtlicher Vorsitzender des BWE Bayern)
  2. haarthhoehe am 04.07.2017
    Kritische Kommentare gibt es überall zu lesen, aber keiner ist in der Lage zu erklären, wie wir in Bayern von der Atomkraft weg kommen. Geothermie ist nur eine ober- und niederbayerische Lösung, so weit, wie man bei Fön von München aus Fernblick hat. Die Erdwärme ist übrigens auch Energie aus Radioaktivität.
    Jetzt müsste ja von der bayrischen Staatsregierung ein Donnerhall ausgehen, der unsere Zukunftsprobleme der Energieversorgung für alle Zeiten beendet. Aber nein, momentan ist es wichtiger sich für die Dieselautos zu engagieren, Höchstspannungsleitungen zu verhindern, Pumpspeicherwerke abzulehnen oder den Großteil der Investitionen für Tunnelbau in München zu versenken. Fehlt nur noch eine dritte Startbahn. Womöglich ein Fluchtkorridor, wenn es einmal nötig sein sollte (Späßle!).
    Also noch einmal an alle: wir brauchen Konzepte für die verstromte Zukunft und keine neue Streitkultur.
  3. voa zua am 03.07.2017
    Hallo Herr van Ackeren,

    wir leben in einem freien Land und jeder darf hier seine Meinung kund tun. Dieses Recht nehme ich gerne in Anspruch.
    Der Unterschied ist nur, dass ich das auch als meine eigene Meinung kennzeichne und nicht als "Fakt".
  4. Gerd van Ackeren am 01.07.2017
    Aber Sie, geschätzter Kommentator "voa zua", Sie wollen natürlich niemandem Ihre Meinung aufdrängen, ach iwo...:-)!
  5. voa zua am 30.06.2017
    Sehr geehrter Herr Schweinfurth,

    schon Ihre Aussage, dass das politische Ziel der Energiewende "völlig zu Recht" ausgegeben wurde, ist Ihre eigene Sicht der Dinge und widerspricht seriösem Journalismus. Sie wollen dem Leser Ihre eigene Meinung als einzig richtige aufdrängen. Das ist hier Fehl am Platz.

    Dabei liegt meiner Meinung nach der Fehler unserer aktuellen Energiepolitik schon im Ansatz. Das soll nicht heißen, dass ich die Atomenergie gut finde. Aber ad hoc, nur aufgrund von verwirklichten (doch jedem bekannter) Risiken sich nach der aktuell herrschenden Windrichtung zu drehen ist nicht nachhaltig. Die Auswirkungen einer völlig überhasteten Energiewende von (teils ideologisierten) Politikern spüren wir jetzt. Die aktuelle Rückentwicklung ist nur die folgerichtige Konsequenz. Und dass das wiederum den Wirtschaftslobbyisten wie einem Herrn Kamm nicht passt, ist auch klar. Ein Stück weit ist es auch nachvollziehbar. Aber deren Interesse nach Gewinnmaximierung muss dem Interesse der Allgemeinheit zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen unterliegen. Und ob man es nun mal wahrhaben will oder nicht. Alle Nutzungsformen (auch die einer möglichst regenerativen Energieerzeugung) wirken sich nun einmal auf unsere Ressourcen aus. Mich verwundert da, dass gerade die Partei, welche sich deren Erhalt verschrieben hat die größten Anstrengungen zur Zerstörung dieser Ressourcen unternimmt. Man könnte ja fast meinen, deren Politiker sind in die neu entstandene Öko-Energie-Reibach-Mach-Konzerne monetär eingebunden. Denn wenn nicht so erklärbar, müsste man ihnen völlige Ahnungslosigkeit bezüglich der Zusammenhänge in der Natur attestieren.

    Langfristig (und nicht auf den schnellen Kommerz) ausgelegte Ansätze der Energiewende gibt es. Diese müssten erst erforscht und dann durch klare politische Vorgaben umgesetzt werden. Die Geothermie ist da nur ein Ansatz von vielen. Richtig auch, dass wir das nicht alles auf heimischen Boden durchziehen können, sondern internationale (nicht nur EU-weite) Verbindungen brauchen. Und selbstverständlich muss auch die Wind- und Solarenergie bei uns ihren Platz haben können - dort wo möglich (sowohl ökonomisch als auch ökologisch). Leider hat man aber das alles übers Knie brechen müssen und stellt nun fest, dass die "Dinger ständig stehen"!

    Fazit: Früher hat man langfristig geplant und nachhaltig gehandelt - heute dreht sich leider jede Partei wie ein Windrad immer sofort in die Richtung, woher der Wind weht. Dadurch verlieren wir zwar alle - ich kann die Windkraftbefürworter aber beruhigen: Der Wind dreht sicherlich bald wieder einmal...
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