Politik

Wo soll's hingehen mit der Bundeswehr? Dazu gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen. (Foto: dpa)

23.09.2016

Fehlende IT-Spezialisten, altes Gerät

Muss man die Bundeswehr reformieren, gar die Wehrpflicht wieder einführen? Dazu gibt es viele Meinungen

61 Jahre alt wird die Bundeswehr in knapp zwei Monaten. Seit 1989 schien es lange, als müssten sich die deutschen Streitkräfte im Zuge der Entspannung zwischen Ost und West neue, vielleicht sogar weniger Aufgaben suchen. Die Bundeswehr nimmt mittlerweile Frauen auf, nicht nur in den Sanitätsdienst, sondern auch in kämpfende Truppenteile. Der Bundestag hat die Wehrpflicht im Jahr 2011 ausgesetzt. Und vor genau 20 Jahren wurde das Kommando Spezialkräfte (KSK) gegründet – nachdem deutsche Geiseln aus dem damaligen Bürgerkriegsgebiet Ruanda von belgischen Spezialkräften befreit werden mussten. Denn in der Bundeswehr war dafür niemand ausgebildet.

Mittlerweile fürchten auch viele Bürger im Inland um Leib und Leben. Spannungen zwischen der Nato und Russland nehmen wieder zu, ebenso terroristische Anschläge in Europa. Vor diesem Hintergrund gibt es diverse Vorschläge, die Truppe zu reformieren und zu stärken. Freie Wähler-Chef Hubert Aiwanger etwa will die ausgesetzte Wehrpflicht wieder einführen: „Kombiniert mit einem freiwilligen sozialen Jahr für alle würde dies der Gesellschaft und der jungen Generation nutzen“, sagt Aiwanger. Dieses soziale Jahr „müsste durch ordentliche Bezahlung und etwa Rentenanrechnung so attraktiv gestaltet sein, dass es als Alternative zur Wehrdienstzeit und als wertvolle Erfahrung fürs Leben akzeptiert wird“. Unterstützung kommt von Peter Paul Gantzer, dem langjährigen Verteidigungsexperten der SPD-Landtagsfraktion: „Es geht unserer Jugend so gut, dass wir jungen Männern und auch Frauen ein Jahr Dienst für die Bundesrepublik Deutschland abverlangen können – ob in den Streitkräften oder in sozialen Diensten, das soll jeder frei wählen können.“

Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), glaubt indes nicht an die schnelle Wiedereinführung der Wehrpflicht. Denkbar wäre dies nur in einem „worst case scenario“, etwa wenn ein Staat militärisch gegen Deutschland oder einen Bündnispartner vorginge. Derzeit gebe es außerdem zu wenige Kasernen und Material für Wehrpflichtige. Und auch die Bundestagsabgordnete Doris Wagner, Verteidigungsexpertin der Grünen, lehnt die Wehrpflicht ab: „Sie stellt einen unnötigen und völlig ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte und die Lebensplanung junger Männer dar.“ Zudem würde sie die Personalprobleme nicht lösen.

Quereinsteiger als Soldaten?

Operativ angewiesen sind die Streitkräfte tatsächlich weniger auf Massen von Mannschaftsdienstgraden als auf ausbildungsintensive Spezialberufe wie Flugzeugmechaniker, IT-Spezialisten, Ärzte und Piloten. „Die aber verdienen in der Privatwirtschaft viel mehr Geld und sind immer weniger bereit, ihr Leben in kriegerischen Auslandseinsätzen zu riskieren“, sagt Christian Mölling, Sicherheitsexperte beim German Marshall Fund in Berlin. „Natürlich brauchen Soldaten die beste Ausrüstung, um ihren Job zu machen“, sagt der evangelische Militärbischof Sigurd Rink, „aber mindestens genau so wichtig ist, dass sie wissen, was das Ziel ihres Einsatzes ist. Da ist besonders das Parlament in der Pflicht, das deutlicher zu kommunizieren.“

Früher war das Einsatzziel klar: Das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen, versprechen Rekruten beim Gelöbnis. Seit diese Freiheit auch am Hindukusch verteidigt wird, verschwimmen die Ziele. Gantzer nennt es „freundschaftliches Desinteresse“, was Militärs in Deutschland entgegenschlägt: „Die Gesellschaft identifiziert sich nicht mit der Bundeswehr.“ Und Aiwanger beklagt: „Die Wehrdienstzeit galt früher als ,Dienst des Staatsbürgers in Uniform’, heute spricht man von ,Job’.“

Nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa sind die Streitkräfte als Arbeitgeber unattraktiv geworden – und das Beamtenbesoldungsgesetz nur für Militärangehörige zu ändern wäre eine Herkulesaufgabe. „Vielmehr sollte man darüber nachdenken, die Bundeswehr auch für Quereinsteiger zu öffnen“, sagt Mölling. „Dann wäre man nicht von 18 bis 65 Soldat, oder zumindest immer in der ersten Lebenshälfte, sondern könnte zum Beispiel auch im Alter von 40 erst einsteigen. Dafür brauchen wir neue Modelle.“

Schlagzeilen machte die Bundeswehr zuletzt vor allem mit Beschaffungsproblemen. Große Waffensysteme und auch einfache Gewehre werden spät geliefert oder sind für den Einsatz in heißen Ländern ungeeignet. Beinahe alle Waffensysteme haben den Ruf, nicht mehr richtig einsatzfähig zu sein. „Veraltetes Material und zunehmend schlechtes Image“, klagt Aiwanger. Und auch Bartels kritisiert: „Diese planmäßige Mangelwirtschaft gefährdet Ausbildung, Übung und Einsatz. Es ist von allem zu wenig da.“ Laut Doris Wagner mangelt es vor allem „an einer realistischen Vorstellung, was die Bundeswehr können soll, wofür wir sie einsetzen wollen.“ Wahrscheinlicher als eine „Panzerschlacht gegen Russland“ seien weitere EU- und UN-Missionen in Afrika. Dafür brauche man keine neuen Kampfpanzer, wie sie das Verteidigungsministerium jetzt bestellen will, „sondern Transporthubschrauber und gepanzerte Fahrzeuge.“ Dies alles sei zudem billiger zu beschaffen, wenn die EU- bei Bestellungen kooperiere.

Daneben flammt immer wieder die Debatte auf, der Bundeswehr im Katastrophenfall auch den Einsatz im Inland zu erlauben. „Das ist heute schon im Wege der Amtshilfe möglich, außerdem ist das Militär nicht für polizeiliche Zwecke ausgebildet“, betont Gantzer. Mölling sagt: „Wir brauchen mehr Polizei, ganz klar. Aber man sollte jetzt nicht den Fehler machen, fehlende Polizisten durch Soldaten zu ersetzen. Ein Hammer nützt nichts, wenn kein Nagel in die Wand muss, sondern eine Schraube.“
(Jan Dermietzel)

Kommentare (1)

  1. Sebastian Schlutz am 26.09.2016
    Der Bericht verweist zu Recht u.a. auf die angespannte Personalsituation. Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein schwerwiegender Fehler und es ist zu hoffen, dass die Stimmen zur Wiedereinführung in geänderter Form, die einer allgemeinen Dienstpflicht für alle jungen Menschen entspricht, unüberhörbar werden. Darüber hinaus gibt es andere Möglichkeiten die Personalsituation für die Bundeswehr und den Öffentlichen Dienst im Allgemeinen zu verbessern. Soldaten haben nur eine 20%ige Wahrscheinlichkeit zu einer Lebenszeitbeschäftigung in der militärischen Laufbahn. Es wird daher die Forderung zu einem leichteren Wechsel in den Staatsdienst erhoben. Ich begrüße diese Forderung ausdrücklich! Denn die Situation ist weit kritischer, als in Ihrem Bericht angedeutet. Der öffentliche Dienst macht sich inzwischen selbst Konkurrenz. Die Bundeswehr steht nicht nur in Konkurrenz zur freien Wirtschaft, sondern auch zu anderen Dienstgebern. Dies wäre vermeidbar. Eine Vermeidung dieser Konkurrenzsituation würde erhebliche Ressourcen in den öffentlichen Haushalten einsparen helfen und die berufliche Perspektive gerade der Soldaten verbessern und damit auch deren Zukunfts- und Lebensplanung, wenn es gelingen würde eine Vereinbarung innerhalb des öffentlichen Dienstes des Bundes, der Länder und der Kommunen und ggf. anderer Körperschaften zu schließen. Eine solche Vereinbarung sollte im Kern darin bestehen, dass alle Zeitsoldaten nach ihrer Dienstzeit ein Anrecht auf Qualifizierung und Einstellung als Beamte im öffentlichen Dienst erhalten. Die bisherige Regelung der Vorbehaltsstellen würde obsolet. Die öffentliche Verwaltung bekäme zuverlässig Zugriff auf erfahrenen und bewährten Nachwuchs, die Bundeswehr (und evtl. die Polizeien und andere Blaulichtorganisationen) erhielten das Vorrecht auf junge, gesunde Bewerber vor der zivilen Verwaltung. Unter Umständen ließe sich so auch die Lebensarbeitszeit der Soldaten verlängern, wenn die Berufssoldaten mit eingeschlossen würden. Es ließen sich auch Langzeit-SaZ-Regelungen vermeiden, die nur zu Altersarmut führen. Denn die Bundeswehr würde mehr junge Bewerber generieren können, wenn im Übrigen öffentlichen Dienst Voraussetzung für eine Einstellung in der Beamtenlaufbahn die Ableistung des Wehr- (oder Polizei-)dienstes (von bestimmter Dauer) wäre. Alle Seiten des öffentlichen Dienstes und die Soldaten würden profitieren!
    Nebenbei würde eine solche Vereinbarung und Lösung der gerade geführten Diskussion um eine Einführung der Allgemeinen Dienstpflicht nicht im Wege stehen, aber helfen die Demografiefestigkeit der Bundeswehr und anderer Dienstgeber zu sichern.
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