Kaum hatte der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen und waren die ersten Sanktionen gegen den Aggressor beschlossen, hatte Markus Söder eine düstere Ahnung, wie sich ein Stopp russischer Energielieferungen auf Bayern auswirken könnte. „Sehr kalt und sehr teuer“ könne das werden, sagte der CSU-Regierungschef Anfang März. Seither überschlagen sich die Vorschläge, mit denen man sich möglichst schnell aus der Abhängigkeit vor allem von Gas aus Russland befreien könnte, dessen Anteil an der Versorgung bayerischer Haushalte und Unternehmen 90 Prozent beträgt. Das als „systemrelevant“ zu bezeichnen, ist also noch schwer untertrieben.
Söders erster Reflex war ein Plädoyer zur vorübergehenden Verlängerung der Laufzeiten der noch betriebenen Atomkraftwerke. Technisch sei das nach dem geplanten Abschalttermin am 31.Dezember 2022 noch für 130 bis 150 Tage möglich, erklärt der für die Atomaufsicht in Bayern zuständige Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler). Für die von Söder angeregten drei bis fünf Jahre bräuchte es aber eine längere Vorlaufzeit und einen Lieferantenwechsel. Denn auch das Uran für die Brennstäbe kommt zu einem großen Teil aus Russland. Realistisch sind die Laufzeitverlängerungen aktuell ohnehin nicht. Denn weder die Bundesregierung noch die Kraftwerksbetreiber wollen sich darauf einlassen.
Eine weitere Option sah Söder in der Zulassung des umstrittenen Frackings, bei dem unter Einsatz von Wasserdruck und Chemikalien in Gesteinen gebundenes Gas gelöst und gefördert wird. Die USA haben sich auf diese Weise zum Gasexporteur gemausert, bezahlen das aber mit immensen Umweltschäden. Deshalb hat Glauber bereits sein Veto eingelegt.
Kohlereserve ausbauen
Im Wirtschaftsministerium setzt man auf eine Diversifizierung der Energieversorgung. Kurzfristig brauche es einen Ausbau der Kohlereserve, die verstärkte Beschaffung von verflüssigtem Erdgas und den Bezug von Pipelinegas aus anderen Weltregionen. Langfristig müsse der Ausbau erneuerbarer Energien beschleunigt werden inklusive Windkraft. Eine Verständigung darüber soll es in der Koalition nach Ostern geben. „Der weitere Ausbau der Erneuerbaren ist eine Herkulesaufgabe“, sagt Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Das gelte vor allem für „grünen Wasserstoff“, für Aiwanger der Energieträger der Zukunft.
Weil der Freistaat die künftig immensen Bedarfe an Wasserstoff aber nicht alleine produzieren kann, wollte sich Söder in dieser Woche auf eine „Wasserstoff-Reise“ zur langfristigen Sicherstellung der Energieversorgung in Bayern nach Saudi-Arabien und in die Arabischen Emirate begeben. Eine Corona-Infektion verhindert dies. Die Suche nach neuen strategischen Partnern ist aber nur aufgeschoben. Man brauche schließlich „verlässliche Alternativen“ zur russischen Energie, teilt Söder mit. Er wirbt deshalb mit Nachdruck für einen zusätzlichen Pipeline-Anschluss Bayerns aus dem Süden. Denn neben dem Klimaschutz stünden nun auch die Versorgungssicherheit und Preisstabilität im Fokus.
Im Landtag gibt es grundsätzliche Unterstützung zu den Plänen für mehr Unabhängigkeit von russischer Energie. Der Weg dahin ist aber umstritten. Vor allem SPD und Grüne setzen voll auf die Erneuerbaren, die weitere Nutzung der Kernenergie lehnen sie strikt ab. Anders AfD und FDP, die mehr Forschung in moderne Kernkraftwerksgenerationen fordern. Ziemlich einig ist man sich aber, dass Energieeffizienz und -einsparung immer wichtiger werden.
Raumtemperatur absenken
Mit wirklich gutem Vorbild geht die Staatsregierung dabei nicht voran. Auf die Frage, ob es eine Empfehlung zur Absenkung der Raumtemperatur in staatlichen Behörden gibt, verweist zum Beispiel das Finanzministerium allgemein auf das Projekt „Klimaneutrale Staatsregierung“ und moderne, ressourcenschonende Heizanlagen. Der Landtag hebt laufende Optimierungen der Heizungs- und Lüftungsanlagen hervor. Eine Absenkung der Raumtemperatur um eine bestimmte Gradzahl sei nicht umsetzbar, da in Büros und Sitzungssälen meist keine zentrale Wärmeregulierung bestehe. Die Nutzer*innen dürften die Temperatur innerhalb einer bestimmten Spannweite selbst bestimmen.
Auch der Bayerische Gemeindetag hält das so. Man vertraue auf die „sprichwörtliche gemeindliche Selbstverwaltung“, heißt es aus der Verbandszentrale. In Kindergärten und Grundschulen werde man aber aus Gründen des Kindeswohls wohl weniger Wärmereduzierung vornehmen können als zum Beispiel im Bauhof oder Feuerwehrgerätehaus. In kommunalen Verwaltungsgebäuden dürften bestimmte Temperaturwerte dagegen nicht unterschritten werden. Ein Anspruch auf Wärme sei zwar nicht gesetzlich geregelt, aber die Temperatur in Arbeitsräumen müsse laut Arbeitsstättenverordnung „gesundheitlich zuträglich“ sein.
Frieren für die Ukraine sehen bayerische Richtlinien also nicht vor.
(Jürgen Umlauft)
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