Politik

Den Marienplatz im Blick: Die präventive Wirkung von Überwachungskameras ist umstritten. (Foto: dapd)

08.03.2013

Die gefühlte Sicherheit

Im Freistaat gibt es immer mehr Videoüberwachung - Gewalttäter schreckt sie selten ab, erleichtert aber die Aufklärung

Verbringt man einen Tag in London, wird man laut Statistik 300 Mal gefilmt. 500 000 Videoüberwachungskameras haben nahezu alle Winkel der Metropole im Blick. In Bayern beobachten rund 17 000 Kameras Orte des öffentlichen Lebens. Auch wenn noch keine Londoner Verhältnisse herrschen, zeigt sich ein klarer Trend: Die Videoüberwachung im Freistaat ist in den vergangenen fünf Jahren massiv ausgeweitet worden. Über 5500 Kameras sind seit 2008 hinzugekommen.
Auf Anfrage der Landtags-Grünen hat das Innenministerium eine Auflistung der Videoüberwachung in Bayern erstellt, und das Ergebnis hat selbst Thomas Petri, bayerischer Landesbeauftragter für Datenschutz, „unangenehm überrascht“. Und nicht nur er zeigt sich besorgt, auch Opposition und FDP stellen Sinn und Nutzen der Ausweitung der Videoüberwachung in Frage (Seite 5). Die bayerische Polizei betreibt rund 50 Kameras im öffentlichen Raum, die übrigen stellen  Kommunen oder Private auf. Kindergärten, Schulen, Kliniken, Museen – es gibt kaum einen Bereich, der nicht betroffen ist.

Der Datenschutzbeauftragte ist besorgt


Artikel 21a des Bayerischen Datenschutzgesetzes regelt den Einsatz von Videoüberwachung. Erlaubt ist sie,  um beispielsweise Leben, Gesundheit, Eigentum und öffentliche Einrichtungen zu schützen. Dabei gilt das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Das Problem: „Was verhältnismäßig ist, liegt im Ermessen des Entscheiders“, sagt Petri der BSZ. Oft frage er in Kommunen nach, warum ein Bereich überwacht werden soll. Zur Kriminalitätsbekämpfung, heiße es dann meist. „Frage ich nach Vorfällen, kommt aber nichts“, sagt Petri. Man wolle den Menschen einfach ein subjektives Sicherheitgefühl vermitteln.
Bedenken, dass der starke Anstieg an Videoüberwachung nicht verhältnismäßig sei, versteht Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nicht. Er spricht von einem „Erfolgsmodell“ und will die Videoüberwachung noch weiter ausbauen. Im öffentlichen Personenverkehr seien die Straftaten 2012 um knapp 12 Prozent im Vergleich zu 2010 zurückgegangen. Herrmann sieht darin ein klares Indiz, dass sich der Ausbau der Videoüberwachung positiv auf die Sicherheit auswirke. Er fordert – zumindest für die Großstädte – Kameras in allen Bahnhöfen und Fahrzeugen.

Alle U-Bahnhöfe sind videoüberwacht


Die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hat rund 2900 Kameras im Einsatz. Alle U-Bahnhöfe sind videoüberwacht. 20 Prozent der U-Bahnen und 75 Prozent der Busse haben Kameras. In den nächsten Jahren werden sukzessive alle Fahrzeuge ausgestattet, so Rainer Cohrs, Security-Beauftragter für die MVG. Denn die Überwachung zeige Wirkung: Belief sich der Schaden durch Vandalismus 2008  auf 2,3 Millionen Euro, waren es im Jahr 2011 1,8 Millionen. Schmierereien in U-Bahnen und Bussen seien um 25 Prozent zurückgegangen. „Wir führen das im Wesentlichen auf die Kameras zurück“, sagt Cohrs. Auch die Anzahl der Körperverletzungen sei tendenziell rückläufig, berichtet er. Allerdings führt er das nicht in erster Linie auf den Ausbau der Videoüberwachung zurück. „Auf Delikte, bei denen Adrenalin im Spiel ist, haben Kameras nur bedingt eine präventive Wirkung.“ Ein Gewalttäter  agiere typischerweise nicht rational, sagt Gabriele Kett-Straub vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminologie an der Uni Erlangen-Nürnberg. Deshalb ließe dieser sich in der Regel  nicht durch Kameras abschrecken. Allenfalls die Aufklärung könnten die Bilder erleichtern.
Echte Gefahrenabwehr gäbe es nur, wenn Sicherheitskräfte alle Kameras im Blick hätten und schnell am Tatort wären. Bei der MVG werden nur die Bilder aus den Bahnhöfen in die Betriebszentrale geleitet. Und nur einige wenige Mitarbeiter sind zeitgleich für alle 1200 Kameras zuständig. „Es geht um das subjektive Sicherheitsgefühl der Fahrgäste“, gibt Cohrs zu. „Fahrgäste, die sich sicher fühlen, benutzen die Verkehrsmittel häufiger.“
Als Begründung für eine flächendeckende Überwachung reicht das Petri allerdings nicht aus. Er ist optimistisch, dass sich der Trend zu immer mehr Überwachung noch stoppen lasse und setzt auf den Dialog mit Ministerien und Kommunen. Zeige das keine Wirkung, müsse man die Wirksamkeit der gesetzlichen Vorschriften hinterfragen. Denn Videoüberwachung sei nur dann gerechtfertigt, wenn es an einem Ort immer wieder Vorfälle gibt, so Petri. „Es reicht nicht, dass irgendetwas passieren könnte.“
Ein Brennpunkt ist der Münchner Hauptbahnhof. Rund 60 Kameras sind dort im Einsatz, für sie sind Bahn und Bundespolizei zuständig. Die Münchner Polizei hat in der Stadt nur vier feste Kameras zur Verbrechensbekämpfung im Betrieb. Zwei davon beobachten seit 2004 den Bahnhofsvorplatz. Allein in den ersten beiden Jahren sei die Kriminalität dort um 50 Prozent zurückgegangen, heißt es. Allerdings kommt es mitunter auch zu Verlagerungseffekten. Als eine Kamera 2007 am Orleansplatz installiert wurde, zog die dortige Drogenszene einfach zum Sendlinger Tor um.
In London hat der massive Kamera-Einsatz die Kriminalitätsrate nicht langfristig gesenkt, schon bald war sie wieder auf  altem Niveau. Kett-Straub glaubt, dass man dort bald mit dem Abbau der exzessiven Überwachung beginnen wird. (Angelika Kahl)

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