Die Botschaft lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Die bayerischen Universitäten hätten sämtliche Forschungskooperationen mit russischen und belarussischen Wissenschaftseinrichtungen mit sofortiger Wirkung ausgesetzt, teilte die Bayerische Universitätenkonferenz kürzlich mit. Angesichts des „ungerechtfertigten, völkerrechtswidrigen und menschenverachtenden Angriffskriegs“ auf die Ukraine sei es selbstverständlich, dass Russland und Belarus nicht von Projektmitteln und Know-how aus dem Freistaat profitieren dürften.
Ein Beschluss, der bei einigen Professor*innen für Stirnrunzeln sorgt. Natürlich verurteile man die russischen Angriffe auf die Ukraine – aber ist es tatsächlich sinnvoll, nun sämtliche Kooperationen mit Russland und Belarus auf Eis zu legen? Das fragt sich beispielsweise Julia Herzberg, die als Professorin für die Geschichte Russlands und Ostmitteleuropas in der Vormoderne an der Ludwig-Maximilians-Universität München lehrt. Ihre Befürchtung: „Diese Sanktion trifft die Falschen.“ An vielen Universitäten zwischen Minsk und Wladiwostok gebe es Widerstand gegen den Krieg. „Wir müssen die Zivilgesellschaft in solchen Bestrebungen unterstützen“, fordert Herzberg. Das funktioniere aber nur, wenn man weiterhin in Kontakt miteinander bleibe.
Letztlich, befürchtet sie, spiele das Aussetzen von Kooperationen sogar Wladimir Putin und dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko in die Hände. Mehrere Beispiele aus den vergangenen Jahren belegten ihr Interesse daran, den wissenschaftlichen Austausch über Grenzen hinweg einzuschränken. Und, ergänzt Julia Herzberg: „Wenn wir die Türen schließen, werden auch uns Türen verschlossen.“ Genau das sei allerdings höchst problematisch, gerade für Slawisten, Historiker, Ethnologen. „Wir müssen auch in russischen und belarussischen Archiven und Bibliotheken arbeiten können“, sagt die Professorin.
Und was ist mit der viel gerühmten Freiheit von Wissenschaft und Lehre?
Und was ist eigentlich mit der viel gerühmten Freiheit von Wissenschaft und Lehre? Verträgt diese sich überhaupt mit einer pauschalen Aufkündigung der Forschungskooperationen mit Russland und Belarus? Die Historikerin hat daran ihre Zweifel. Was nicht heißt, dass sie sämtliche Verbindungen einfach so aufrechterhalten würde. Natürlich müsse man sehr genau hinschauen, mit wem man zusammenarbeite, sagt sie – vor allem im Bereich Spitzentechnologie. Aber gemeinsame Projekte und Veranstaltungen zu Themen wie der Abenteuerliteratur in der frühen Sowjetunion oder den religiösen Praktiken im Russland der Vormoderne einfach ad acta zu legen, das widerstrebt ihr. Schließlich bedeute das auch eine Diskriminierung russischer und belarussischer Forscher*innen aufgrund ihrer Herkunft, gibt sie zu bedenken. Eine Haltung, die übrigens auch große internationale Fachverbände in Großbritannien und den USA einnehmen.
Für sinnvoll hält Herzberg die Position des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der von seiner ursprünglichen Entscheidung, Kooperationen mit Russland und Belarus komplett auszusetzen, abgerückt sei. Stattdessen gehe es nun hauptsächlich um die Kontakte mit Amtsträger*innen. Genau das vertrete aber auch die Bayerische Universitätenkonferenz, erklärt deren Vorsitzende, die Augsburger Universitätspräsidentin Sabine Doering-Manteuffel. Auf Eis gelegt würden die „institutionellen Kontakte“. Will sagen: keine Austauschprogramme mehr, keine offiziellen Delegationen. „Das heißt aber nicht, dass wir nicht mehr miteinander reden“, hebt Doering-Manteuffel hervor. „Die Kontakte reißen nicht ab.“ Die Wissenschaftsfreiheit werde dadurch nicht beeinträchtigt. Natürlich könnten die Sanktionen „Härtefälle“ verursachen, räumt sie ein: „Da müssen wir überlegen, wie wir damit umgehen.“ Doch es sei wichtig, ein klares Zeichen der Solidarität mit der Ukraine zu setzen. „Die Frage, ob und wie sich das auf das russische und belarussische Wissenschaftssystem auswirkt, ist da nachgeordnet.“
Klingt einfach, ist in der Praxis jedoch ein Balanceakt. Doris Fischer, Vizepräsidentin an der Universität Würzburg und dort zuständig für den Bereich Internationalisierung, spricht von einer „schwierigen Gratwanderung“. Anders als Doering-Manteuffel sieht sie in dem Aussetzen der Kooperationen durchaus einen gewissen Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft. Andererseits könnten sich Universitäten nicht einfach ausklinken, wenn Bund und Land Sanktionen verhängten. Verbindungen gebe es jedoch nach wie vor, auch auf Forschungsebene: „Ich kann ja niemandem vorschreiben, dass er nicht mehr zusammen mit einem russischen Wissenschaftler einen Artikel verfasst“, sagt Fischer. „Was wir aber nicht wollen, sind Kontakte, die der russischen und der belarussischen Seite zu Propagandaerfolgen verhelfen könnten.“ Beispielsweise durch hochrangig besetzte Konferenzen.
Ein anderes Thema bringt die Vizepräsidentin ebenfalls ins Grübeln: die schwierige Situation, in die Studierende aus der Ukraine, aber auch diejenigen aus Russland und Belarus durch den Krieg geraten. Etliche von ihnen dürften inzwischen in finanziellen Nöten stecken, da sie kaum noch an Geld kommen. An der Universität Würzburg sei deshalb eine Taskforce in Planung, um sich um die Betroffenen zu kümmern, sagt Fischer. Für die rund 1800 Studierenden aus der Ukraine, die nach Angaben des bayerischen Wissenschaftsministeriums an Hochschulen im Freistaat eingeschrieben sind, hat das Land inzwischen einen 500 000 Euro umfassenden Nothilfefonds aufgelegt. „Den bayerischen Hochschulen wurden die Mittel des Notfonds bereits anteilig zugewiesen, sodass sie diese ab sofort flexibel und eigenverantwortlich einsetzen und so zielgerichtet auf den Förderbedarf angesichts der jeweiligen individuellen Notlagen eingehen können“, teilt ein Ministeriumssprecher dazu mit.
Auch einige Universitäten und Studentenwerke versuchen zu helfen. Unter anderem hat die TU München zwei Unterstützungsprogramme aufgelegt: für Forschende aus der Ukraine und für Studierende, die vom Krieg betroffen sind. Dafür ruft sie Mitglieder, Partner und Freunde zu Spenden auf. Die Hilfen für die Studierenden seien dabei nicht an eine Nationalität gekoppelt, informiert ein Universitätssprecher – sie könnten also auch an Russ*innen und Belaruss*innen fließen, die in Not sind. Eine Haltung, die übrigens ganz im Sinne von Sabine Doering-Manteuffel ist. Denn trotz aller Solidarität mit der Ukraine, sagt sie, müsse man auch darauf achten, „dass hier keine Feindbilder entstehen“.
(Brigitte Degelmann)
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