Am 23. Juli 2023 hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im Sommerinterview des ZDF eine gemeinsame Arbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene für möglich erklärt. Nach heftiger Kritik aus den eigenen Reihen hat er sich anderntags davon distanziert. Auch der CSU-Vorsitzende hat bekräftigt: "Wir sind ganz klar gegen jede Form der Kooperation mit der AfD, egal ob auf europäischer, auf Bundes-, auf Landes- oder gar auf kommunaler Ebene". Dabei ist es keine zwei Wochen her, dass Manfred Weber, seit 2015 stellvertretender Parteivorsitzender der CSU, als Vorsitzender der Europäischen Volkspartei in einer Allianz mit der europäischen Rechten versucht hat, das Renaturierungs-Gesetz, ein wesentlicher Baustein des Green Deal der Europäischen Kommission, zu verhindern. Das ist zwar misslungen. Aber es ist gelungen, die Brandmauer der Union gegen die rechten und ultrarechten Parteien in Europa einzureißen.
Es ist schon ein beängstigendes Spektrum an Verbündeten, das die EVP von Manfred Weber da umworben hat. Da sind einmal die Vertreter der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, mit national-konservativen, europaskeptischen und rechtspopulistischen Parteien aus Polen, Spanien und Finnland. Da ist aber auch die Fraktion Identität und Demokratie mit den nationalistischen, europafeindlichen und teils rechtsextremen Parteien wie die deutsche AfD, die österreichische FPÖ, die italienische Lega, der französische Rassemblement National und der Vlaams Belang, die Nachfolgeorganisation des Vlaams Blok aus Flandern.
Wiederholt hatten die Spitzen von CDU und CSU eine Brandmauer gegen die AfD beschworen. So Friedrich Merz: „Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben. Da werde ich sehr konsequent sein.“ Und noch Mitte Juni dieses Jahres hat er betont: „Es wird für uns weder im Europaparlament noch im Deutschen Bundestag noch in irgendeinem Landtag in Deutschland eine Zusammenarbeit mit dieser Partei geben.“ Auch die CSU hat noch vor wenigen Wochen an der Brandmauer zur AfD festgehalten. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte zur Bild-Zeitung: „Die klare Abgrenzung nach Rechtsaußen ist von zentraler Bedeutung für die Union als Partei der gesellschaftlichen Mitte. Eine unverrückbare Brandmauer nach Rechtsaußen ist Teil unseres Wesenskerns. Die AfD ist der politische Gegner der Union und kein Partner.“ Und noch vor vier Monaten hat Markus Söder seinen Parteivize Manfred Weber öffentlich gerüffelt und jegliche Zusammenarbeit der Europäischen Volkspartei mit der ultrarechten Partei Fratelli d'Italia von Meloni ausgeschlossen. Das alles ist jetzt Makulatur. Nicht nur die Fratelli, sondern alle rechten und ultrarechten Parteien in Europa sind jetzt willkommene Partner der CSU. Damit ist sie weiter nach rechts gerückt als jemals zuvor.
Ökosysteme bis 2030 wiederherstellen
Das "Gesetz zur Wiederherstellung der Natur"ist ein zentrales Vorhaben von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Damit will die Kommission die völkerrechtlich verbindlichen Verpflichtungen aus dem Weltnaturvertrag vom Dezember 2022 in Montreal erfüllen. Das Gesetz hat zum Ziel, 20 Prozent der Ökosysteme bis 2030 wiederherzustellen. Es sollen mehr Mischwälder entstehen und mehr Grünflächen. Flüsse und Bäche sollen wieder ihren natürlichen Verlauf nehmen. Entwässerte Moore sollen wiederhergestellt und der Einsatz von Pestiziden halbiert werden. Dabei handelt es sich nur um Ziele. Wie sie erreicht werden, obliegt den Mitgliedstaaten. Tausende Wissenschaftler, Umweltverbände und viele Unternehmen sehen in dem Gesetz ein wichtiges Element für einen unbedingt notwendigen Systemumbau, der langfristig Natur und Ernährung gleichermaßen sichert. Die Regierungen der EU-Staaten hatten den Entwurf auch mit den Stimmen von konservativen Parteien angenommen. Mehr Biodiversität soll langfristig die Grundlagen der Landwirtschaft sichern und auch den Klimaschutz fördern.
Doch Weber und seine Verbündeten im rechten Lager haben dieses Gesetz zum Anlass genommen, den Kampf gegen Artenschwund und Klimawandel fundamental in Frage zu stellen. Der populistische Kulturkampf gegen eine vorausschauende und vorsorgende Klimapolitik wird damit nach Europa getragen. Die EVP hatte bei einem Parteikongress Anfang Mai in München ihre Linie beschlossen: keine Zumutungen mehr für die Landwirtschaft. Mit Blick auf die Landtagswahlen in Bayern und die Europawahl 2024 wurde angekündigt, man wolle das Naturschutzpaket der EU-Kommission bekämpfen. Zur Begründung hatte EVP-Chef Manfred Weber eine „De-Industrialisierung“ angeführt, weil die Renaturierung die Existenz der Landwirtschaft und die Lebensmittelsicherheit in Europa gefährde.
Diese Kampagne für die Agrarindustrie und gegen die Natur steht im eklatanten Widerspruch zur traditionellen bayerischen Agrarpolitik. Schon Franz Josef Strauß hat Agrarfabriken und Massentierhaltung massiv kritisiert. Für Markus Söder ist die bäuerliche Landwirtschaft die Seele Bayerns. Bayern will die Renaturierung fördern und die Biodiversität erhalten, heißt es im Regierungsprogramm 2023. 55.000 Hektar Moore sollen als natürliche CO2-Speicher in Bayern wiederhergestellt werden, während die EVP mit ihrer rechten Mehrheit erreicht hat, dass die Vernässung der Moore aus dem Green Deal gestrichen wurde. Bayern hat schon 2018 beschlossen, den Verbrauch von Pestiziden in der Landwirtschaft bis 2028 zu halbieren, in der EU soll dies nun bis 2030 geschehen. Im Regierungsprogramm der CSU wird wie im EU-Gesetz angekündigt: Wir machen den Wald durch den Umbau und eine integrative Waldbewirtschaftung hin zu mehr Mischwald klimaresistenter und damit zukunftsfest.
Durch Versiegelung den Landwirten Boden entzogen
Und nicht etwa durch Renaturierung, sondern durch Versiegelung der Böden sind den Landwirten in Bayern seit 2003 sechs Prozent ihrer Flächen entzogen worden. Hier ist Bayern bundesweit Spitze. Seit langem beklagt der Bauernverband, dass den landwirtschaftlichen Familienbetrieben etwa 4000 Hektar Bewirtschaftungsflächen pro Jahr durch raumbedeutsame Planungen sowie Siedlungs- und Infrastrukturmaßnahmen verloren gehen, damit auch Flächen, die – wie der Verband feststellt - für Insekten, Bienen, Vögel und Wildpflanzen Lebensraum sind.
Wie haltlos auch die Warnung vor einer Lebensmittelknappheit in Europa durch Renaturierung ist, zeigen die Fakten. Nach wie vor herrscht in Europa eine Überproduktion, die schon Franz Josef Strauß vehement angegriffen hat. Die industrielle Landwirtschaft, wie sie in der EU praktiziert und von den rechten Parteien unterstützt wird, beutet die natürliche Ressourcenbasis aus, von der sie abhängig ist. Die Auswirkungen reichen vom Verlust der biologischen Vielfalt über die Verschlechterung der Böden und des Wassers bis hin zum Höfesterben. Die Agrarsubventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik zielen traditionell auf die Produktionssteigerung in Schlüsselsektoren wie Getreide, Fleisch und Milchprodukte. In der EU werden mehr tierische Erzeugnisse produziert, als wir verzehren: 16 Prozent mehr Schweinefleisch, 14 Prozent mehr Milch, 8 Prozent mehr Geflügel und 4 Prozent mehr Rindfleisch. Zwei Drittel der Getreideproduktion dienen als Tierfutter.
Das Bündnis der EVP mit den Rechten ist eine Kampfansage an den Konsens der Demokaten zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Europa. Die Glaubwürdigkeit der CSU steht gleich doppelt auf dem Spiel: bei der proklamierten Brandmauer gegen die Rechtspopulisten ebenso wie bei ihren Versprechungen zu Umweltschutz und Artenvielfalt. Profitieren wird von einem neuerlichen Rechtsruck nur die AfD.
(Rudolf Hanisch)
(Der Beitrag stammt vom Autor des Buches „CSU in der Krise – eine Volkspartei am Scheideweg“. Er war 2005 bis 2009 Vorstandsvize der BayernLB und zuvor unter Ministerpräsident Edmund Stoiber Staatskanzleichef.)
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