Politik

Von der Polizei in Bayern beschlagnahmte Autos. (Foto: dpa/Matthias Balk)

01.04.2022

Der Mafia in Bayern auf der Spur

Polizei und Justiz im Freistaat fordern mehr Zugriffe auf Handydaten – Fachleute sehen das kritisch

Die Ermittlungen klingen wie aus einem Krimi: Letztes Jahr konnte die bayerische Polizei auf einen Schlag 740 Kilogramm Kokain mit einem Marktwert von 30 Millionen Euro sicherstellen. „Eine der größten Mengen in der Geschichte der Polizeiarbeit des Freistaats“, sagte Kriminaldirektor Alfred Kauper vom Polizeipräsidium Oberfranken bei einer Pressekonferenz im Bayerischen Landeskriminalamt (BLKA). Begonnen hat alles mit der Entschlüsselung eines Datenpakets aus dem sogenannten Encrochat, ein Instantmessenger für Kriminelle.

Die App verwandelte jedes Smartphone in ein vermeintlich sicheres Tatwerkzeug. Neben dem normalen Betriebssystem gab es noch eine versteckte zweite Oberfläche, die mit einer speziellen Tastenkombination aktiviert werden konnte. Danach wechselte das Handy in einen verschlüsselten und hermetisch abgeriegelten Modus. Hersteller war ein 2014 gegründetes Unternehmen aus den Niederlanden, das sich für das Angebot mehrere Tausend Euro zahlen ließ – dafür aber einen ganzjährigen 24-Stunden-Service anbot. Europaweit hatte die App 60 000 User, davon 4500 in Deutschland und über 230 in Bayern.

Nachdem es der französischen und niederländischen Polizei 2020 in einer Geheimaktion gelang, das Encrochat-Netzwerk zu hacken, hatte plötzlich auch das BLKA Zugriff auf Millionen Nachrichten auf Encrochat-Telefonen. Die User wurden zwar von dem niederländischen Anbieter gewarnt, wechselten aber kurzerhand auf die Plattform Sky ECC, wo sogar Gruppenchats möglich waren. Was sie nicht wussten: Auch dort wurden elf Monate lang rund 10 000 Datensätze von der Polizei mitgelesen. Die gerichtliche Verwertung dieser Chats wurde kürzlich vom Bundesgerichtshof für zulässig erklärt.

Mit den Erkenntnissen aus den Datensätzen gelang es, Kriminelle mit Standortdaten in Oberfranken zu ermitteln. Sie warteten auf eine Rauschgiftlieferung am Güterverkehrszentrum in Bremen. Durch die Informationen aus den Chats konnten Einsatzkräfte der Polizei am 19. August 2021 in letzter Minute eine Umverteilung der Drogen von einem Rohkaffee-Container aus Südamerika auf andere Transportgüter verhindern. Die Empfänger im Raum Coburg konnten ausfindig gemacht und festgenommen werden. Es wurden sogenannte Vermögensarreste in Höhe von 875 000 Euro erwirkt und Waffen, Konten, Bargeld, Uhren und Autos beschlagnahmt.

Das Beispiel ist nur eines von vielen im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK). „Immer wieder werden hochwertige Kraftfahrzeuge über ein Umsatzsteuerkarussell durch EU-Staaten verschoben“, erläuterte Polizeivizepräsident Guido Limmer. Dadurch entstünden Steuerschaden in Höhe von 13 Milliarden Euro. Auch Cannabisplantagen gebe es nicht nur in Südamerika, sondern beispielsweise auch im Norden Bayerns in der Rhön.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) versprach, den Kampf gegen die OK weiter zu verstärken und insbesondere Schwerkriminellen den Profit zu entziehen. „Dafür setzen wir auch auf die Zusammenarbeit mit Polizei, Verfassungsschutz und Justiz.“ Die jüngsten Erfolge würden die guten Beziehungen belegen. Um künftig noch mehr Kriminelle überführen zu können, braucht es allerdings aus Sicht von Herrmann noch mehr Vermögensabschöpfung und vor allem neue Rechtsinstrumentarien – beispielsweise mit Einführung von 5G den Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation. 16 Jahre nach einer unionsgeführten Bundesregierung drängte er auf entsprechende Verbesserungen durch den Bund.

Autos, Bargeld und Kryptos

Auch Justizminister Georg Eisenreich (CSU) drängte auf gesetzliche Änderungen. „Ermittler brauchen digitale Ermittlungsbefugnisse“, sagte er. Auch die Wiederbelebung der Verkehrsdatenspeicherung sei wichtig. Der Europäische Gerichtshof habe zwar die anlassbezogene Verkehrsdatenspeicherung für unzulässig erklärt, aber beim Thema IP-Adressen ausdrücklich Ausnahmen zugelassen. Die Wiedereinführung sehen die Ampel-Koalition und andere Fachleute jedoch kritisch.

Für Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) verstößt die anlasslose Vorratsdatenspeicherung gegen die Grundrechte. Er spricht sich dafür aus, dass Telekommunikationsanbieter stattdessen „bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können“, das sogenannte Quick Freeze. In den Augen von Eisenreich reicht das aber nicht aus. Allerdings warnt auch der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, Frank Überall, vor einer „staatlich gewünschten Sammelwut“.

Bisher kommt der Freistaat allerdings auch so gut zurecht. Das Justizministerium hat in jeder Staatsanwaltschaft OK-Ansprechpartner oder sogar ganze OK-Abteilungen eingerichtet. Bei grenznahen Staatsanwaltschaften wurden zudem Spezialabteilungen mit bis zu sechs Spezialstaatsanwältinnen und -anwälten eingesetzt, die auch intensiv mit den Nachbarländern und anderen ausländischen Institutionen wie der kriminalpolizeilichen Organisation Interpol zusammenarbeiten. Allerdings seien internationale Rechtshilfeersuchen laut Eisenreich „nicht immer ganz leicht“.

Besonders wichtig für die bayerische Justiz ist die sogenannte Vermögensabschöpfung, also die Einziehung von beispielsweise Autos, Bargeld oder Kryptowährungen. Dafür gibt es seit 2018 eine eigene Koordinierungsstelle. Von 2020 bis heute konnten dadurch immerhin über 42 Millionen Euro eingezogen werden. „Geld, das ansonsten in den legalen Wirtschaftskreislauf gekommen wäre“, erläuterte der Münchner Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle. Mit dem Geld hätten viele Opfer insbesondere von Fake-Onlineshops entschädigt werden können. Damit, räumt Röttle ein, werde man die Mafiaorganisation ‘Ndrangheta zwar nicht zur Auflösung bringen. „Aber zumindest fließt ein Teil der Erlöse in die bayerische Staatskasse.“
(David Lohmann)

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