Tarek Abdin-Bey, Vorsitzender des Deutsch-Syrischen Vereins, verbringt fast jede freie Minute am Münchner Hauptbahnhof – beantwortet Fragen der syrischen Landsleute und dolmetscht für die Polizei. Dabei ist es gar nicht so einfach, jemandem zu erklären, warum er in den Bus nach Erfurt steigen soll, wenn er doch Verwandte in Stuttgart hat. Vergangene Woche war er bei Innenminister Herrmann – auch um zu fragen, warum es mit der Familienzusammführung so oft nicht klappt. BSZ: Herr Abdin-Bey, die Einführung von Grenzkontrollen lässt auch Sie als Flüchtlingshelfer wieder etwas durchatmen. Sind Sie erleichtert?Abdin-Bey: Nein, denn eine wirkliche Lösung sind sie nicht. Die Beruhigung in München wird nicht von

Dauer sein, weil die Grenzkontrollen und -sperrungen nicht für immer bleiben können. Ich hoffe nur, dass es nicht während des Oktoberfestes wieder losgeht. Denn dann hätte ich wirklich Angst, dass es am Hauptbahnhof zu Chaos kommt.
BSZ: Wie sieht Ihre Arbeit dort konkret aus?Abdin-Bey: In erster Linie versuche ich mit einigen Mitgliedern des Deutsch-Syrischen Vereins, die ankommenden Syrer zu beruhigen. Gerade angekommen, werden sie meist sofort in Busse verfrachtet – wohin die fahren, wissen die Leute nicht. Manche haben sogar Angst, dass sie wieder nach Budapest zurückgebracht werden. Andere haben in München Verwandte oder wollen in eine bestimmte Stadt, weil dort bereits Familienmitglieder leben. Dieses Problem aber können wir nicht lösen.
BSZ: Wie beruhigen Sie die Menschen?Abdin-Bey: Indem wir ihnen erklären, dass sie erst einmal durch das Asylverfahren müssen, dann aber zur Verwandtschaft kommen. Ich befürchte allerdings, dass sich diese Prozedur, die bislang knapp acht Monate dauerte, angesichts der hohen Flüchtlingszahlen noch mal verlängern wird. Vor einigen Tagen habe ich einen jungen Syrer in der Bayernkaserne getroffen, dessen Termin für die Anhörung erst im Februar ist.
"Die Sicherheitskräfte sind überfordert"
BSZ: Vergangene Woche hatten auch Sie einen Termin – bei Innenminister Joachim Herrmann. Was haben Sie besprochen?Abdin-Bey: Ich wollte zum Beispiel wissen, warum die Asylverfahren so lange dauern. Er hat die Verantwortung auf den Bund geschoben und auf die zu geringe Zahl von Mitarbeitern beim Bundesamt für Migration. Jetzt allerdings haben wir erfahren, dass man künftig auf eine mündliche Anhörung von syrischen Flüchtlingen verzichten will, um die Verfahren zu beschleunigen. Davon halte ich überhaupt nichts.
BSZ: Warum nicht?Abdin-Bey: Weil es einige Flüchtlinge aus anderen Ländern gibt, die sich als Syrer nach Deutschland schmuggeln. Und es gibt Übersetzer, die diese Menschen dabei unterstützen. Ohne das sogenannte Interview mit Dolmetschern aus der Region gibt es keinerlei Überprüfungsmöglichkeit, ob ein Flüchtling tatsächlich den Dialekt der Region spricht, aus der er angibt, zu kommen. Anhörungen sollten zumindest noch stichprobenartig stattfinden.
BSZ: Wo hapert’s noch?Abdin-Bey: Familienzusammenführungen klappen oft nicht. Landsleute, auch gut situierte, schreiben seit Monaten Anträge, um Familienmitglieder zu sich holen zu dürfen. Ohne Erfolg. Also bleibt nur der Fluchtweg, auf dem die Gefahr zu sterben groß ist. Muss das sein?, habe ich Herrn Herrmann gefragt. Eine Antwort, warum es derartige Verzögerungen gibt, hatte er nicht.
BSZ: Sind die Behörden angesichts der riesigen Zahl an Flüchtlingen nicht einfach überfordert?Abdin-Bey: Ja, wahrscheinlich. Wer auf jeden Fall extrem überfordert ist, sind manche Sicherheitskräfte. Ich habe selbst miterlebt, wie schlecht Asylsuchende mitunter behandelt werden. Mit den Worten hopp, hopp, hopp hat zum Beispiel eine Sicherheitsfrau vier Afrikaner vor sich hergetrieben und ins Ankunftszentrum gescheucht – als wären sie keine Menschen, sondern Tiere.
"Ein Flüchtling hat gefragt: Wo kann ich morgen arbeiten"
BSZ: Was sind die dringendsten Fragen der ankommenden Flüchtlinge?Abdin-Bey: Zuerst einmal: Wir halten uns sehr zurück, wenn wir syrische Flüchtlinge ansprechen. Sind wir zu offensiv, werden viele misstrauisch. Sie fragen sich dann: Ist das ein Regimeanhänger, einer von der Botschaft, ein Spion? Am häufigsten wird gefragt: Muss ich hierbleiben? Wie komme ich in die und die Stadt? Andere, die ihre Familie auf der Flucht verloren haben, suchen eine Stelle, wo sie nach ihr fragen können. Aber ich habe auch schon folgende Frage gehört: Wo kann ich ab morgen arbeiten? Dann erkläre ich, wie das Verfahren abläuft. Wie lange es dauert, erzähle ich aber nicht immer, um die Menschen nicht zu sehr zu entmutigen.
BSZ: Warum ist Deutschland so beliebt bei den Flüchtlingen?Abdin-Bey: Die hohe Zahl an Flüchtlingen hat mich selbst überrascht. Deutschland war zwar schon immer ein sehr beliebtes Land in Syrien. Und dass Angela Merkel gesagt hat, alle syrischen Flüchtlinge seien in Deutschland willkommen, trägt sicher auch dazu bei. Aber natürlich spielt auch die aktuelle Situation in Syrien eine Rolle. Der Krieg dauert einfach schon viel zu lange. Daran gebe ich auch der Weltgemeinschaft eine Mitschuld, die das Assad-Regime trotz Giftgaseinsatz gewähren lässt und Waffen in die Region liefert.
BSZ: Der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger hat angeregt, Syrer wieder zurückzuschicken, schließlich würde ja nicht überall gekämpft.Abdin-Bey: Das ist der größte Blödsinn, den ich je von einem CSU-Politiker gehört habe. Der soll erst mal selbst durch die Straßen von Damaskus gehen. Und erfahren, wie es sich anfühlt in diesem Kessel, behütet von einem Regime, von dem man weiß, wie es mit Gegnern umgeht.
"Es gibt unter den Flüchtlingen viele Mediziner, Ingenieure oder IT-Techniker"
BSZ: Was sind das für Leute, die in München ankommen? Schlepper kosten viel Geld, kommen also nur Vermögende?
Abdin-Bey: Es stimmt: Nicht alle Flüchtlinge sind arm. Manche Familien aber haben auch zusammengelegt, um einen jungen Mann vor dem Militär bewahren zu können. Es gibt unter den Flüchtlingen viele Mediziner, Ingenieure oder IT-Techniker. Aber insgesamt ist das eine bunte Mischung.
BSZ: Eine große Herausforderung wird auch die Integration sein. Was sind die wichtigsten Maßnahmen?Abdin-Bey: Das Allerwichtigste ist natürlich das Erlernen der Sprache. Ein Vorschlag, den ich Innenminister Herrmann ebenfalls gemacht habe: Flüchtlingen bereits während des Asylverfahrens Deutschkurse anzubieten. Monatelang sind diese Menschen zum Nichtstun verdammt. Diejenigen, die dann arbeiten dürfen, können schon etwas Deutsch. Und diejenigen, die abgeschoben werden, nehmen eine Fertigkeit mit, die ihnen vielleicht noch helfen kann.
BSZ: Wie sieht es mit der Vermittlung europäischer Werte aus? Das Frauenbild in Syrien unterscheidet sich doch fundamental, und Homosexuelle werden verfolgt.Abdin-Bey: Mit aller Deutlichkeit muss ich hier klarstellen: Syrien war vor der Revolution ein sehr offener Staat – es gab verschleierte Frauen ebenso wie Frauen im Minirock. Auch spielte es keine Rolle, welcher Religion einer angehörte. Von vielen Menschen wusste ich das nicht einmal. Ja: Homosexualität wird nicht toleriert. Selbst manche, die bereits länger in München leben, können sie bis heute leider nicht voll akzeptieren. Erzwingen können Sie das aber nicht, Sie müssen den Menschen Zeit geben. Und die eigene Haltung deutlich machen. (
Interview: Angelika Kahl)
Foto: Tarek Abdin-Bey (71) lebt bereits seit 54 Jahren in Deutschland. Er ist Vorsitzender des Deutsch-Syrischen Vereins in München; aka
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