Am 25. März 1953 verabschiedete der Bundestag das Bundesvertriebenengesetz. Aufgrund seiner zahlreichen Fördermaßnahmen im sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich gilt es als Meilenstein für die Integration von Millionen Deutschstämmiger, die nach dem Krieg ihre Heimat verloren hatten. Vor allem Bayern profitierte von dem Gesetz.
Für Bernd Fabritius ist der Fall klar: Das Bundesvertriebenengesetz sei „eine Erfolgsgeschichte“, sagt der Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV). Seit 65 Jahren soll es die Integration von deutschstämmigen Vertriebenen und Aussiedlern in die Bundesrepublik regeln – und deren Kultur im In- und Ausland fördern.
Klar ist: Der Zustrom von Millionen Deutschstämmigen aus Osteuropa in den Jahren nach Kriegsende war eine immense Herausforderung für das durch Krieg und Nazi-Herrschaft völlig ausgeblutete Nachkriegsdeutschland. Vor allem aus den durch das Potsdamer Abkommen der Sowjetunion und Polen zugeschlagenen ehemaligen Gebieten des Deutschen Reichs, aber auch aus anderen Regionen wie dem tschechischen Sudetenland, wurden viele Deutsche vertrieben, oft gewaltsam.
Anfang der 1950er-Jahre zählten die Behörden in Bundesrepublik und DDR zusammengerechnet bereits rund zwölf Millionen Vertriebene. Es fehlte ihnen häufig am Nötigsten. Wohnraum, Essen und Kleidung waren knapp, und die Neuankömmlinge sahen sich nicht selten mit Ablehnung konfrontiert. „Die Einheimischen fanden Spitznamen wie Kartoffelkäfer, Ratten, Landplage oder Polacken für ihre Mitbürger aus dem Osten“, weiß Fabritius.
Um die katastrophale Situation vieler Vertriebener zu verbessern, wurden ab 1947 in mehreren Ländern der westlichen Besatzungszonen erste Eingliederungsgesetze erlassen. Der Bund erließ 1950 das Notaufnahmegesetz und 1952 das Lastenausgleichsgesetz. Am 25. März 1953 verabschiedete der Bundestag dann das „Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge“ (BVFG).
Ab 1990 kamen über 3 Millionen Spätaussiedler
Damit verfolgte die damalige Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) eine Reihe von Zielen: Armut und Arbeitslosigkeit bekämpfen, die Zuwanderer politisch und gesellschaftlich integrieren. Und dabei helfen, deren Traditionen und Kultur zu erhalten.
Das Gesetz erklärte alle Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten zu deutschen Staatsbürgern. Auch wurden immense staatliche Wohnbauprogramme für die Geflüchteten gestartet. Bis heute profitieren viele Menschen hierzulande von den für die Vertriebenen errichteten Wohnungen. Zudem sah das BVFG eine gerechtere Verteilung der Vertriebenen vor. Anfang der 1950er-Jahre trugen mit Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern drei Bundesländer die Hauptlast des Flüchtlingszuzugs.
Bayerns Einwohnerzahl wuchs von rund sieben Millionen vor dem Krieg auf über neun Millionen im Jahr 1952 – und das trotz der vielen Kriegstoten.
Auch die berufliche Eingliederung der Vertriebenen wurde massiv vorangetrieben. So profitierten Arbeitgeber, die deutschstämmige Zuwanderer anstellten, von Steuervorteilen. Handwerker, Ärzte sowie andere Freiberufler, die wegen ihrer deutschen Abstammung aus Osteuropa vertrieben wurden, konnten ab 1953 deutlich unbürokratischer ihren alten Beruf in Deutschland ausüben. Die soziale Lage vieler Vertriebener verbesserte sich überdies durch einen Schuldenerlass, den das BVFG für im Zuge der Flucht entstandene Verbindlichkeiten vorsah.
Kanzler Adenauer erklärte 1949: „Ehe es nicht gelingt, den Treibsand der Millionen von Flüchtlingen durch ausreichenden Wohnungsbau und Schaffung entsprechender Arbeitsmöglichkeiten in festen Grund zu verwandeln, ist eine stabile innere Ordnung in Deutschland nicht gewährleistet.“ Tatsächlich war die erfolgreiche wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Integration der Flüchtlinge für die politische Stabilität der noch äußerst jungen Demokratie von entscheidender Bedeutung. Die Arbeitslosenzahl unter den Vertriebenen sank rasch. Viele fanden zunächst eine Anstellung in der Landwirtschaft, mit der Zeit waren Flüchtlinge in immer mehr Wirtschaftsbranchen erfolgreich. Die Vertriebenen leisteten in den Folgejahren einen erheblichen Betrag zum deutschen Wirtschaftswunder.
In den folgenden Jahrzehnten wurde das Vertriebenengesetz mehrfach angepasst, um der anhaltenden Einwanderung gerecht zu werden. Von 1950 bis Mitte der 1980er-Jahre kamen etwa 1,5 Millionen sogenannte Aussiedler nach Westdeutschland, etwa aus dem rumänischen Siebenbürgen oder der Sowjetunion.
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks stieg die Zahl der Aussiedler aus Osteuropa ab Ende der 1980er-Jahre stark an. Diese Migrationswelle stellte die deutsche Politik vor neue Herausforderungen. 1993 trat das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz in Kraft. Deutschstämmige, die nicht aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (GUS-Staaten) kamen, hatten es fortan weit schwerer, nach Deutschland auszuwandern. Von 1990 bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts kamen über drei Millionen Spätaussiedler, umgangssprachlich „Russlanddeutsche“ genannt, in die Bundesrepublik.
Bedeutsam ist bis heute die im Rahmen des BVFG vereinbarte Kulturförderung. Unter anderem wurden mehr als ein Dutzend Einrichtungen mit gut 20 Millionen Euro jährlich gefördert, die sich für den Erhalt der Identität deutscher Volksgruppen im In- und Ausland einsetzen. Das Ziel der Maßnahmen: die Völkerverständigung. Denn jeder Krieg macht Menschen zu Vertriebenen.
(Tobias Lill)
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