Politik

22.07.2022

ÖPNV: Braucht Deutschland ein 365-Euro-Ticket?

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Parteichef Markus Söder fordert ein 365-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr, um Bus und Bahn attraktiver zu machen. Sein Parteikollege Jochen Kohler, der auch Mitglied des Verkehrsausschusses im Landtag ist, hält dies ebenfalls für eine gute Idee. Verkehrsexperte Sebastian Körber bezweifelt dagegen, dass Menschen wegen eines solchen Angebots auf den ÖPNV umsteigen.

JA

Jochen Kohler (CSU), MdL und Mitglied des Verkehrsausschusses im Bayerischen Landtag

Die Einführung eines 365-Euro-Tickets für den gesamten ÖPNV in ganz Deutschland, wie es Ministerpräsident Markus Söder gerade erst gefordert hat, wird von Kritikern immer wieder infrage gestellt. Dabei wird ja das zeitweise eingeführte 9-Euro-Ticket von den Bürgerinnen und Bürgern sehr gut angenommen. Es mutet daher seltsam an, wenn man nun behauptet, es käme zu keiner signifikant höheren Akzeptanz des ÖPNV bei der Einführung eines 365-Euro-Tickets.
Es ist natürlich eine finanzielle Belastung für die Verkehrsbetriebe und damit auch für die Kommunen und Länder. Sollte das günstige Jahresticket kommen, müssten manche Kommunen – ohne Mittel von Bund und Land – viele freiwillige Leistungen streichen.

Wenn man aber auf der einen Seite vom Bund Klimaschutz fordert und sogar so weit geht, den Bürgerinnen und Bürgern abzuverlangen, im Winter die Heizung herunterzuregeln, dann kann ich nicht nachvollziehen, weshalb man auf der anderen Seite die erhöhten Kosten für die Einführung eines solchen Tickets scheut. Hier ist die Bundesregierung gefragt, die entsprechenden finanziellen Entlastungen für die Kommunen bereitzustellen. Klimaschutz sollte ganzheitlich erfolgen und darf nicht nur auf dem Rücken der Bürger ausgetragen werden. Die Bundesregierung muss hier liefern. Denn wir alle wissen, dass Klimaschutz kostet. Die Belastungen für die Menschen in unserem Land sind ohnehin schon hoch und einige kommen bereits an ihre finanzielle Belastungsgrenze. Die Ampel in Berlin ist nun gefordert, die entsprechenden Mittel bereitzustellen.

Mir ist bewusst, dass es – vor allem im ländlichen Raum – nicht möglich sein wird, komplett auf das (eigene) Auto zu verzichten. Aber für die Ballungsräume bin ich zuversichtlich, dass zahlreiche Menschen die Sinnhaftigkeit eines eigenen Fahrzeugs infrage stellen werden, wenn das Angebot im ÖPNV günstig ist und durch die häufigen Verbindungen auch eine richtige Alternative darstellt.


NEIN

Sebastian Körber, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag

Zugegeben: Ein 365-Euro-Jahresticket im ÖPNV klingt erst einmal verlockend. Doch der Nutzen ist erwiesenermaßen äußerst gering. So gibt es bislang keine wissenschaftliche Studie, die die Vorteile eines solchen Tickets hervorhebt. Auch die jüngste Untersuchung im Auftrag des Verkehrsverbunds Großraum Nürnberg (VGN) zeigt, dass allein durch Preisreduzierungen nicht mehr Menschen auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen.

Viele weitere wichtige Rahmenbedingungen wie Zeitersparnis, Angebotsqualität oder Komfort spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für den ÖPNV. Auch Erfahrungen aus vergangenen Preissenkungen zeigen, dass diese kaum bewirkt haben, dass hierzulande mehr Menschen vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen.

Eine höhere ÖPNV-Nutzung wurde nur durch eine insgesamt erhöhte Mobilität verursacht, sprich auch Radfahrer und Fußgänger haben die ÖPNV-Angebote vermehrt genutzt. Ein weiterer Aspekt: Durch die Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets müssten die Steuerzahler einen noch größeren Teil der sowieso schon subventionierten Tickets übernehmen. Zugleich würden den Verkehrsbetrieben wichtige Einnahmen verloren gehen.

Der öffentliche Nahverkehr muss aber nachhaltig finanziell gestärkt werden, um dringend notwendige Infrastruktur- und Kapazitätsausweitungen realisieren zu können. Kurzfristige und viel zu geringe Nachfrageeffekte durch vergünstigte Tickets können diese Lücke nicht schließen.
Damit eine Anpassung der Ticketpreise realisiert werden kann, müssen vorher die notwendigen Rahmenbedingungen im öffentlichen Nahverkehr geschaffen werden. Auch in Wien – das immer wieder als erfolgreiches Paradebeispiel herangezogen wird – hat die Stadt zunächst zwei Jahrzehnte lang die Kapazitäten ausgebaut, bevor ein 365-Euro-Jahresticket etabliert wurde. 
 

Kommentare (2)

  1. Nachdenker vom Land am 25.07.2022
    Schön, dass es das 9-Euro-Ticket für die gibt, die eh größtenteils einen guten Nachverkehr haben, ihn aber in den allermeisten Fällen ohne das Ticket zu bequem sind den ÖPNV zu nutzen.
    Die Allermeisten auf dem Land, ich wohne in der Rhön, haben nichts davon, da die Verbindungen für Arbeitnehmer zu ungünstigen Zeiten fahren, oder die Abstände der einzelnen Fahrmöglichkeiten es nicht sinnvoll machen.
    Dann hört man das Argument, dass ja die Pendlerpauschale erhöht wird. Ist ja schön gemeint, nur habe ich aktuell nichts davon, finanziere das ganze ja vor, bis ich es bei der Steuererklärung zurückbekomme.
    Die Erstgenannten habe sofort den finanziellen Vorteil.
    Ich habe den Eindruck, dass die Politik hier wie immer die Ballungsräume bevorzugt und das Land links liegen lässt.
    In den Ballungsräumen sind ja mehr Wähler.
  2. Schönberger am 24.07.2022
    JA, wir brauchen ein 365 Euro Ticket. Gerade für junge Menschen auf dem Land ist es ohne Mama Taxi
    nicht möglich kostengünstig zur Schule und Ausbildung zu kommen. Da man auf unterschiedliche
    Verkehrsmittel angewiesen ist, explodieren die Fahrtkosten.
    Meine Kinder würden dann sofort auf den ÖPNV umsteigen, was wir auch schon beim 9 Euro Ticket gemacht haben. Das 9 Euro Ticket war ein Segen für mich und meine Kinder.
    Es wäre auch eine Gleichberechtigung für Kinder auf dem Land. Wir bezahlen für ein Kind pro Tag zur Schule 6,40 Euro. In München darf dafür ein Kind den ganzen Tag in ganz München fahren.
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