Politik

Bayerns neue Gesundheitsministerin: Judith Gerlach (CSU). (Foto: dpa)

08.12.2023

„Die Folgen der Klinikreform deutlich machen“

Vom Digital- ins Gesundheitsressort: Dass die 38-jährige Juristin Judith Gerlach neue Gesundheitsministerin werden würde, war eine Überraschung. Dass sie im Kabinett bleiben würde, eher nicht. Die junge Senkrechtstarterin, die gleich nach ihrer Wahl in den Landtag 2018 zur Ministerin avancierte, hatte nicht nur in den Augen von Markus Söder einen ordentlichen Job gemacht

BSZ: Frau Gerlach, Gesundheitspolitik war bislang nicht Ihr Spezialgebiet. Was hat Sie an der Aufgabe gereizt?
Judith Gerlach: Gesundheit betrifft uns alle, auch beim Thema Pflege sind wir fast alle früher oder später betroffen. Wir stehen in beiden Bereichen vor großen Herausforderungen, die ich anpacken will.

BSZ: Als Markus Söder 2008 das Gesundheitsressort übernommen hatte, hat er sich nach eigener Erzählung ein Wochenende im Ministerium eingesperrt und sich in die komplexe Thematik eingearbeitet. Wie war es bei Ihnen?
Gerlach: Ins Ministerium habe ich mich nicht eingesperrt. Aber ich habe bei mir zu Hause im Büro Akten gewälzt und mir von den Abteilungen des Ministeriums Zusammenstellungen geben lassen. Daraus habe ich eine Prioritätenliste für meine künftige Arbeit erstellt. Außerdem führe ich noch immer viele Gespräche mit Verbänden sowie anderen Expertinnen und Experten.

BSZ: Dann fangen wir mit der Krankenhausreform des Bundes an: Was befürchten Sie konkret für Bayern?
Gerlach: Die Krankenhausreform ist erforderlich, deshalb begleiten wir sie aus Bayern heraus kritisch-konstruktiv. Wir fürchten, dass die Planungshoheit der Länder für ihre Krankenhausstrukturen eingeschränkt wird. Wir wollen diese Planungshoheit unbedingt behalten, weil wir die regionalen Bedürfnisse sehr viel besser kennen als ein Bundesministerium oder der Gemeinsame Bundesausschuss in Berlin. Wir brauchen die nötige Beinfreiheit, um eine flächendeckende Versorgung sichern zu können. Am bisherigen Vorgehen des Bundes stört mich außerdem, dass es noch immer keine Folgenabschätzung der Reformpläne gibt. Es darf aber keine Reform im Blindflug geben.
BSZ: Streitpunkt ist doch auch die Finanzierung der Kliniken.
Gerlach: Bis die Reform wirkt, werden noch Jahre vergehen. Bis dahin müssen wir die Krankenhäuser am Laufen halten, damit es zu keiner kalten Strukturreform durch Insolvenzen kommt. Deshalb haben alle Bundesländer ein Soforthilfeprogramm des Bundes für diese Übergangszeit gefordert.

BSZ: Wenn es bei den Länderkompetenzen bleiben sollte – wie würden Sie diese in Bayern nutzen?
Gerlach: Die Träger denken ja schon mit unserer Mitwirkung über Kooperationen oder Zusammenschlüsse nach, beziehen teilweise ambulante Strukturen mit ein. Wir müssen dann schauen, welche Lösung für welche Region die beste ist. Da ist auch die kommunale Ebene gefragt. Wir als Freistaat werden das alles weiterhin im gebotenen Umfang unterstützen.

BSZ: Es heißt, dass vor allem kleinere Kliniken existenzgefährdet sind. Ist das nicht eine zwangsläufige Entwicklung, weil Patient*innen lieber weitere Wege zu einem Spezialisten in Kauf nehmen, anstatt sich in einem kleinen Haus in Wohnortnähe behandeln zu lassen?
Gerlach: So ist es. Wenn Betten leer bleiben und Kliniken deshalb ins Defizit rutschen, muss man sich aber überlegen, ob man die Versorgung anders strukturieren und manche Bereiche zusammenlegen kann. Dabei muss die Erreichbarkeit weiter eine Rolle spielen. Umso wichtiger ist es, dass die Reform nicht zu enge Vorgaben macht, die sinnvolle regionale Lösungen erschweren oder gar verhindern.

BSZ: Wie geht es mit der ambulanten medizinischen Versorgung auf dem Land weiter?
Gerlach: Diese weiter zu gewährleisten, wird einer der Schwerpunkte meiner Arbeit sein. Mit der Landarztprämie haben wir seit 2012 rund 1200 Niederlassungen gefördert. In Zukunft wird uns die Landarztquote beim Medizinstudium helfen. Jährlich sind dafür etwa 115 Studienplätze reserviert. Das Angebot wird sehr gut angenommen, wir hatten seit dem Start im Jahr 2020 mehr als 2000 Bewerbungen. Die ersten darüber ausgebildeten Landärzte werden uns aber erst 2031 zur Verfügung stehen. Bis dahin wollen wir die Kommunen weiter dabei unterstützen, eine wohnortnahe medizinische Versorgung sicherzustellen. Dafür sind auch neue Programme und innovative Konzepte in Vorbereitung. Es geht darum, passende Arbeitsbedingungen gerade für junge Ärztinnen und Ärzte zu schaffen, zum Beispiel bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

BSZ: Was halten Sie von den medizinischen Versorgungszentren, die zunehmend auf dem Land entstehen?
Gerlach: Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, sie sind oft eine sinnvolle Ergänzung des bestehenden Angebots. Wir brauchen aber eine Regulierung durch den Bund, damit nicht von Investoren betriebene Zentren vorhandene Strukturen mit niedergelassenen Ärzten zerstören. Diese Regulierung muss jetzt schnell kommen.

BSZ: Ihr Vorgänger Klaus Holetschek hat erklärt, die Pflege befinde sich auch in Bayern in einer prekären Situation. Teilen Sie diese Einschätzung?
Gerlach: Es ist ja kein Geheimnis, dass wir einen Fachkräftemangel auch in der Pflege haben. Wir müssen deshalb alles tun, um mehr Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern. Das betrifft Bund, Land, Kommunen und auch die Arbeitgeber.

BSZ: Was meinen Sie konkret?
Gerlach: Es müssen in erster Linie die Arbeitsbedingungen verbessert werden, um auch die im Beruf zu halten, die schon länger dabei sind. Es geht da um den Abbau von Bürokratie, damit sich die Pflegenden wieder mehr um die von ihnen betreuten Menschen kümmern können. Unser Landesamt für Pflege erarbeitet dazu weitere Vorschläge. Ein zweiter Punkt sind verlässliche Dienstpläne. Auch hier geht es um die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier versuchen wir unter anderem, mit unserem neuen Springerkonzept Verbesserungen zu erreichen. Drittens engagieren wir uns bei der Gesundheitsprävention für Pflegekräfte.

BSZ: Zeigt die Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte schon Wirkung?
Gerlach: Durch die Zentralisierung der Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen beim Landesamt für Pflege haben sich die Verfahren deutlich beschleunigt. Seit dem Start im Juli konnten dadurch schon 800 Anträge erledigt werden. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit beträgt nur noch vier Wochen.

BSZ: In Bayern gibt es pro Jahr nur rund 100 Organspender*innen, gebraucht würden aber etwa dreimal so viele. Wie wollen Sie dieses Missverhältnis beseitigen?
Gerlach: Diese Diskrepanz ist in der Tat bedrückend. Grundsätzlich bin ich für eine Widerspruchslösung, weil Organspende dann der Normalfall wäre. Jeder und jede wäre automatisch Organspender, könnte dem aber aktiv widersprechen. Damit müssten sich alle mit der Thematik auseinandersetzen und noch zu Lebzeiten eine Entscheidung treffen. Das wäre auch eine Entlastung für die Angehörigen.

BSZ: Der Name Ihres Ministeriums ist um den Begriff „Prävention“ ergänzt worden. Wie wollen Sie ihn mit Leben füllen?
Gerlach: Damit das keine leere Hülle bleibt, erstellen wir den bayerischen Masterplan für Prävention und Gesundheitsförderung. Der Fokus soll dabei auf der Prävention der großen Volkskrankheiten liegen. Zudem wollen wir für klimabedingte Gesundheitsgefahren sensibilisieren, die Suchtprävention bei der Nutzung digitaler Medien und vor dem Hintergrund der vom Bund geplanten Legalisierung von Cannabis verstärken und zudem zielgruppenspezifische Präventionskampagnen starten.
(Interview: Jürgen Umlauft)

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