Politik

Professor Werner Weidenfeld, Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung, lehrt Politikwissenschaft an der LMU München. (Foto: dapd)

04.05.2012

"Diffuse Wolke über verkarsteter Polit-Landschaft"

Parteienforscher Werner Weidenfeld über den Erfolg der Piraten, alte Sehnsüchte der CSU und geringe Chancen der FDP

Die CSU jubelt über eine aktuelle Umfrage, die sie selbst in Auftrag gegeben hat. Ihr zufolge läge sie vor einer Koalition von SPD, Grünen und Freien Wählern. Die CSU könnte aber durchaus auf der Oppositionsbank landen, glaubt Politikwissenschaftler Werner Weidenfeld.
BSZ: Herr Weidenfeld, angesichts aktueller Umfragen träumt die CSU  von absoluter Mehrheit. Zu Recht?
Weidenfeld: Solche Umfragen sind immer nur Augenblicksaufnahmen. Aber die CSU hat eine große Erfahrung voll nostalgischer Wärme mit der absoluten Mehrheit. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die aktuelle Koalition mit der FDP eine Zukunft hat, ist sehr gering. Ob sie sich wieder eine absolute Mehrheit sichern könnte, hängt davon ab, ob mehrere kleinere Parteien nicht ins Parlament kommen. Aber auch die zweite Alternative, eine Koalition mit den Freien Wählern, ist nicht wirklich gesichert. Die Frage, ob sich die CSU zum ersten Mal auf der Oppositionsbank wiedersehen könnte, hängt jetzt von der Strategie und Kooperationsbereitschaft der Oppositionsparteien ab. BSZ: Und die müsste wie aussehen?
Weidenfeld: Sie alle müssten sich zu dem Hauptziel bekennen, die CSU auf die Oppositionsbank drücken zu wollen. Die Freien Wähler aber wollen sich nicht festlegen. BSZ: Schadet sich Hubert Aiwanger damit nicht selbst am meisten?
Weidenfeld: Er wäre strategisch besser beraten, im Vorfeld der Wahlen eine Koalitionsperspektive zu formulieren. Um offen hineinzugehen, haben sich die Freien Wähler in dieser Wahlperiode zu wenig in ihrer Eigenständigkeit profiliert. Bei kleineren Parteien sind immer auch Wähler mit im Spiel, die sich für sie entscheiden, weil sie mit diesem oder jenem koalieren wollen.
BSZ: Und der FDP geben Sie überhaupt keine Chance mehr?
Weidenfeld: Der Wahltermin ist noch viel zu weit entfernt, um dazu etwas sagen zu können. Da kommt es darauf an, in welcher Stimmungslage sich die Republik befinden wird. Ein relativ hoher Prozentsatz der Wähler entscheidet erst, wenn er am Wahltag das Haus Richtung Wahllokal verlässt. Im Moment stehen nur noch die rund drei Prozent Stammwähler zur FDP. In früheren Jahrzehnten gelang es der FDP immer dann, aus diesem Keller herauszukommen, wenn sie ihre Existenz zu einem überragenden Thema in der Republik machen konnte. Ob ihr das vor den nächsten Wahlen wieder gelingt, sei dahingestellt. Bei den letzten Wahlen suchte man eine Alternative zur Großen Koalition, war mit Bundeskanzlerin Merkel aber durchaus zufrieden. Dazu hatte man ein paar attraktive Themen, zum Beispiel die Steuersenkung. Ihre großen Ankündigungen lieferte die FDP dann aber nicht. BSZ: In Bayern versucht die FDP doch vehement, sich alle wirtschaftlichen Erfolge auf die Fahne zu schreiben. Warum funktioniert das nicht?
Weidenfeld: Weil es wie auf Bundesebene kein eigenes wirklich großes überragendes Zukunftsprofil gibt. Die FDP hat keine gesellschaftliche Vision, von der Wähler sagen könnten, die erreichen wir nur mit der FDP. BSZ: Welche gesellschaftliche Vision bietet nach Abschaffung der Wehrpflicht und dem Atomausstieg heute noch die CSU? Ist sie noch eine echte Heimat für Konservative?
Weidenfeld: Das Betreuungsgeld ist doch ein sehr konservatives Thema. BSZ: Und deshalb darf die CSU hier auf gar keinen Fall nachgeben?
Weidenfeld: Ob dieses Kalkül für die CSU aufgeht, müssen wir mal dahingestellt sein lassen. Das Problem der CSU ist, und das gilt genauso für die CDU und die SPD, dass die Politik immer stärker zu einer Art situativem Krisenmanagement geworden ist. Da kommt zum Beispiel das Thema Krankenversicherungsbeiträge auf, dann wird gestritten und irgendetwas festgelegt. Und schon kommt das nächste Thema. Mit dieser kurzzeitigen Befassung mit relativ kleinen Ausschnittsthemen binden Parteien ihre Wähler aber nicht mehr in so starker Form an sich.

"Im Umgang mit den Piraten braucht es Gelassenheit"

BSZ: Was müssten sie also tun?
Weidenfeld: Die Parteien müssten gesellschaftliche Visionen liefern, aber das tun weder CSU, CDU noch SPD. Man kann das Bemühen beobachten, wenn Ministerpräsident Seehofer verkündet, dass Bayern bis 2030 schuldenfrei sein soll. Und ein Hauch von dem Versuch einer Antwort steckt auch im Betreuungsgeld. Es geht schließlich um ein Familienbild, an dem der konservative CSU-Anhänger hängt. Das hätte aber nur dann auch eine strategische Wirkung, wenn man an dem Thema in den verschiedensten Varianten dran bliebe. Die situative Sprunghaftigkeit und Hektik einer Gesellschaft ohne Zukunftsbilder ist heute insgesamt ein Dilemma der Politik.
BSZ: Und deshalb kann man auch gleich die Piraten wählen?
Weidenfeld: Ja, der Erfolg der Piraten erklärt sich genau aus dieser Grundgestimmtheit der Gesellschaft, der Frustration gegenüber den Traditionsparteien, zu denen heute auch die Grünen gehören. Die Piraten sind keine Partei im engeren Sinne, sondern ein Phänomen. Sie sind eine Art diffuse Kommunikationswolke, die über eine verkarstete politische Landschaft dahinschwebt. Was dabei herauskommt, weiß man nicht. Aber genau dieses unstrukturierte Dahinschweben ist die Erfolgsgrundlage. Die Piraten kommen dann in Schwierigkeiten, wenn sie so werden wie die anderen Parteien. Geben sie dem Druck nach, ein präzises Programm oder wiedererkennbare Köpfe zu liefern, werden sie Probleme bekommen. Je länger sie es schaffen, ein Angebot neuen Typs zu sein, umso länger bleiben sie erfolgreich. Politisch haben die Piraten ja noch nichts geliefert. BSZ: Aber das wird dem Wähler doch sicher auch irgendwann auffallen.
Weidenfeld: Und dann wird es eine neue Bewegung geben. Der Bedarf nach einer solch ungebunden partizipativen Ausdrucksform zu allem und jedem wird bleiben und von den alten Parteien so nicht eingefangen. Deshalb haben Sie heute nirgendwo mehr die alte Eindeutigkeit in überragenden Mehrheiten. Auch wenn die CSU eine alte Sehnsucht danach hat. BSZ: Wie sollten die alten Parteien mit den Piraten umgehen? Bekämpfen oder ignorieren?
Weidenfeld: Will ich die Piraten kleinhalten, gehe ich am besten total gelassen mit ihnen um. Diese Gelassenheit aber fehlt. Und je härter Sie die Piraten anfassen, desto mehr wird deren Profil in der Gesellschaft steigen. Zwischen 2002 und 2004 hat es ein paar markante Bürgerbewegungen in Deutschland gegeben und damals haben die Parteien geschickt reagiert, indem sie genau dieses bürgerliche Engagement immer wieder gelobt haben. 2004 waren diese dann wieder verschwunden. Diese Art aufgeregte Beschimpfung einer konkurrierenden Partei, wie sie gerade stattfindet, bringt überhaupt nichts. BSZ: Lieber macht man sich Piraten-Themen wie Transparenz und Mitwirkungsrechte zu eigen?
Weidenfeld: Eine politische Partei ist dann erfolgreich, wenn sie eine Zukunftsperspektive der Gesellschaft anschaulich erklären und gesellschaftliche Probleme deuten kann. Man nennt das Smart Power. Aber noch einmal: Sie müssen das strategisch verfolgen, authentisch kommunizieren und nicht gerade mal so als eine Eintagsfliege rauspusten. BSZ: Und welche Partei macht das aus Ihrer Sicht heute noch am erfolgreichsten?
Weidenfeld: Von den Traditionsparteien gegenwärtig keine.
(Interview: Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. New Deal am 07.05.2012
    Es ist doch wirklich seltsam, dass die SPD trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise keine gesellschaftlichen Visionen aufzeigen kann. Bei der Weltwirtschaftskrise 1929 hat selbst der amerikanische Präsident Roosevelt durch den "New Deal" die Finanzmärkte umfassend reguliert und den Spitzensteuersatz der Einkommenssteuer auf 79 Prozent heraufgesetzt. Es wäre also doch für die SPD ein Leichtes, Alternativen zu Merkels "alternativloser" Politik aufzuzeigen.
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