Die Studie „Lebenswelten junger Muslime“ schockiert Deutschland: Muslime wollen sich nicht integrieren, berichteten die Medien. Diese Interpretation der Ergebnisse sei falsch, sagt der Sozialwissenschaftler Klaus Boehnke von der Jacobs-University in Bremen, ein Verfasser der Studie. Richtig sei die Schlussfolgerung: Auch die Deutschen müssen sich anstrengen.
BSZ: Herr Boehnke, viele Muslime fühlen sich in Deutschland nicht zu Hause, heißt es in Ihrer Studie. Was tun?
Boehnke: Integration ist keine Einbahnstraße. Die Migranten sind verpflichtet, sich in die deutsche Gesellschaft einzugliedern. Aber die Deutschen haben gleichzeitig die Pflicht, die Zuwanderer willkommen zu heißen. Das Problem ist: Integration wird von vielen mit Assimilation gleichgesetzt. Viele Menschen verlangen von den Einwanderern also, dass sie sich eingliedern. Aber im Gegenzug zeigen sie kein Interesse an der fremden Kultur. Viele Interviewpartner haben uns gesagt, dass sie den Eindruck haben, in Deutschland unter Generalverdacht zu stehen. Viele Deutsche würden denken, sie seien Terroristen oder würden Terrorismus unterstützen. Solche Vorteile müssen dringend abgebaut werden, denn so kann Integration nicht funktionieren.
Gerade Politiker dürfen keine Pauschalurteile aussprechen
BSZ: Was ist also zu tun?
Boehnke: Gerade Politiker dürfen keine Pauschalurteile über Muslime aussprechen – sie sind Vorbilder. Ich erzähle gern von Kanada: Dort werden türkische und ukrainische Kulturvereine vom Staat unterstützt. Gleichzeitig müssen alle Einwanderer bei der Ankunft Sprachkurse absolvieren. Das Motto der Regierung: Wenn wir etwas geben, dürfen wir auch etwas verlangen. In Deutschland wurde jahrzehntelang weder das eine noch das andere gemacht. Jetzt ist wichtig, dass im Rahmen einer Willkommenskultur gefördert und gefordert wird. Das ist auch die Essenz unserer Studie: Für ein gelungenes Zusammenleben müssen sich die Migranten anstrengen – aber unbedingt auch die Deutschen.
BSZ: Angesichts der Mediendebatte, die Ihre Studie ausgelöst hat, hat man eher den Eindruck, das Ergebnis der Studie sei: Allein die Migranten sind schuld, wenn Integration nicht gut klappt.
Boehnke: Die Bild-Zeitung, die als erstes berichtete, hat sich herausgepickt, was in ihr Weltbild passt. Es wurden zwar keine falschen Daten veröffentlicht, aber die Journalisten haben die Ergebnisse der Studie verfälscht – auf unverantwortliche Weise. Wenn man darüber berichtet, dass ein Teil der Muslime in Deutschland gewaltbereit ist, dann muss man auch erwähnen, dass die Deutschen für diese Situation mitverantwortlich sind. Die Folgen der Sarrazin-Debatte auf unsere Studie haben das eindeutig gezeigt: Die Muslime, die wir vor Erscheinen des Buchs von Thilo Sarrazin befragt haben, waren viel seltener gewaltbereit als diejenigen, die wir danach interviewt haben.
BSZ: In Bayern läuft die Integration sehr gut, hat Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Zusammenhang mit der Studie gesagt. Ist das eines Ihrer Ergebnisse?
Boehnke: Aus unserer Studie kann man keine regionalen Unterschiede bei der Integration von Muslimen herauslesen. Friedrich kann sich mit dieser Aussage also nur auf andere Studien beziehen. Ein paar Untersuchungen haben ergeben, dass die Integration in Bayern nicht besonders schlecht läuft. Aber nirgends heißt es, dass es besonders gut läuft.
BSZ: Das Selbstbewusstsein der Bayern sei ein Grund für die gut funktionierende Integration, so Friedrich. Ist da was Wahres dran?
Boehnke: Damit hat der Innenminister im Ansatz recht. Integration funktioniert nur gut, wenn die Migranten sich zugehörig fühlen. Voraussetzung dafür ist, dass die Einwanderer sich Gedanken machen, was es bedeutet, zu dieser Gruppe zu gehören. In Bayern sind Traditionen und die regionale Zugehörigkeit im Alltag wichtiger als in anderen Regionen Deutschlands. Geht man davon aus, dass Migranten sich unter diesen Bedingungen mehr Gedanken über ihre eigene Rolle machen, ist das tatsächlich ein Vorteil für die Integration. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Für eine gelungene Integration müssen Migranten auch eine gute Beziehung zu ihrem Herkunftsland aufbauen.
Bayern: Klima der Ablehnung gegenüber Fremden
BSZ: Klappt das bei den Migranten in Bayern gut?
Boehnke: In Bayern herrscht ein Klima der Ablehnung gegenüber Fremden. Der European Social Survey, eine europäische Studie in mehr als 30 Ländern, sagt, dass in Bayern von allen westdeutschen Bundesländern die höchste Fremdenfeindlichkeit zu finden ist. Und das ist keine gute Voraussetzung dafür, dass Migranten eine gesunde Beziehung zu ihrem Herkunftsland entwickeln. Denn damit das klappt, müsste ein Willkommensklima herrschen. Die Menschen in der neuen Heimat müssen Interesse an der Kultur der Migranten zeigen. Die Zuwanderer dürfen nicht das Gefühl haben, dass ihr neues Umfeld die Kultur des Herkunftslandes ablehnt.
BSZ: Die Studienergebnisse liegen seit 1. November vor. Wieso wurden sie erst jetzt veröffentlicht?
Boehnke: Es war geplant, die Ergebnisse mit dem Ministerium in einer Pressekonferenz vorzustellen. Aber mit Bekanntwerden des rechten NSU-Terrors hatte Herr Friedrich natürlich andere Schwerpunkte. Aus irgendeinem Grund muss es gerade interessant sein, die Integrationsdebatte anzukurbeln. Aber ich mag da nicht spekulieren. (Interview: Veronica Frenzel)
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