Politik

Für Markus Söder lief es gut: Er ist beliebter denn je und wird inzwischen sogar als Kanzlerkandidat gehandelt. Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger sorgtze für Aufsehen, weil er über Waffen für anstaändige Bürger schwadronierte. Agrarministerin Michaela Kaniber machte sich besser als erwartet. Und bei den Grünen sorgte die 27-jährige Eva Lettenbauer für Aufsehen: Die junge Frau avancierte zur Parteichefin. (dpa/Zinken, Kahnert, Kneffel, Schuldt).

20.12.2019

Ein turbulentes Jahr

Was war erfreulich, was weniger, und was hätt’s echt nicht gebraucht? Ein landespolitischer Rückblick auf 2019

Größte Überraschung
Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass Markus Söder die Grünen in Sachen Natur- und Artenschutz vor sich her treibt. Ein erfolgreiches Bienen-Volksbegehren später war es so weit. Auf die Forderungen von ÖDP, Grünen und Umweltverbänden setzte er mit seinem Versöhnungsgesetz sogar noch einiges drauf. Ob aus innerer Überzeugung oder purem Machtinstinkt, ist bei Söder immer schwer zu eruieren. Wenn Söder einen Bewusstseinswandel im Wahlvolk wittert, neigt er zu überraschendem Meinungswandel. Das war schon in seiner Zeit als Umweltminister so, als aus dem Atomkraftbefürworter der oberste Energiewendler wurde und er das Aus für den Staustufenbau an der Donau einleitete. Das hat Söder vom großen FJS gelernt: Ein Konservativer muss immer an der Spitze des Wandels stehen.

Größte Enttäuschung
Schon Ex-CSU-Chef Horst Seehofer musste erleben, dass seine Partei zwar theoretisch sehr für Frauenförderung ist, praktisch aber gern an Bestehendem festhält. Also daran, dass Männer das Sagen haben. Und Frauenquoten Teufelswerk sind. Bereits beim Parteitag 2010 erlebte Seehofer mit seiner Quotenforderung ein Desaster. Ebenso erging es seinem Nachfolger Markus Söder im November 2019: Eine Ausweitung der Frauenquote war mit der CSU nicht zu machen, die Forderung wurde stark abgeschwächt. Heißt: Die bestehende 40-Prozent-Quote für Landes- und Bezirksvorstände gilt künftig zwar auch für Kreisvorstände, aber nur in freiwilliger Form. Am peinlich niedrigen Frauenanteil in den Parlamenten wird das nichts ändern. Dafür bräuchte es eine Quotierung der Delegiertenversammlungen, wo die Direktkandidaten für Wahlen bestimmt werden. Doch diese Idee wurde bereits vor dem jüngsten Parteitag vom – männerdominierten – Landesvorstand gekillt.

Teuerstes Projekt
Die Familienförderung lässt sich der Freistaat richtig viel kosten: Mit insgesamt 2,4 Milliarden Euro war es das teuerste Projekt des Jahres 2019. Das Geld fließt unter anderem in Zuschüsse für Kindergarten- und Krippenbeiträge. Konkret gibt es für alle drei Kindergartenjahre einen einkommensunabhängigen Zuschuss von 100 Euro monatlich. Ab 2020 erhalten auch Eltern von Krippenkindern 100 Euro – allerdings einkommensabhängig. Daneben gibt es das bayerische Familiengeld. Alle Eltern von ein- und zweijährigen Kindern erhalten 250 Euro pro Kind und Monat; ab dem dritten Kind gibt es 300 Euro.

Überflüssigste Aktion
Bayerns Geschäftsleute dürften sich freuen: Neben Muttertag und Vatertag gibt’s im Freistaat jetzt: den Großelterntag. Ministerpräsident Söder verkündete seine neue Idee via Twitter noch während der Sitzung, in der er sie vom Kabinett absegnen ließ. Am zweiten Oktobersonntag haben Bayerns Omas und Opas nun alljährlich ihren eigenen Ehrentag. Hach, der zum fürsorglichen Landesvater mutierte Söder denkt halt an alle! Darunter sich selbst und an den Zuspruch, den ihm die Bauchpinselei der Großelternfraktion bringen dürfte.

Geschickteste Ministerin
Wer geglaubt hat, Michaela Kaniber könne nur Dirndl und hübsch lächeln, der hat sich in der Wirtstochter aus dem Berchtesgadener Land schwer getäuscht. Obwohl sie nicht von einem Bauernhof stammt, hat sich die neue Landwirtschaftsministerin schnell in die komplexen Agrarthemen eingearbeitet und dabei eine gesunde Distanz zum Bauernverband gewahrt. Auf dessen Verbandsversammlung in Herrsching betonte sie kürzlich pikiert, sie sei „nicht die Befehlsempfängerin der Bauern“. Ungeachtet dessen hat sich Kaniber im Streit um das Bienen-Volksbegehren für die Belange der Landwirte stark gemacht, von ihnen aber auch Verständnis für den Wunsch vieler Bürger nach einer möglichst naturverträglichen Landwirtschaft gefordert. So wahrt sie als engagierte Fachministerin Unabhängigkeit von übergriffigen Lobby-Interessen – und gilt in der CSU bei manchen schon als geeignet für Höheres.

Törichtester Spruch
„Ich bin überzeugt, Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte, und wir würden die Schwerkriminellen einsperren. Das wäre der richtige Weg.“ Wie bitte? Hat das echt jemand gesagt, der nicht drei Maß Bier intus hatte? Jawohl – Bayerns stellvertretender Ministerpräsident und Apfelschorletrinker Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Im Oktober war das, bei den internationalen Jagd- und Schützentagen. Vermutlich glaubt Aiwanger derlei Plattitüden selbst nicht – freut sich aber, dass ihm die Polterei den Zuspruch der Stammtische sichert. Zurückgenommen oder relativiert hat er den Schock-Spruch bis heute nicht.

Größter Eklat
Bei der Gedenkveranstaltung für NS-Opfer Anfang des Jahres kritisierte Charlotte Knobloch, Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern, die AfD. Es kam zum Eklat. Die Mehrheit der AfD-Abgeordneten verließ demonstrativ den Plenarsaal. Besonders bitter: Statt den Opfern des Nationalsozialismus galt die Hauptaufmerksamkeit der AfD und ihrer Aktion. Nur sechs Monate später legte die AfD nach: Der Landtagsabgeordnete Ralph Müller blieb bei der Gedenkminute für den offenbar von einem Rechtsextremen ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) einfach auf seinem Platz sitzen. Provokation und interner Streit – mit viel mehr ist die AfD im Landtag bislang nicht aufgefallen.

Spektakulärste Aufsteiger
Ministerpräsident Markus Söder legt deutlich an Beliebtheit zu: Gut 40 Prozent der Bayern sind mit seiner Arbeit Umfragen zufolge zufrieden. Nach der Landtagswahl im Oktober 2018 war es nur jeder Dritte. Beim Parteitag der Schwesterpartei CDU begeisterte er mit seiner pointierten Rede die Delegierten – und wird inzwischen sogar als Kanzlerkandidat gehandelt.
Grüne Aufsteigerin des Jahres ist Eva Lettenbauer. Seit dem Parteitag im Oktober fungiert die 27-jährige Wirtschaftsingenieurin als jüngste Vorsitzende in der 40-jährigen Geschichte der bayerischen Grünen. Dass die Grünen der Schwäbin einiges zutrauen, hat sich gleich nach deren Einzug in den Landtag 2018 gezeigt. Die Fraktion wählte das redegewandte Energiebündel zur Vizechefin – den Posten gab sie nach ihrer Wahl zur Landeschefin ab. Als Frontfrau will Lettenbauer den Fokus stärker auf die Sozialpolitik legen, sich mit Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden vernetzen. Ihrer auf Umwelt und Naturschutz fokussierten Partei könnte das Pluspunkte bringen.
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner, Jürgen Umlauft)

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