Das hat Franz Josef Strauß in seiner berühmten Sonthofener Rede vom 19. November 1974 festgestellt: „Bei der FDP kann man sich auf eines verlassen. Nämlich eine berechenbare Komponente, ihre Charakterlosigkeit. Die Charakterlosigkeit der FDP verbunden mit ihrem Selbsterhaltungstrieb ist eine der zuverlässig berechenbaren Komponenten.“
Das Wortprotokoll seines Referates, das er vor der CSU-Landesgruppe auf einer Klausurtagung im Hochzeitszimmer des Hotels "Sonnenalp" in Ofterschwang bei Sonthofen 1974 gehalten hat, wurde vom Spiegel in Auszügen am 9. März 1975 veröffentlicht. Strauß ging es darum, ob die in der Opposition befindliche Union die Koalitionsregierung von Helmuth Schmidt und Dietrich Genscher unterstützen sollte, die nach dem Rücktritt von Willy Brandt seit dem 16. Mai 1974 im Amt war. 50 Jahre später ist die Frage wieder aktuell, ob die Union die nach dem Bruch der Ampelregierung verbleibende Bundesregierung bis zu Neuwahl zumindest punktuell unterstützen oder der seinerzeit von Strauß postulierten Obstruktions-Strategie folgen soll. Es lohnt sich, den damaligen Text noch einmal im Wortlaut nachzulesen:
"Ich persönlich habe die Auffassung gestern vertreten, der sich dann die Mehrheit angeschlossen hat, dass wir erst am Anfang der großen Krise stehen; ich denke, dass die Zerrüttung der Staatsfinanzen unaufhaltsam weitergeht mit unübersehbaren Folgen, und dass auch nicht allein unter Einfluss der weltwirtschaftlichen Krisenverhältnisse, die natürlich zurückschlagen auch auf uns, aber auch aufgrund der fünf Jahre begangenen Fehler und Versäumnisse, Missachtung auch unserer Vorschläge und Warnungen, die Zerrüttung der einheimischen Wirtschaft ebenfalls schrittweise weitergeht. …. Aber der Grundgedanke, den ich hier vertreten habe, war der: Erstens kann man jetzt überhaupt kein Rezept empfehlen ohne sich in große politische Schwierigkeiten zu begeben und zweitens ist das Bewusstsein der Öffentlichkeit noch nicht so weit bzw. ist die Öffentlichkeit noch nicht so stark schockiert, dass sie bereit wäre, die Rezepte, die wir zur langsamen Heilung der Krise für notwendig halten, in Kauf zu nehmen.
Lieber eine weitere Inflationierung, weitere Steigerung der Arbeitslosigkeit, weitere Zerrüttung der Staatsfinanzen in Kauf nehmen, als das anzuwenden, was wir als Rezept für notwendig halten … Es muss wesentlich tiefer sinken, bis wir Aussicht haben, politisch mit unseren Vorstellungen, Warnungen, Vorschlägen gehört zu werden. Es muss also eine Art Offenbarungseid und ein Schock im öffentlichen Bewusstsein erfolgen. Wir können uns gar nicht wünschen, dass dies jetzt aufgefangen wird, sonst ist es ja nur eine Pause, und nach der Pause geht es ja doch in der falschen Richtung dann wieder weiter. Die Auflösung der jetzigen Bundesregierung ist das vorrangige Ziel und hier besteht durchaus die Möglichkeit, dass noch vor dem Jahr 1976 es zu einer Änderung kommt."
Wohlstand und Sicherheit sind bedroht wie selten zuvor
Die entscheidende Frage ist, ob man noch weitere vier Monate tatenlos zuwarten will, bis man selbst an der Regierung ist, die ja auch wieder eine Koalitionsregierung sein wird. Die Bedrohung unseres Wohlstandes und unserer Sicherheit haben heute ein weit größeres Ausmaß erreicht als vor 50 Jahren. Der Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, warnt dieser Tage davor, dass ein neuer Handelskrieg die deutsche Wirtschaft bis zu 180 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren kosten würde. Ohne eine Lockerung der Schuldenbremse, wie sie sämtliche Wirtschaftsverbände und fast alle Ökonomen fordern, werden diese und andere Herausforderungen wie der Ausbau von Infrastruktur und Transformation nicht zu lösen sein. Was aber kurzfristig geschehen könnte, ja müsste, wäre die von der FDP verantwortungslos verweigerte Unterstützung für die Ukraine in Höhe von drei Milliarden Euro, damit das Land die russische Bedrohung im anstehenden Winter übersteht. Aus staatspolitischer Verantwortung sollte die Union diese Hilfe ermöglichen, wie sie es schon beim Sondervermögen Bundeswehr getan hat. Allerdings sollte sie es mit der Auflage verbinden, dass Deutschland endlich die Taurus-Marschflugkörper liefert und die Reichweitenbegrenzung aufhebt. Russland bedroht unsere Freiheit, nicht die der Amerikaner.
Ein weiterer Passus in der Strauß-Rede, der sich mit dem Schüren von Angst in der Politik befasst, gibt Anlass zum Nachdenken. So hat er gefordert: "Aber die vielen nüchternen harten Fragen der Landespolitik, also der Strukturpolitik, der Regionalpolitik usw., wo man viel Sachkunde braucht, viel Detailkunde braucht, unendliches Maß an Fleiß aufwenden muss und trotzdem keine rauschenden Feste damit feiern kann, all das macht nicht die Wahlergebnisse für morgen aus, sondern die Emotionalisierung der Bevölkerung, und zwar die Furcht, die Angst und das düstere Zukunftsbild sowohl innenpolitischer wie außenpolitischer Art. Wir müssen die Auseinandersetzung hier im Grundsätzlichen führen. Da können wir nicht genug an allgemeiner Konfrontierung schaffen."
Waren es bei Franz Josef Strauß noch die Sozialisten, gegen die Ängste geschürt wurden, so hat die CSU heute ein grünes Feindbild. An Stelle einer sachlichen Auseinandersetzung werden die Grünen als Verbotspartei diffamiert, die das Land angeblich umerziehen will und daher kein Koalitionspartner sein könne. Der Ausschluss einer zweifelsfrei demokratischen Partei von möglichen Koalitionen nach der Bundestagswahl könnte sich noch rächen. Sachsen ist ein warnendes Beispiel. Auch dort hatte der Ministerpräsident eine künftige Regierungsbeteiligung der Grünen kategorisch abgelehnt. Zusammen mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die Linken bleiben nur noch die Alternativen Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Um mit Max Weber zu sprechen: Die Frage ist nur, wohin Machtpolitik statt Sachpolitik hinführt. Der bloße "Machtpolitiker", sagt Max Weber, "wirkt in der Tat ins Leere und Sinnlose".
(Rudolf Hanisch)
(Der Autor war Politikreferent von Franz Josef Strauß und Staatskanzleichef unter Edmund Stoiber)
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