Politik

Kardinal Reinhard Marx (links), Erzbischof von München und Freising, zelebriert die Christmette in der Frauenkirche (Liebfrauendom). Für viele ist die Kirche nur noch ein Serviceanbieter. (Foto: dpa/Hoppe)

29.06.2023

Experte: Kirche nur noch "Serviceanbieter", dessen Abo man kündigt

Reformstau, Missbrauchsskandal, Steuern sparen, Gleichgültigkeit? Die Gründe für einen Austritt aus der katholischen Kirche dürften vielfältig sein. Es stellt sich die Frage: Wie geht es weiter nach den Rekord-Austrittszahlen?

Ein Austritt aus der Kirche ist in Deutschland nach Ansicht eines Theologie-Professors keine große Sache mehr: Es werde "zunehmend normaler", aus der Kirche auszutreten, sagte Ulrich Riegel, Professor für Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Uni Siegen. "Für viele Menschen stellt die Kirche eher einen Serviceanbieter als eine Glaubensgemeinschaft dar, der Kosten verursacht, dessen Angebote man aber kaum nutzt. Dann ist es aber nur konsequent, das Abo zu kündigen."

Die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche" appellierte derweil an die ausgetretenen Menschen in Deutschland, ihre eingesparten Kirchensteuerausgaben trotzdem im kirchlichen Bereich zu belassen. Seine Organisation kämpfe für kirchliche Reformen. Man bitte deshalb die Menschen, "dieses Geld nicht ganz der Kirche zu entziehen", sagte Sprecher Christian Weisner. Denkbar wäre es, das Geld für kirchliche Projekte auf Gemeindeebene zu spenden oder kirchliche Dienste und Hilfswerke zu unterstützen - "lieber das Geld umleiten".

Dramatische Austrittswelle 

Am Mittwoch hatte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) aus Sicht der katholischen Kirche dramatische Austrittszahlen veröffentlicht. Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 in Deutschland aus der katholischen Kirche ausgetreten. Das sind so viele wie noch nie und deutlich mehr als im bisherigen Rekordjahr 2021. Damals hatten 359 338 Katholikinnen und Katholiken ihrer Kirche den Rücken gekehrt.

Ein Ende dieser Entwicklung ist laut Wissenschaftler Riegel nicht abzusehen: "Alle verfügbaren empirischen Daten zum Kirchenaustritt deuten darauf hin, dass sich die Entwicklung erst einmal so fortsetzt. In den Kirchen finden sich immer noch sehr viele Menschen, die sehr wenig bis nichts mit dieser Kirche verbindet. Die meisten dieser Menschen werden ihre Kirchenmitgliedschaft sehr wahrscheinlich kündigen."

Sobald die meisten Menschen aus dieser Gruppe ausgetreten seien, dürften die Zahlen auch wieder sinken. Der Kirche gelinge es nicht, ihr öffentliches Ansehen zu verbessern, sagte Riegel weiter.

Schleppende Aufarbeitung von Missbrauchsfällen ist ein Grund

Weisner von "Wir sind Kirche" nannte die schleppende Aufarbeitung des Themas Missbrauchs als einen der Gründe für die andauernde Austrittswelle. Zudem gebe es schwierige Auseinandersetzung um die Reformbemühungen des Synodalen Weges. Der Prozess war als Folge der Missbrauchsfälle ins Leben gerufen worden. "Dies sind alles Dinge, die Katholikinnen und Katholiken in Deutschland nicht mehr verstehen können", Kirchenaustritt sei ihr Mittel des Protests.

Mit sinkenden Mitgliederzahlen dürfte sich auch die Frage stellen, welche Rolle die Institution Kirche noch in der Gesellschaft spielt. Eine Razzia am Dienstag in Räumen des Erzbistums Köln im Zusammenhang mit Meineid-Ermittlungen gegen Kardinal Rainer Maria Woelki deutet Riegel als mögliches Zeichen einer Verschiebung: "Die Razzia könnte andeuten, dass die katholische Kirche nicht nur Mitglieder einbüßt, sondern zunehmend auch ihre öffentlichen Privilegien." (Kathrin Zeilmann und Britta Schultejans, dpa)

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