Die Zahl der Organspenden in Bayern ist wieder gesunken. In den ersten neun Monaten des Jahres gab es 98 Organspenden – 11 weniger als im Vorjahreszeitraum. Dabei warten im Freistaat mehr als 1400 Menschen auf ein neues Organ. Auch bundesweit sind die Zahlen auf zuletzt 797 Organspender gesunken – der niedrigste Stand seit 20 Jahren. Damit rutscht Deutschland im Vergleich mit anderen westeuropäischen Ländern auf die untersten Plätze. Nach Angaben der Vermittlungsstelle für Organspenden Eurotransplant sind letztes Jahr in Deutschland 876 Menschen mangels Spenderorgan gestorben. Gesonderte Zahlen für Bayern liegen nicht vor.
Um den kontinuierlichen Rückgang der Organspender zu stoppen, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Neuregelung vorgeschlagen. Demnach wäre zunächst jeder automatisch ein Spender – es sei denn, er legt Widerspruch dagegen ein. Ansonsten könnten dies nach dessen Tod noch die Angehörigen tun. Auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) plädiert dafür, die bisherige Entscheidungsregelung auf den Prüfstand zu stellen und eine breite gesellschaftliche Debatte über die sogenannte Widerspruchslösung zu starten. Doch lässt sich dadurch die Spendebereitschaft erhöhen?
Schon jetzt haben nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 36 Prozent der Bevölkerung einen Organspendeausweis. Warum gehen die Spenderzahlen dann trotzdem zurück? Weil die Zahl nicht stimmt, meint zumindest die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO). Sie geht davon aus, dass nur 12 bis 14 Prozent der Deutschen tatsächlich einen Organspenderausweis besitzen. Die Differenz kommt dadurch zustande, dass der Ausweis im Fall der Fälle nicht vorliegt, schon sehr alt ist oder nicht vollständig ausgefüllt wurde.
Wie viel Prozent der Deutschen Organspender sein müssten, damit kein Patient auf der Warteliste mehr stirbt, kann das Bundesgesundheitsministerium nicht sagen. Allerdings seien in Ländern mit Widerspruchslösungen die Wartezeiten erheblich kürzer. Tatsächlich haben mittlerweile die meisten europäischen Länder eine Widerspruchslösung eingeführt. Dennoch kommt mit Ausnahme Kroatiens kein Land in die Nähe des Organspende-Weltmeisters Spanien. Dort werden fast fünf Mal mehr Organe als bei uns gespendet. Das Geheimnis: Das Personal prüft regelmäßig, ob ein Patient als Organspender in Frage kommt.
Jeder dritte Deutsche hat einen Organspendeausweis
Experten sind sich einig: Selbst wenn jeder Deutsche Organspender wäre, würde es nicht genug Spender geben, wenn das Personal sie nicht rechtzeitig als solche erkennt. Bruno Meiser, Präsident der Stiftung Eurotransplant und Leiter des Transplantationszentrums München, befürwortet zwar eine Widerspruchslösung. „Die entscheidenden Maßnahmen für eine Steigerung der Organspende müssen aber in den Spenderkrankenhäusern getroffen werden“, betont er. Selbst das Bundesgesundheitsministerium räumt im Gespräch mit der Staatszeitung ein, dass das Personal in Kliniken oft überfordert und zu wenig routiniert ist, um potenzielle Spender zu erkennen und wie verpflichtet der DSO zu melden.
Zwar sieht der Referentenentwurf zur Novelle des Transplantationsgesetzes des Bundesgesundheitsministeriums vom 31. August zahlreiche Verbesserungen vor. Dazu gehört beispielsweise eine höhere Vergütung für Krankenhäuser für die Organentnahme. Nicht wenige Experten vermuten, dass manche Kliniken potenzielle Spender nicht melden, weil ein lebender Patient im Krankenbett mehr Geld bringt als ein toter Organspender. Außerdem ist künftig eine Meldepflicht nicht nur bei Hirntod, sondern auch schon bei Hirnschädigung vorgesehen. Des Weiteren ist ein Bereitschaftsdienst zur Unterstützung bei der Feststellung des Hirntods geplant, wenn Krankenhäuser keine entsprechende Expertise vor Ort haben.
Der Schlüssel zur Verbesserung der Organspende liegt für Meiser aber bei den Transplantationsbeauftragten. Sie müssen bereits in allen Krankenhäusern mit Intensivstation ernannt werden. Bayern hat 2017 als erstes Bundesland eine konkrete Freistellungsregelung geschaffen, um Klinikmitarbeitern die notwendigen Freiräume für Gespräche mit potenziellen Spendern oder deren Angehörigen zu geben. Der Bund will dem Beispiel Bayerns jetzt folgen. Doch Meiser reicht das nicht. „Es wäre besser, wenn die betroffenen Ärzte von der DSO im Rahmen einer Nebentätigkeit beschäftigt würden“, sagt er. Nur kurze Zeitfenster seien nicht ausreichend.
Auch Josef Briegel, Professor für Anästhesiologie und Transplantationsbeauftragter in Großhadern, glaubt nicht, dass die Freistellung von Transplantationsbeauftragten zu mehr Organspendern führt. „Ein Transplantationsbeauftragter, der besser ’Organspendebeauftragter’ genannt werden sollte, kann diesen Prozess nur unterstützen“, erklärt er. Er fordert stattdessen, eine systematische Analyse aller beatmeten Patienten durchzuführen, die mit einer schweren Hirnschädigung im Krankenhaus verstorben sind. Nur so könne herausgefunden werden, warum es nicht zur Organspende kam. Außerdem müssen laut Briegel Krankenkassen Abrechnungsdaten für flächendeckende Analysen zur Verfügung stellen.
Die Opposition im bayerischen Landtag befürwortet geschlossen eine Widerspruchslösung. Die Freien Wähler fordern zusätzlich, die Entnahmekrankenhäuser höher zu vergüten. Die SPD geht sogar noch einen Schritt weiter und verlangt Sanktionen für Kliniken, die sich nicht an der Organspende beteiligen. „Auch die Transplantationsbeauftragten der Krankenhäuser müssen besser vergütet werden“, sagt SPD-Gesundheitspolitikerin Ruth Waldmann. Die Grünen glauben, dass sich durch die Einführung der Widerspruchslösung in den Krankenhäusern Automatismen einspielen, die mehr Organentnahmen ermöglichen. Dazu braucht es allerdings ausreichend Personal, Expertise und Zeit. (David Lohmann)
Kommentare (1)