Politik

Zwei Ärzte entnehmen einem Toten in der Pathologie ein Spenderherz. (Foto: dpa)

06.04.2018

Das Reden über den Tod enttabuisieren

Bundesweit gibt es immer weniger Spenderorgane, nur in Bayern zeichnet sich eine Trendwende ab – was der Freistaat anders macht und welche Reformen dennoch nötig sind

Jeden Tag sterben in Deutschland drei Patienten, weil für sie kein Spenderorgan gefunden wurde. Vergangenes Jahr erreichte die Zahl der Organspender den niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Nur in Bayern schaffte man den Turnaround. Hier stieg die Zahl der Organspender um 18 Prozent. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml macht dafür das bayerische Gesetz zur Ausführung des Transplantationsgesetzes mitverantwortlich. Doch auf Dauer braucht es weitere Anstrengungen. Das Ausgeliefertsein, das Schwinden der Kräfte, die Todesangst: Peter Fricke, 62, hat dieses Drama bereits dreimal durchlebt. Einmal, als er vor 28 Jahren nach einer Herzmuskelentzündung auf ein neues Organ wartete und zu schwach war, um vom Krankenbett auch nur aus dem Fenster zu schauen. Zweimal als Vater einer Tochter, die mit 20 Jahren nach derselben Erkrankung ihr erstes Herz transplantiert bekam, und deren Körper es fünf Jahre später wieder abstieß.

Dreimal geschah das Wunder: Es fand sich rechtzeitig ein Spender. „In der Nacht zu ihrem 26. Geburtstag wurde Julia operiert“, erzählt Fricke, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der Organtransplantierten. Am nächsten Tag begann für die Mutter eines kleinen Sohnes ein neues Leben.

Transplantationsbeauftragte von anderen Klinikaufgaben freistellen

So viel Glück hat nicht jeder. Derzeit stehen in Deutschland mehr als 10 000 Patienten auf der Warteliste der Stiftung Eurotransplant, die Organspenden vermittelt. Jeden Tag sterben drei Patienten, weil für sie kein Spenderorgan gefunden wurde. Vergangenes Jahr nahm die Zahl der Organspender nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) bundesweit um sieben Prozent auf 797 ab und erreichte damit den niedrigsten Stand seit 20 Jahren. Die Abwärtsspirale scheint nicht zu stoppen. Die einzig positive Ausnahme ist Bayern. Hier stieg die Zahl der Organspender um 18 Prozent auf insgesamt 143. Rund 1400 Patienten warten derzeit auf eine Transplantation.

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml macht für die Trendwende im Freistaat das bayerische Gesetz zur Ausführung des Transplantationsgesetzes mitverantwortlich. Zwar wurden in anderen Bundesländern 2012 ebenfalls Transplantationsbeauftragte in den Kliniken ernannt, die sich um das Thema Organspende kümmern sollen.

Aber nur im Freistaat gibt es seit 2017 eine konkrete Regelung zu deren Freistellung von anderen Klinikaufgaben, die abhängig von der Intensivbettenzahl ist. Dadurch werde den Medizinern der notwendige Freiraum für ihre verantwortungsvolle Aufgabe ermöglicht. „Denn die Arbeit als Transplantationsbeauftragter im Krankenhaus ist im hektischen und dicht gefüllten Klinikalltag nur leistbar, wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht“, so Huml.

Die rund 240 Ärzte, meist Intensiv-Mediziner, sollen in den knapp 200 bayerischen Entnahmekliniken unter anderem potenzielle Spender erkennen, das Personal schulen, die Angehörigen betreuen, klinikinterne Leitlinien zur Einleitung und zum Ablauf einer Organspende erarbeiten und im engen Kontakt mit der DSO stehen.

Doch während Ministerin Huml Bayern bereits als Vorzeigeland feiert und in den Koalitionsverhandlungen in Berlin eine bundeseinheitliche Regelung zur verbindlichen Freistellung der Transplantationsbeauftragten durchsetzen konnte, werten Experten in den Kliniken das Gesetz nur als einen Schritt in die richtige Richtung. „Natürlich werden die Häuser so aktiv für das Thema sensibilisiert.

Aber nur, weil der Beauftragte jetzt mehr Zeit hat, um durch die Stationen zu gehen, wird es nicht deutlich mehr Spender geben“, sagt Professor Bruno Meiser, Leiter des Transplantationszentrums der Ludwig-Maximilians-Universität in München-Großhadern. „Um wirklich etwas zu ändern, muss an vielen Stellschrauben gedreht werden – und dafür braucht es einen nationalen Aktionsplan“, sagt Meiser, der auch Präsident der Stiftung Eurotransplant ist, die in acht europäischen Ländern die Spenderorgane verteilt.

Statt die Krankenkassen alle zwei Jahre massenweise Organspende-Ausweisen verschicken zu lassen, die meist im Müll landen, sollte das Geld lieber in die Kliniken investiert werden, empfiehlt Meiser. „Denn hier wird nach dem Hirntod eines Patienten mit den Angehörigen oft nicht über eine mögliche Organentnahme gesprochen, sondern mit deren Einverständnis die Therapie eingestellt und das Bestattungsunternehmen gerufen“, sagt der Herzchirurg Meiser. Einer der Gründe: der Kostendruck. Eine Organentnahme lohnt sich schlichtweg nicht. „Die Hürden sind zu groß, die Anreize zu gering“, bringt Meiser die Problematik auf den Punkt.

Vor einer Organentnahme muss zweimal innerhalb von wenigstens zwölf Stunden der irreversible Hirntod des Patienten von zwei verschiedenen Ärzten, darunter mindestens einem Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie, festgestellt werden. „Doch kleinere Kliniken haben diese Expertise nicht und befinden sich in einem Dilemma, wer soll es machen?“, erklärt Meiser und fordert daher mobile Expertenteams zur Feststellung des Hirntods.

Doch selbst wenn das Know-how vorhanden ist, wird oft nicht gehandelt. Das erfährt Josef Briegel, Professor für Anästhesiologie und seit 20 Jahren Transplantationsbeauftragter in Großhadern, bei Gesprächen mit anderen Kollegen immer wieder. „Sie müssen sich das so vorstellen: Der eigentlich tote Patient belegt ein dringend nötiges Bett auf der Intensivstation, bringt das eng getaktete Programm im OP durcheinander und bindet das eh schon knappe Pflegepersonal – das dann für andere Eingriffe fehlt“, beschreibt Briegel.

Zwar bekämen Kliniken eine Fallpauschale, doch die decke bei Weitem nicht Aufwand und Kosten. Chefärzte, die Zielvereinbarungen mit der Klinikleitung hätten und ökonomischen Zwängen unterlägen, würden sich im Zweifel daher schlichtweg nicht rühren – und einen potenziellen Spender nicht der DSO melden.

Am Organspende-Skandal liegt es nicht, dass die Leute nicht spenden wollen

Für Bruno Meiser ein Unding: „Kliniken, die diesem gesetzlichen Auftrag nicht nachkommen, sollten sanktioniert werden.“ Und auch Peter Fricke, der Patienten und deren Angehörige betreut, macht das fassungslos. „Es kann nicht sein, dass Patienten keine Menschen mehr sind, sondern nur noch Fallpauschalen.“

Erschwert wird die Organentnahme in den Kliniken zusätzlich durch Ressentiments bei Pflegekräften und Ärzten selbst. Eine Umfrage an 50 bayerischen Kliniken ein Jahr nach den Manipulationen von Wartelisten zeigte im Jahr 2013, dass das System der Organspende einen massiven Vertrauensverlust erlitten hat. „Doch die Einstellung und das Engagement von Klinikmitarbeitern hat entscheidenden Einfluss auf die Realisierung von Organspenden“, sagt Anästhesist Briegel, der die Studie mitinitiiert hat. Kostendruck und eine schier untragbare Arbeitslast würden aber nicht helfen, diese Vorbehalte abzubauen.

Von der Freistellung des Transplantationsbeauftragten hält er trotzdem nichts. „Das ist kontraproduktiv“, so Briegel. Gerade in mittelgroßen oder großen Häusern mit mehreren Intensivstationen könne ein Einzelner nicht jeden Fall überwachen. „Das Screening ist Teamarbeit. Alle Kollegen müssen motiviert sein.“ Die Arbeit lasse sich nicht in einen Nine-to-five-Job pressen.

Was ihn persönlich motiviert, die Mehrarbeit zu leisten? „Ich habe früher Patienten vor und nach einer Transplantation betreut. Ich kenne beide Seiten. Wer sieht, was das für einen Menschen bedeutet, zweifelt nicht mehr am Sinn von Organspenden.“

Immerhin: Ein Lichtblick zeichnet sich ab. „Die mit einer Organentnahme an den sogenannten Entnahmekrankenhäusern verbundenen Aufwendungen sollen besser vergütet werden“, kündigt Ministerin Melanie Huml an und verweist auf die Koalitionsverhandlungen.

Bruno Meiser geht das allerdings nicht weit genug. Er hält die Widerspruchslösung, die in vielen europäischen Ländern gilt, für längst überfällig. Hier müssen die Bürger zu Lebzeiten aktiv einer Spende widersprechen, ansonsten dürfen die Organe nach dem Tod entnommen werden.
„Alle Aufklärungskampagnen haben nicht wesentlich weitergeholfen. Dass viele keinen Organspende-Ausweis haben, liegt nicht am Organspende-Skandal, den haben die Leute längst vergessen, sondern daran, dass der Tod ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist.“ Auch die bislang verbotene Spende nach Herzstillstand müsse überdacht werden, fordert der Transplantationsmediziner Meiser. Er verlangt: „Angesichts der dramatischen Situation ist es an der Zeit, diese Themen offen zu diskutieren. Auch wenn am Ende nicht alles umgesetzt wird.“
(Ruth van Doornik)

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