Politik

Ein älterer Bufdi schiebt in einem Pflegeheim eine Bewohnerin. Beim Bundesfreiwilligendienst gibt es keine Altersbegrenzung. (Foto: dpa/Rumpenhorst)

09.04.2021

"Etwas an die Gesellschaft zurückgeben"

In Bayern entscheiden sich weit weniger Menschen für den Bundesfreiwilligendienst als in anderen Ländern – die Opposition sieht den Freistaat in der Pflicht

Seit einem Jahrzehnt gibt es in Deutschland einen Bundesfreiwilligendienst. Aus der Pflege oder der Flüchtlingshilfe sind die Bufdis kaum mehr wegzudenken. Doch in fast keinem Bundesland gibt es BSZ-Recherchen zufolge auf die Bevölkerungszahl gerechnet so wenige Freiwillige wie in Bayern. Die SPD sieht die Staatsregierung in der Pflicht, den Zivi-Nachfolger attraktiver zu machen. Ärger gibt es um ein Freiwilligenprogramm der Bundeswehr.

Für Xander Gesellmann war es eine leichte Entscheidung: Nach dem Abi habe er erst einmal genug davon gehabt, nur am Schreibtisch zu sitzen. „Ich wollte mit Menschen arbeiten und etwas an die Gesellschaft zurückgeben“, sagt der 19-Jährige aus dem Landkreis Fürstenfeldbruck. Also fing er im Januar im Rahmen des Bundesfreiwilligendiensts bei der Caritas an. Zunächst arbeitete er in der Altenpflege, derzeit betreut der Oberbayer behinderte Kinder. „Das ist schon anstrengend, aber sehr erfüllend“, sagt er.

Gesellmann ist zuversichtlich, dass ihm die gesammelten Erfahrungen später einmal nutzen werden. Bis August arbeitet er noch für mehrere Hundert Euro im Monat im sozialen Bereich, anschließend beginnt sein Studium der Wirtschaftspsychologie.

Auch Baden-Württemberg deutlich vor Bayern

Rund 38 200 Frauen und Männer in Deutschland absolvieren derzeit laut dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFZA) einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) – etwas weniger als jeder Zehnte davon in Bayern. Exakte Zahlen, in welchen Bereichen sie arbeiten, gibt es der Behörde zufolge nicht. Doch der größte Einsatzbereich der auch Bufdis genannten Helfer*innen sei „traditionell der soziale Sektor“. Dort arbeiten sie häufig in Krankenhäusern, Altenheimen oder Behinderteneinrichtungen. Sie bringen das Frühstück, gehen mit alten Menschen spazieren oder erledigen deren Einkäufe. Weitere wichtige Einsatzbereiche sind etwa der Umweltschutz, die Jugendarbeit und die Flüchtlingshilfe.

Der Dienst dauert in der Regel ein Jahr. Die Bufdis erhalten ein sogenanntes Taschengeld von maximal 426 Euro im Monat und sind sozialversichert. Manche Arbeitgeber bezahlen die Kosten für die Unterkunft. Der Bund zahlt Zuschüsse und Fortbildungen.

Rechtliche Grundlage der Bufdi-Tätigkeit ist das Bundesfreiwilligendienstgesetz, das am 28. April 2011 in Kraft trat. Die Angst vor einer Zuspitzung des Personalmangels in der Pflege war damals groß. Denn 2011 wurde im Rahmen der Wehrpflichtaussetzung nach fünf Jahrzehnten auch der Zivildienst abgeschafft. Alleine 2010 waren noch 78 000 Zivis im Einsatz.

Anders als das Freiwillige Soziale Jahr und das Freiwillige Ökologische Jahr kann der BFD nicht nur im sozialen oder ökologischen Bereich geleistet werden – auch gibt es keine Altersgrenze. Damit die Freiwilligen möglichst viel für ihre Tätigkeit und ihr weiteres Leben lernen, bekommen sie eine Vielzahl an Seminaren bezahlt. Eigentlich eine feine Sache also. Doch in Bayern wird der Dienst so schlecht angenommen wie in fast keinem anderen Bundesland. Dies ergab eine Auswertung der Staatszeitung von BAFZA-Zahlen aus allen 16 Bundesländern.

Demnach absolvierten im Freistaat im Durchschnitt des vergangenen Jahres rund 3500 Menschen den Bundesfreiwilligendienst. Zum Vergleich: Im weit bevölkerungsärmeren Sachsen waren es mehr als 3100. Auf die Bevölkerungszahl gerechnet war die Zahl der Bufdis 2020 dort also beinahe dreimal so hoch wie in Bayern. In Mecklenburg-Vorpommern gab es pro Kopf zuletzt sogar fast 240 Prozent mehr Freiwillige als im südlichsten Bundesland.

In Bremen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Baden-Württemberg und Brandenburg leisteten auf die Bevölkerungszahl gerechnet gut zwei- bis zweieinhalbmal mehr Menschen als in Bayern einen solchen Dienst ab.

In Schleswig-Holstein und Niedersachsen waren es fast doppelt so viele und in NRW mit gut 8400 auf die Einwohnerzahl gerechnet immerhin noch rund 75 Prozent mehr. Lediglich Hessen und Rheinland-Pfalz rangieren in der Statistik knapp hinter Bayern.

Eine BAFZA-Sprecherin kann auf Anfrage keine Ursache für die stark abweichenden Länderzahlen nennen. In Ostdeutschland dürfte das höhere Engagement zum Teil dem dort oft noch immer schlechteren Arbeitsmarkt geschuldet sein. Beim CSU-geführten bayerischen Sozialministerium verweist man daher auch als mögliche Erklärung für die schlechten Zahlen darauf, dass der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt im Freistaat im Ländervergleich „sehr gut aufgestellt ist“. Deshalb engagierten „sich hier die meisten Menschen neben einer Berufstätigkeit ehrenamtlich“. Doch warum gibt es mit 5900 beispielsweise auch im prosperierenden Baden-Württemberg weit mehr Freiwillige als im Freistaat?

Opposition fordert mehr Mittel

Generell ist der Bund für den Freiwilligendienst verantwortlich. Doch die Länder können ihn besser bewerben oder attraktiver machen. Doris Rauscher, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, kritisiert die Staatsregierung deshalb scharf: „In Bayern müssen Freiwilligendienste insgesamt dringend besser gefördert werden.“ Dafür seien „konkrete Anreize der Staatsregierung zwingend nötig“. Doch statt zu handeln, beschönige der Freistaat „die schlechten Teilnahmezahlen in Bayern schon seit Jahren“. Dabei sei ein Freiwilligendienst auch für die Demokratie von zentraler Bedeutung, weil er das Gemeinwesen in einem Sozialstaat stärke.

Die SPD fordert Maßnahmen auf Landesebene und den Einsatz der Staatsregierung für eine Reform auf Bundesebene. Erforderlich seien etwa eine weitere Erhöhung des Taschengelds, eine Entlastung der Träger und eine Anrechnung der Dauer des Freiwilligendiensts auf Praktika für fachlich entsprechende Ausbildungs- und Studiengänge. Auch eine Prämie bei erfolgreicher Beendigung des Freiwilligendienstes sei sinnvoll, um die Abbruchrate zu reduzieren – tatsächlich macht derzeit ein Drittel aller Bufdis seinen Dienst nicht wie eigentlich angepeilt ein ganzes Jahr lang.

Die Sozialexpertin der Landtags-Grünen, Kerstin Celina, fordert kostenlose oder vergünstigte ÖPNV- und Bahntickets, um den Dienst attraktiver zu machen. Sie kritisiert, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen unter den Bufdis unterrepräsentiert sind – andere wie etwa Abiturienten*innen sind dagegen überrepräsentiert. „Wer kein mitfinanzierendes Elternhaus im Hintergrund hat, sieht vor allem die Schwierigkeiten bei der Finanzierung und weniger die Möglichkeiten eines solchen Jahres“, sagt Celina. Neben Arbeiterkindern sind auch Migrant*innen und Behinderte kaum vertreten. Die Freiwilligendienste müssten deshalb unter anderem mehr Plätze für Menschen mit Behinderungen anbieten. Auffällig ist auch, dass lediglich nur gut vier von zehn Bufdis männlich sind.

Ärger gab es zuletzt um ein Freiwilligenprogramm der Bundeswehr, bei dem auch der Dienst an der Waffe gelernt wird. Sozialverbände fürchten durch den „Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz“ Konkurrenz für die sozialen Freiwilligendienste.

Xander Gesellmann bereut seine Entscheidung, Bufdi zu werden, derweil nicht: „Diese Erfahrung will ich nicht missen.“
(Tobias Lill)

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