Der 43-jährige CSU-Politiker ist seit 2004 Mitglied des Europaparlaments, seit 2014 sitzt Manfred Weber dort der mächtigen konservativen EVP-Fraktion vor. In seiner Partei gilt der Niederbayer als ausgleichender und pragmatischer Anti-Scharfmacher. Immer wieder wird Weber auch als einer der CSU-Kronprinzen gehandelt.
BSZ Herr Weber, die Terroranschläge von Paris und der Flüchtlingsstrom an der bayerischen Grenze – sind das jetzt zwei voneinander getrennt zu betrachtende Themen oder nicht?
Manfred Weber Die Menschen, die bei uns ankommen, fliehen vor dem Terror des Islamischen Staates in Syrien. Es wäre falsch, die Anschläge von Paris mit den Problemen bei der Aufnahme der Flüchtlinge bei uns zu vermengen. Wir sind alle Opfer des Terrors. Deshalb müssen wir darauf jetzt gemeinsam reagieren.
BSZ Wie zum Beispiel?
Weber Wir brauchen nach meiner Ansicht etwa eine europäische Datenbank zur Überwachung gefährlicher Islamisten. Die Anschläge von Paris zeigen, dass es wenig nützt, wenn jedes Land nur seine eigene Datei führt. Außerdem sollte die Polizei einen Regel-Zugriff auf die Eurodac-Datenbank erhalten, in der die Fingerabdrücke von Asylbewerbern gespeichert sind. Das könnte die Suche nach potenziellen Straftätern oder Terroristen erleichtern.
BSZ Bei der Aufnahme der Flüchtlinge ist Europa uneins. Erwarten Sie unter den Eindrücken von Paris mehr Solidarität?
Weber Europa muss die Migrationsfrage partnerschaftlich in den Griff bekommen. Europa braucht mit seinen 28 Staaten zugegebenermaßen immer Zeit, um Antworten auf große Fragen zu finden. Aber Europa hat immer bewiesen, dass es in der Lage ist, Antworten zu geben. Zum Beispiel hat die Finanzkrise dazu geführt, dass Europa heute bei der Bankenaufsicht und der Stabilität unserer Währung deutlich besser dasteht. Ja, Europa ist manchmal mühsam, aber ich bin sicher, dass uns auch in der Migrationsfrage eine Lösung gelingen wird.
"Wir erleben kein Scheitern Europas, sondern ein Scheitern durch den nationalen Egoismus"
BSZ Lässt Sie dieses Mühsame in der Flüchtlingsdebatte an Europa verzweifeln?
Weber Ich erlebe Europa in dieser Frage so: Die Kommission hat einen verbindlichen Quotenmechanismus zur Aufnahme von Flüchtlingen vorgelegt. Im Parlament haben wir sowohl in meiner EVP-Fraktion als auch bei den sozialdemokratischen Partnern eine klare Mehrheit für die Quote. Das heißt, zwei Gremien wollen die Quote und die Solidarität in Europa. Wir erleben also kein Scheitern Europas, sondern ein Scheitern durch den nationalen Egoismus.
BSZ Das heißt, es ziehen nicht alle an einem Strang?
Weber Die Mitgliedsstaaten in der „zweiten Kammer Europas“, dem Rat, sind uneins. Da müssen wir Bewegung reinbringen. Ich glaube, das ist zu schaffen, wenn wir die Frage der gerechten Verteilung mit festen Kontingenten verbinden, damit die Größenordnung der jeweils aufzunehmenden Flüchtlinge klar ist. Wir können durchaus großherzige Kontingente für die Aufnahme von derzeit in Lagern in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien lebenden Flüchtlingen definieren, die dann fair über Europa verteilt werden. Neben einer Quote und Kontingenten muss die dritte Säule der robuste Außenschutz der EU-Grenzen sein. Auf dieses Paket sollten sich alle verständigen können.
BSZ Haben Sie Verständnis für die Zurückhaltung in vielen osteuropäischen Staaten, in denen es kaum Erfahrung mit der Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen gibt?
Weber Die Debatte wird in Osteuropa aus historischen Gründen anders geführt. Aber wir können sie den Menschen dort nicht abnehmen. In einer globalisierten Welt, in der auch Polen oder die Slowakei leben, kann man nicht von der Hand weisen, dass es Flüchtlinge gibt und dass diesen Schutz gewährt werden muss. Wir haben in Europa nicht Christenrechte, sondern das Prinzip der Menschenrechte. Deshalb müssen wir auch Hilfe anbieten, wenn Menschen aus anderen Kulturkreisen bei uns Schutz suchen, die auf der Flucht vor Krieg und Terror sind.
"Wir müssen bestehendes EU-Recht wieder durchsetzen"
BSZ Wie erleben Sie diese Debatte in der EVP-Fraktion?
Weber Natürlich gibt es in unserer großen Fraktion mit 216 Abgeordneten aus 27 Ländern verschiedenste Meinungen. Aber wir haben uns nach kontroversen Debatten auf einen Konsens geeinigt. Der beinhaltet den Außengrenzenschutz und die europäische Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme.
BSZ Die CSU setzt bei der Zuwanderungsbegrenzung auf die Wiederbelebung des wenig solidarischen Dublin-III-Verfahrens. Wie realistisch ist das bei der großen Zahl täglich ankommender Flüchtlinge?
Weber Unser Ziel muss sein, bestehendes EU-Recht wieder durchzusetzen. Da sind unsere Partner – hier konkret Griechenland – gefordert, ihre Hausaufgaben zu machen. Also die Registrierung durchzuführen und Aufnahmebedingungen zu verbessern. Uns ist in Brüssel aber auch klar, dass wir das bestehende Recht weiterentwickeln müssen, weil es für die jetzige große Zahl an Flüchtlingen nicht ausgelegt ist. Dublin-III ist dafür die Grundlage, aber sie muss um Quoten und Kontingente sowie einen Außengrenzenschutz ergänzt werden, der diesen Namen auch verdient.
BSZ Eine Schlüsselrolle bei der Flüchtlingsbewegung spielt die Türkei. Ist Präsident Erdogan dafür ein vertrauenswürdiger Verhandlungspartner?
Weber Wir können uns unsere Nachbarn nicht aussuchen. Leider macht die Türkei bei vielen Rechtsstandards wie Presse- oder Meinungsfreiheit Rückschritte. Trotzdem: Die Türkei ist ein Schlüsselland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise. Deshalb hat die EU-Kommission auch konkrete Vorschläge zur Stärkung der Partnerschaft in dieser Frage vorgelegt, verbunden mit der Forderung an die Türkei, gegen die kriminellen Schlepper auf ihrem Staatsgebiet energisch vorzugehen.
BSZ Wie weit darf die EU bei Zugeständnissen an die Türkei für deren Mithilfe gehen?
Weber Die rote Linie ist die Aufnahme der Türkei in die EU. Die EVP-Fraktion wie die CSU stehen klar gegen den EU-Beitritt der Türkei. Unterhalb dieser Schwelle müssen wir aber rasch pragmatische Lösungen zum Umgang mit der Flüchtlingsbewegung finden. Die Partnerschaft mit der Türkei ist ja keine Einbahnstraße. Die Türkei ist von Krisenherden umgeben und hat Probleme, ihr Wirtschaftswachstum zu halten. Die Türkei braucht auch Europa. (Interview: Jürgen Umlauft)
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