Politik

Die Grüne Sigi Hagl fordert in Landshut den amtierenden FDP-OB heraus. Die Umfragen sagen zumindest eine Stichwahl voraus. (Foto: Dominik Baur)

13.03.2020

Der Traum von der Stadtbegrünung

Bayerns Grüne strotzen derzeit nur so vor Selbstbewusstsein – bei den Kommunalwahlen könnten sie beweisen, wie nachhaltig ihr Höhenflug tatsächlich ist

Die Umfrageergebnisse der bayerischen Grünen sind mitunter fast schon schwindelerregend. Bisher stellen sie aber gerade mal zwei Landräte und 17 Erste Bürgermeister im Freistaat. Diese Zahlen wollen die Grünen jetzt verdoppeln – und dazu noch mindestens eine Oberbürgermeisterin stellen. Besuch bei zwei hoffnungsfrohen OB-Herausforderinnen.

„Mei, Sigi, ist das ein hübsches Theater“, ruft die Grüne Claudia Roth in den Zuschauerraum des Landshuter Stadttheaters. Ja, hübsch ist es schon. Nur komplett heruntergekommen. Kalt ist es, von Schimmel befallen, und die Technik so marode, dass der TÜV dem Theatertreiben 2013 ein Ende gesetzt hat. Seither spielt das Ensemble draußen vor der Stadt in einem Zelt. Nicht umsonst ist das Stadttheater gerade eines der heißen Wahlkampfthemen in Landshut. So weicht die Begeisterung von Roth recht schnell, als Sigi ihr die Hintergründe erklärt hat.

Sigi, das ist Sigi Hagl, die 52-jährige Oberbürgermeisterkandidatin der Grünen. Bei den Kommunalwahlen am 15. März will sie den Amtsinhaber in die Stichwahl zwingen. Hagl ist eine von 37 bayerischen Grünen, die sich aktuell um den Job des Oberbürgermeisters bewerben, dazu kommen 155 Bürgermeisterkandidaten. Und allesamt versprühen sie Zuversicht. Umfragen prophezeien den Grünen vor allem in den Städten gewaltige Stimmenzuwächse, vielerorts wird damit gerechnet, dass sie künftig die stärkste Fraktion stellen.

Ein Wahlkampf, den auch die Bundesgrößen der Partei gern unterstützen. So nun Claudia Roth in dem Landshuter Theater, die vom „Grundnahrungsmittel Theater“ spricht, das es zu bewahren gelte. Am Abend gibt es noch eine Talkrunde mit Schauspielern und Theaterfreunden, da ist Roth aber schon am anderen Ende Niederbayerns, in Passau muss sie die dortigen OB- und Landratskandidatinnen Stefanie Auer und Veronika Fischl unterstützen.

„Wir arbeiten uns heute nicht mehr an der CSU ab“

Eine gute Grundlage für ihren derzeitigen Höhenflug haben die bayerischen Grünen bei der Landtagswahl vor anderthalb Jahren gelegt. Damals hatte man von einem Direktmandat geträumt, in Münchens Zentrum, wo Fraktionschef Ludwig Hartmann kandidierte und die Bevölkerungsstruktur ideal erschien. Geworden sind es dann sechs. Mit 17,6 Prozent und 38 Sitzen stellen die Grünen mittlerweile die zweitstärkste Fraktion im Landtag. Jetzt wird sich zeigen, wie anhaltend das Hoch ist.

Aufgestellt ist die Partei gut: Während es vor anderthalb Jahren noch knapp 11 000 Grüne in Bayern gab, sind es jetzt schon 16 500. Und die Zahl der Ortsverbände ist seit der Landtagswahl um 140 auf 470 gestiegen, sodass die Grünen nun in deutlich mehr Kommunen überhaupt zur Wahl antreten können. Bisher stellen sie gerade mal zwei Landräte und 17 Erste Bürgermeister. Diese Zahlen wollen die Grünen jetzt verdoppeln – und dazu noch mindestens eine Oberbürgermeisterin stellen.

Am liebsten natürlich in München. Dort steht OB-Kandidatin Katrin Habenschaden gerade an einem Infostand neben dem Wochenmarkt am Ackerbogen. Tulpenzwiebeln, Gladiolen und Seedbombs gibt es für die Passanten. Und jede Menge Flyer. Die Kinder kriegen Windräder.

Auch Habenschaden holt sich immer mal wieder prominente Wahlkampf-Unterstützung aus dem Bund. An diesem Tag: Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Während der amtierende OB Dieter Reiter (SPD) sich über jeden sozialdemokratischen Bundespolitiker freut, der der Landeshauptstadt in diesen Tagen fernbleibt, profitieren die Grünen noch immer vom Bundestrend. Der Ackerbogen liegt im Stadtteil Schwabing-West. Bei der Landtagswahl haben die Grünen hier 38 Prozent der Stimmen bekommen. „Ich bin Stammwähler“, verkündet ein Mann mit Wollmütze, und dass er versuchen werde, noch zehn weitere Wähler zu werben.

Woher nehmen die Grünen plötzlich ihr großes Selbstbewusstsein, was haben die Grünen von heute, was sie bei den letzten Kommunalwahlen noch nicht hatten? „Optimismus“, sagt Sigi Hagl, die bis letzten Herbst sechs Jahre auch Landesvorsitzende ihrer Partei war. „Wir kommunizieren heute anders als vor sechs Jahren.“ Früher habe man in Bayern knallharte Oppositionspolitik gemacht, sich an der CSU abgearbeitet. „Heute stellen wir nach vorne, was wir anders machen wollen.“

Habenschaden und Hagl: keine Klischeegrünen

Dem stimmt auch Ursula Münch zu, Leiterin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Außerdem hätten die Grünen heute ein Führungspersonal, das breitere Teile der Öffentlichkeit anspricht, und legten den Fokus nicht mehr nur auf spezifisch grüne Themen. Bestes Beispiel dafür sei Katharina Schulze, Fraktionschefin der Grünen im Landtag. In der Tat steht gerade Schulze für zwei Dinge, die die Grünen von 2020 ausmachen: eine neue Fröhlichkeit und eine Öffnung zu Themen, die man früher weniger mit der Partei verbunden hatte. Schulze organisiert grüne Polizeikongresse, fährt Streife mit, sitzt im Innenausschuss. Sie lacht viel und herzlich. Wie auch Habenschaden. Und Hagl.

Ausgerechnet in München aber haben es die Grünen mit einem leidlich beliebten Amtsinhaber zu tun. Reiter baut vor allem auf seinen Amtsbonus, reduziert den eigenen Wahlkampf auf das Nötigste. Und dennoch liegt Reiter in der letzten Umfrage mit 39 Prozent deutlich vorn. Kristina Frank, die CSU-Kandidatin kommt auf 16 Prozent. Habenschaden auf immerhin auf 23 Prozent.

Habenschaden und Hagl waren beide schon über 30, als sie sich entschieden, den Grünen beizutreten und politisch aktiv zu werden. Bei Habenschaden war es der Bundestagswahlkampf 2009, bei Hagl die OB-Wahl 2004. „Und damals war das ja noch so“, erzählt Hagl: „Sobald du bei den Grünen eingetreten bist, hattest du schon irgendeinen Posten im Vorstand. So schnell konntest du gar nicht schauen.“ 2008 wurde Hagl, die zuvor bei einem lokalen Radiosender gearbeitet und Politik studiert hatte, erstmals in den Stadtrat gewählt, Habenschaden 2014. Hagl wurde umgehend zur Fraktionschefin gewählt, Habenschaden nach einer vierjährigen Schonfrist.

Habenschaden ist 42 Jahre alt, Bankkauffrau und Betriebswirtin. Sie habe nicht ihr ganzes Leben in der Verwaltung verbracht, sie kenne die Probleme der Menschen, sagt sie beim Mittagessen im Café des Bellevue di Monaco, einem Flüchtlingsprojekt, und dreht ihre Spaghetti auf die Gabel. Das mit der Verwaltung ist natürlich, ganz nebenbei, eine Spitze gegen Amtsinhaber Reiter, der aus der Stadtverwaltung kommt. Bei der Sparkasse kümmert sich die gebürtige Nürnbergerin um Unternehmensfinanzierungen. Die Klischee-Grüne sieht anders aus. Ein Vorteil? „Ja“, sagt Habenschaden, „zum einen, weil diese Klischees vom politischen Gegner nicht als Vorwurf ausgepackt werden können, zum anderen, weil es auch eine große Offenheit vonseiten der Wirtschaft für mich gibt.“

Später im Oberangertheater, einem Veranstaltungsort in der Zentrale der Bayern-SPD. Es geht ums Thema Wohnen – früher war das mal ein richtiges Sozi-Thema. Inzwischen haben auch die Grünen es längst zu einem ihrer wichtigsten Wahlkampfthemen erkoren. Habenschaden und Göring-Eckardt stehen an weißen Stehtischchen und sprechen über die Wohnsituation in München. „Wir dürfen uns nicht zu einem bayerischen London entwickeln“ , sagt Habenschaden. Ein Satz, den sie stets sagt, wenn es ums Thema geht. Habenschaden will nachverdichten. Aber: „Jede Wiese zubauen – das geht natürlich nicht.“

Einst war Landshut eine sichere Bank für die CSU

Zurück nach Landshut. Hagl ist gerade auf dem Weg zum Haustürwahlkampf, da biegt aus der Rosengasse ein dunkler BMW mit getönten Scheiben in die Altstadt. Die Nummer des Wagens: „LA – OB 1“. Man braucht nicht viel Fantasie, um zu wissen, wessen Dienstwagen das ist. „Das Nummernschild hat der eingeführt“, erzählt Hagl. Der – das ist Alexander Putz, der Mann, auf dessen Job es Hagl abgesehen hat. Und es ist klar, was Hagl damit meint: die ihrer Ansicht nach selbstherrliche Art des Regierens dieses Stadtoberhaupts – des einzigen Oberbürgermeisters, den die FDP in Bayern stellt.

Landshut ist geradezu sinnbildlich für polit-tektonische Verschiebungen, wie sie in diesem Land möglich sind – und wie sie vor noch nicht allzu vielen Jahren noch keiner für möglich gehalten hat. Landshut war stets eine sichere Bank für die CSU. Doch die Partei hatte sich entzweit; die Kandidatin, die als Favoritin gehandelt wurde, starb kurz vor der Wahl 2014, und von den übrigen Kandidaten machten die Landshuter in ihrer Ratlosigkeit dann Putz zu ihrem neuen Oberbürgermeister.

Themen gibt es natürlich genug, nicht nur das marode Stadttheater. Das zentralste dürfte das enorme Wachstum der Stadt sein. Landshut wächst in einer Geschwindigkeit wie kaum eine andere Stadt in Bayern. Von 63 000 auf 73 000 ist die Einwohnerzahl in nur zehn Jahren gestiegen. Niemand war darauf vorbereitet. Und der Trend hält an. Dieses Wachstum müsse nun gelenkt werden, fordert Hagl. „Aber diese Stadt hat keine Idee, wo sie eigentlich hin will.“ Vor allem müsse die Stadt selber bauen, sagt sie, notfalls Mut zur Neuverschuldung zeigen.

Eine Umfrage der Landshuter Zeitung vom November sagt Putz 44,7 und Hagl 19,3 Prozent voraus. In einer Stichwahl würden zwei Drittel der Befragten dann aber für den Amtsinhaber stimmen. Hagl lässt sich davon nicht beeindrucken. Bei einer Stichwahl, das sagt sie genauso wie Habenschaden, würden die Karten neu gemischt.
(Dominik Baur)

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