Politik

Der Wasserstoff soll’s richten. (Foto: dpa/Sophie Brössler)

08.07.2022

Der Hoffnungsträger

Grüner Wasserstoff: Was kann er wirklich?

Wasserstoff wird als neuer Heilbringer in der Energiekrise gefeiert. Doch bis er verfügbar ist, werden noch Jahre ins Land gehen.

So ist noch nicht klar, wie viel per Ökostrom erzeugter Wasserstoff Bayern überhaupt benötigt. Der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW) ist gerade dabei, das mit der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) zu eruieren. Die entsprechende Studie wird Ende des Jahres vorliegen.

Fachleute schätzen für das Jahr 2040 einen Bedarf von zehn bis 100 Terawattstunden. Zum Vergleich: Ein Atomkraftwerk produziert pro Jahr zehn Terawattstunden. Das Zentrum Wasserstoff Bayern (H2.B) geht für 2040 von einem Bedarf zwischen 33 und 75 Terawattstunden aus. Wie sich der Bedarf in den folgenden Jahren entwickeln wird, ist offen.

Dass Fachleute einen so breiten Korridor für die benötigte Menge an Wasserstoff formulieren, hängt von vielen Faktoren ab. So stellt sich die Frage, ob sich energieintensive Industrien wie Glas-, Chemie- oder Aluminiumproduktion in Bayern überhaupt noch halten können, beziehungsweise politisch noch erwünscht sind.

Ein weiterer bedeutender Unsicherheitsfaktor bei der Bedarfsermittlung ist der Verkehrssektor. Ob und wie viele Lkw künftig mit Wasserstoff fahren, ist derzeit nicht abschätzbar. Sind es nur die 40-Tonner, oder auch schon die leichteren Laster, etwa die der Paketlieferdienste?

Wasserstoffzüge kommen

Aber nicht nur der Straßenverkehr wird Wasserstoff brauchen, auch der Schienenverkehr. So soll laut Bayerischer Eisenbahngesellschaft (BEG) frühestens ab Mitte 2023 zwischen Augsburg und Füssen zur Probe ein Wasserstoffzug eingesetzt werden. Außerdem läuft derzeit die europaweite Ausschreibung für den sogenannten Linienstern Mühldorf. Dort sind für die Strecke Mühldorf-Burghausen im bayerischen Chemiedreieck auch Wasserstoffzüge angefragt. „Mit einem Abschluss der Ausschreibung rechnen wir bis Mitte 2023“, erläutert BEG-Sprecher Wolfgang Oeser. Vertragsbeginn soll Dezember 2024 sein. Wobei die Wasserstoffzüge, soweit diese zum Zuge kommen werden, frühestens ab Dezember 2025 verkehren könnten, sagt Oeser.

Zentral wird auch die Frage sein, wie viel grünen, also aus Ökostrom gewonnenen, Wasserstoff Bayern selbst herstellen kann. Das hängt entscheidend davon ab, wie viel Strom aus erneuerbaren Energien in Bayern erzeugen werden kann. Der Ökostrom, der nicht unmittelbar verbraucht wird, könnte als Wasserstoff gespeichert werden. Dann könnte man ihn in der sogenannten Dunkelflaute im Winter, wenn kaum Wind weht und kaum die Sonne scheint, wieder in Strom umwandeln. Er könnte aber auch zum Heizen von Gebäuden verwendet werden. Ob sich die vorhandenen Erdgasspeicher in Bayern zu Wasserstoffspeichern umbauen lassen, müsste noch im Detail untersucht werden. Prinzipiell ist das aber möglich. Zumindest könnte man den Wasserstoff in den Erdgasnetzen speichern.

5000 Windräder in Bayern

Die Pläne des Bundes, Erdgasnetze zurückzubauen, stehen dem allerdings entgegen. Fachleute warnen schon länger vor dem Rückbau: Aus Erdgasnetzen können nämlich sehr wohl Wasserstoffnetze werden – wenn auch, technisch bedingt, nicht überall: „Ob das für jedes Erdgasnetz in jeder Stadt, in jedem Ortsteil oder in jeder Siedlung funktionieren wird, ist höchst umstritten“, erklärt VBEW-Hauptgeschäftsführer Detlef Fischer. Es wird nicht aus jedem Erdgashausanschluss ein Wasserstoffhausanschluss werden können.

Unstrittig ist, dass die Erzeugungskapazität von Ökostrom für die Erzeugung von grünem Wasserstoff massiv ausgebaut werden muss. Dafür sind neben mehr Freiflächenphotovoltaikanlagen auch weitere Windenergieanlagen nötig. Bürokratische Hemmnisse müssen dringend beseitigt werden. Selbst in der Staatsregierung, die bis vor Kurzem noch vehement an der umstrittenen 10H-Regel festhielt, setzt ein zaghaftes Umdenken ein. Bayerns Finanz- und Heimatminister Albert Füracker (CSU) hatte erstaunlicherweise bereits im Mai 2022 erklärt: „In meinem Landkreis Neumarkt gibt es 70 Windräder. In Bayern gibt es 71 Landkreise. Damit wären, wenn andere nach dem Vorbild von Neumarkt handeln würden, in Bayern 5000 Windräder möglich. Gegenwärtig sind es gerade einmal 1200. Und keiner wird behaupten, dass der Landkreis Neumarkt nicht mehr lebenswert sei.“

Die Chancen für den Wasserstoff stehen also gut. Es müssen nur mutige politische Entscheidungen getroffen werden. Dazu zählt auch der Bau einer Wasserstoffpipeline nach Bayern. Die Vereinigung der Fernleitungsbetreiber Gas (FNB Gas) geht hier voran und will in Deutschland ein 5900 Kilometer langes Netz aus Wasserstoffpipelines aufbauen. Es soll zu 90 Prozent auf dem bestehenden Erdgasnetz basieren – wenn der Bund es nicht vorher zerstört.
(Ralph Schweinfurth)

 

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