Politik

Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbands, im Winterweizenfeld: Eine so üppige Ernte wird es wegen der Hochwasserkatastrophe dieses Jahr nicht überall in Bayern geben. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

07.06.2024

„Wir hoffen auf die nächste Bundesregierung“

Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbands, über die Hochwasserkatastrophe, die Bauernproteste vom Jahresanfang und die Flächennutzung

Die Hochwasserkatastrophe in Bayern hat Teile der diesjährigen Ernte vernichtet. In einigen Fällen stehen die Betriebe vor dem Ruin. Doch das ist nicht das Einzige, was die Bäuerinnen und Bauern im Freistaat bewegt. Denn seit den Protesten Anfang des Jahres ist es zwar ruhig geworden, doch die Probleme in der Landwirtschaft sind lange nicht gelöst.

BSZ: Heftige Unwetter und Niederschläge haben in den vergangenen Tagen in Bayern zum Teil zu extremen Überflutungen geführt. Wie ist die Situation für die Landwirtinnen und Landwirte?
Günther Felßner: In ganz Bayern sind landwirtschaftliche Flächen überschwemmt worden, über 50 Höfe mussten evakuiert werden. Besonders schlimm ist die Situation in Schwaben und im Norden Oberbayerns. Die Wassermassen haben oft große Teile der Ernte für dieses Jahr vernichtet. Wir haben gegenüber Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber gleich Anfang der Woche deutlich gemacht, dass diese massiven Schäden in einzelnen Fällen an die Existenz gehen. Es ist deshalb wichtig und notwendig, dass die Staatsregierung so schnell ein Hilfsprogramm mit Soforthilfen auch für die Land- und Forstwirtschaft auf den Weg gebracht hat. Wir wünschen uns, dass bei Existenzgefährdung auch über die vorgesehene Grenze hinaus geholfen werden kann, so wie das auch bei anderen mittelständischen Firmen möglich sein soll.

BSZ: Herr Felßner, fühlen Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen sich von der Politik an der Nase herumgeführt? Seit den Bauernprotesten Anfang des Jahres hat sich doch kaum etwas geändert.
Felßner: Die Proteste haben für große Aufmerksamkeit gesorgt, endlich sind die Probleme in der Landwirtschaft ernst genommen worden. Aber letztlich zeigen die aktuellen Maßnahmen oder Beschlüsse aus Berlin: Die Politik hat immer noch nicht verstanden, dass sie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft nicht weiter kaputt machen darf, sondern dass wir die regionale Landwirtschaft brauchen. Die bayerische Staatsregierung nehme ich von dieser Kritik explizit aus.

BSZ: Warum?
Felßner: Weil sie als bisher einzige Regierung in Europa einen Zukunftsvertrag mit den Bäuerinnen und Bauern ratifiziert hat. Das ist ein klares Bekenntnis des Freistaats zur Land- und Forstwirtschaft. Für das Zehn-Punkte-Programm in diesem Vertrag will die Staatsregierung bis zu 120 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich bereitstellen.

BSZ: Welche zehn Punkte sind das?
Felßner: Das Zehn-Punkte-Programm umfasst unter anderem den Schutz von Eigentum, die Unterstützung der Tierhaltung, die Stärkung von Regionalität bei Lebensmitteln und Energieversorgung sowie die Kreislaufwirtschaft in der landwirtschaftlichen Produktion. Insgesamt sind es über 60 Einzelmaßnahmen.

BSZ: Haben die Bauernproteste Anfang des Jahres etwas gebracht?
Felßner: Sicher. Unsere grünen Nummern wurden gerettet, also die Befreiung von der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Und die sofortige Streichung der Agrardieselsubventionen ist vom Tisch. Allerdings werden diese in drei Stufen bis 2026 abgeschafft.

BSZ: Also wurde eine Forderung doch nicht erfüllt.
Felßner: Na ja, da hoffen wir auf die nächste Bundesregierung, die das dann ja wieder rückgängig machen kann. Die Union hat das im Großen und Ganzen ja schon zugesagt.

BSZ: Aber bei den Bäuerinnen und Bauern drückt der Schuh doch noch an anderer Stelle.
Felßner: Ja, vor allem bei der Bürokratie.

BSZ: Wie viel Zeit nimmt diese in Anspruch?
Felßner: Das macht inzwischen bis zu einem Tag in der Woche aus. Dabei muss man sich im Klaren sein, dass diese Dinge nach dem eigentlichen Feierabend oder am Wochenende erledigt werden müssen. Und das bei einer 50- bis 60-Stunden-Woche. Wenn also 20 Prozent der Arbeitszeit für Bürokratie draufgehen, stimmt etwas nicht. 5 Prozent wären aus meiner Sicht gesund.

BSZ: Können Sie ein Beispiel nennen für die überbordende Bürokratie?
Felßner: Sicher. Nehmen wir zum Beispiel die Gewässerrandstreifen, also die Bereiche, die entlang von Bächen, Flüssen und Seen mit besonderen Schutzauflagen bewirtschaftet werden. Dafür gibt es acht verschiedene Rechtsnormen. Und wenn man als betroffener Bauer dann beim Amt für Landwirtschaft anruft, wie man korrekt mit diesen Streifen umgeht, sprich wie viel man abmäht, sagt einem die dortige Beamtin oder der dortige Beamte, dass sie oder er keine Auskunft geben kann. Das zeigt doch, dass etwas gewaltig in Schieflage geraten ist, wenn selbst die Behörden sich nicht mehr auskennen.

BSZ: Aber in anderen europäischen Staaten nimmt man doch diese Vorgaben nicht so ernst.
Felßner: Das Problem ist in der Tat oft die deutsche Umsetzung. Die EU schreibt etwas vor und hierzulande werden auf die europäischen Vorschriften noch 10 bis 15 Prozent mehr draufgepackt.

BSZ: Warum?
Felßner: Weil man Angst hat, die Brüsseler Vorgaben nicht zu erfüllen.

BSZ: Aber die Bäuerinnen und Bauern haben außer Agrardieselsubventionierung und Kfz-Steuerbefreiung noch weitere Forderungen an die Politik.
Felßner: Ja, wir haben einen Fünf-Punkte-Katalog an Sofortmaßnahmen zur Entlastung und Vereinfachung vorgelegt.

BSZ: Was steht in dem Katalog?
Felßner: Regional erzeugte, nicht-fossile Kraftstoffe sollen von der Energiesteuer befreit werden. Also der Biodiesel soll steuerfrei sein. Und die EU soll auf ihren Plan zu Zwangsstilllegungen verzichten. Diese darf es künftig nicht mehr geben. Wir müssen unsere Flächen nachhaltig nutzen und nachwachsende Energie und Rohstoffe erzeugen können, sonst wird der Ausstieg aus dem fossilen Zeitalter nicht klappen.

BSZ: Was noch?
Felßner: Wir fordern eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage. Damit könnte die Eigenverantwortung der Familienbetriebe gestärkt werden. Außerdem soll die Stoffstrombilanzverordnung gestrichen werden.

BSZ: Weshalb?
Felßner: Weil sie nur zusätzliche Bürokratie bedeutet und keinen Mehrwert für ein nachhaltiges Düngemanagement bringt.

BSZ: Das war der vierte Punkt. Und der fünfte?
Felßner: Wir fordern ein Auflagenmoratorium, damit die Landwirtschaft hierzulande eine Verschnaufpause bekommt und wieder wettbewerbsfähig werden kann. Der aktuelle Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes muss deshalb zurückgenommen werden; gerade hier in Bayern und Süddeutschland würde ein generelles Verbot für die Anbindehaltung das Aus für Tausende Kleinbauern mit ihren Milchkühen bedeuten. Stattdessen braucht es auch langfristig eine Perspektive für die Kombinationshaltung, also für all jene Betriebe, die ihre Tiere im Sommer auf der Weide haben oder ihnen andere Bewegungsmöglichkeiten bieten. Und der aktuelle Entwurf des Bundeswaldgesetzes soll zurückgenommen werden. Außerdem fordern wir die Freistellung der Land- und Forstwirtschaft bei der Umsetzung der Regelung zu entwaldungsfreien Lieferketten.

BSZ: Können Sie diese drei Unterpunkte etwas genauer erläutern?
Felßner: Während sich die Grünen ja gerne auf die Fahnen schreiben, dass sie kleine bäuerliche Höfe unterstützen wollen, bewirken neue Regeln und Verbote, wie sie im Tierschutzgesetz von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir enthalten sind, das glatte Gegenteil. Hier in Bayern müssten etwa 12.000 gerade kleinere Betriebe mit Milchkühen zusperren, wenn das Verbot in der vorgeschlagenen Form kommt. Und da geht’s genau um die Höfe, die ihre kleinen Herden im Sommer auf der Weide oder auf der Alm haben. Aber die können das, was man sich in Berlin am Schreibtisch überlegt hat, oft nicht erfüllen, die Tiere können im Winter oft einfach nicht raus. Und bei Gesetzesvorschlägen wie dem Bundeswaldgesetz oder der EU-Richtlinie zu entwaldungsfreien Lieferketten ist es ähnlich: Da werden reale Probleme wie die weltweite Abholzung angegangen, aber in einer Form, bei der man nur noch den Kopf schütteln kann. Aktuell steht im Raum, dass jeder einzelne Waldbesitzer, Rinderhalter und Ackerbauer mit Sojaanbau einzelbetrieblich und mit Geodatenerfassung dokumentieren muss, dass er nicht auf seit 2020 gerodeten Flächen wirtschaftet. Dabei gibt es bei uns gar keine Entwaldung. Im Gegenteil: In Bayern hat die Waldfläche sogar zugenommen. Zu solchen irrsinnigen Regelungen kann und darf es nicht kommen.

BSZ: Wenn das alles von der Politik umgesetzt ist, hat die kleinteilige bayerische Landwirtschaft dann eine Überlebenschance gegenüber den Agrarfabriken im Norden Deutschlands?
Felßner: Die kleinen Familienbetriebe sind wesentlich resilienter als die hochspezialisierten Großstrukturen. Denn sie haben in den allermeisten Fällen keine Lohnarbeitsstrukturen. So haben die Familienbetriebe die Zeiten, als ein schlechter Milchpreis gezahlt wurde, leichter weggesteckt als Großbetriebe. Diese mussten ja dennoch Löhne zahlen. Bei den kleinen Betrieben packt die ganze Familie mit an.

BSZ: Wie wichtig ist die Landwirtschaft?
Felßner: Enorm wichtig. Denn sie sichert die Ernährung der Menschen und in Zukunft auch immer mehr Energie. Ohne Nahrung geht gar nichts. Ein Bauernhof ernährt etwa 140 Menschen. Aber das ist nicht alles.

BSZ: Sondern?
Felßner: Erst die Land- und Forstwirtschaft ermöglicht den Ausstieg aus dem fossilen System. Sie stellt die Flächen für Windkraft-, Photovoltaik- und Biomasseanlagen bereit. Außerdem kümmert sie sich um die Wälder und erntet dort das Holz. Aber sie sorgt auch dafür, dass erdölbasierte Kunststoffe durch biogene Kunststoffe ersetzt werden können. Die Landwirte haben hierfür die Anbauflächen. Und die Landwirtschaft schützt die Böden, von denen in den letzten Jahren viel zu viele versiegelt wurden.

BSZ: Können Sie das verdeutlichen?
Felßner: Ja, 12 Hektar werden pro Tag in Bayern verbraucht. So wurden in den letzten 30 Jahren in Bayern landwirtschaftliche Flächen in der Größe Niederbayerns verbraucht.

BSZ: Was fordern Sie?
Felßner: Dass Innen- vor Außenentwicklung gilt, also nicht riesige Supermärkte mit gigantischen Parkplätzen am Rand der Ortschaften auf der grünen Wiese errichtet werden, sondern die Orte wiederbelebt werden.

BSZ: Das braucht aber ganz neue Konzepte, wie etwa Geschosswohnungsbau am Land statt Eigenheimsiedlungen.
Felßner: Richtig, wir müssen Flächen multifunktional nutzen. Man muss unter den Supermarkt eine Tiefgarage bauen, auf den Supermarkt Wohnungen und aufs Dach eine Photovoltaikanlage. Am besten nutzt man unter der Tiefgarage noch die Wärme des Erdreichs für die Beheizung des Gebäudes.

BSZ: Wie bewerten Sie in der Rückschau die Proteste vom Jahresanfang?
Felßner: Die waren großartig, weil es uns gelungen ist, friedlich zu protestieren, und die Landwirtschaft in der politischen Debatte gestärkt wurde. Wir bekamen Unterstützung aus dem gesamten Mittelstand, der Handwerkerschaft und vom Transportgewerbe. Und manch einen Platz, auf dem die Proteste stattfanden, haben wir sauberer verlassen, als er vorher war. Das unterscheidet unsere Proteste von anderen, also zum Beispiel von der Letzten Generation, die ja bewusst Dinge wie zum Beispiel Kunstwerke zerstört. Außerdem ist es uns gelungen, Radikale draußenzuhalten und uns klar abzugrenzen. Trittbrettfahrern ist es nicht gelungen, unsere Proteste zu kapern. Und wir haben die Solidarität der gesamten Bevölkerung erfahren. Das tut den Bäuerinnen und Bauern nach wie vor gut. Denn in den Vorjahren waren sie ja eher die Buhmänner.

BSZ: Wann stehen die nächsten Proteste an?
Felßner: Landwirtinnen und Landwirte protestieren nicht des Protestierens wegen, sondern weil wir auf Probleme aufmerksam machen müssen, die uns und die ganze Bevölkerung betreffen. Auf EU-Ebene wurden bereits erste Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Landwirtschaft zu entlasten, und auch die Bundesregierung hat angekündigt, bis zur Sommerpause konkrete Maßnahmen zu präsentieren. Wir bleiben auf jeden Fall hartnäckig und lassen nicht locker – und wenn statt Unterstützung und Entlastung nur neue Regulierung und Bürokratie aus Berlin kommen, werden wir wieder auf die Straße gehen müssen. (Interview: Ralph Schweinfurth)

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