Politik

Wer beim Direktvermarkter einkauft, kommt oft günstiger weg als im Supermarkt. Billiger geht’s nur beim Discounter. (Foto: Schweinfurth)

15.10.2021

Gemüse als Luxusgut

Preisexplosionen: Gefahr für die Gesundheit und den sozialen Frieden

Alles wird teurer. Das spüren die Menschen beim Einkaufen oder Tanken. Besonders gravierende Auswirkungen hat der starke Preisanstieg bei Obst und Gemüse. So warnen Sozialverbände und Ernährungsfachleute bereits vor den sozialen und gesundheitlichen Folgen. „Obst und Gemüse werden für Geringverdiener und Menschen in Grundsicherung durch die Preissteigerungen endgültig zum Luxusgut, das sie sich nicht mehr leisten können“, erklärt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts haben sich die Preise für Nahrungsmittel im August im Jahresvergleich um 4,6 Prozent erhöht. Dabei mussten Verbraucher*innen für Gemüse zuletzt 9 Prozent mehr zahlen als vor einem Jahr, Salat war sogar um knapp 38 Prozent teurer. Bei Obst betrug der Preisanstieg 2,5 Prozent. Vor diesem Hintergrund fordern die Deutsche Diabetes Gesellschaft und die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten, gesunde Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Nüsse von der Mehrwertsteuer zu befreien. Ungesunde Produkte, etwa Softdrinks, sollen im Gegenzug mit 29 Prozent höher besteuert werden.

DGB fordert 12 Euro Mindestlohn

„Ohne Frage ist der massive Preisanstieg von gesunden Lebensmitteln problematisch. Daher ist es grundsätzlich zu begrüßen, gesunde Lebensmittel für mehr Menschen erschwinglicher zu machen“, sagt auch Verena Di Pasquale, kommissarische Vorsitzende des DGB Bayern. Aus Sicht der Gewerkschaft löst der Vorschlag, die Mehrwertsteuer für ungesunde Produkte zu erhöhen, das zugrunde liegende Problem allerdings nicht. Stattdessen müsse die materielle Lebensgrundlage derjenigen angehoben werden, die oftmals gar nicht anders können, als billige, ungesunde Lebensmittel zu kaufen. „Der Mindestlohn muss schnellstens auf mindestens zwölf Euro angehoben werden, zudem ist eine spürbare Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes notwendig. Erst mit mehr Einkommen in der Tasche haben die Menschen eine wirkliche Wahlmöglichkeit“, so Di Pasquale.

Im bayerischen Landwirtschaftsministerium hingegen betont man, dass eine ausgewogene Ernährung auch mit geringen finanziellen Mitteln möglich sei. „Gesunde Nahrungsmittel sind nicht zwangsläufig teuer“, betont Sprecher Simon Springer. Die Kundschaft sollten insbesondere bei Obst und Gemüse verstärkt auf saisonale Angebote und grundsätzlich auf gering verarbeitete Produkte achten. Die Staatsregierung setze auf Aufklärung, damit Verbraucher*innen basierend auf einer guten Faktenlage „eigenständige und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen können“, so Springer.

EU-Recht steht Mehrwertsteuersenkung entgegen

Tatsächlich wäre zumindest der Lösungsansatz mit der Mehrwertsteuer zeitnah wohl kaum umsetzbar. Europarechtliche Gründe stehen dem entgegen, so Michael Brandl, Sprecher des bayerischen Finanzministeriums. Er verweist darauf, dass das deutsche Umsatzsteuergesetz nur Regelungen enthalten darf, die nach den EU-Vorgaben zulässig sind. Entscheidend sei hier die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie der EU. „Und diese sieht keine Steuerbefreiung für gesunde Lebensmittel vor“, so Brandl.

Auch wenn die Preissteigerung bei Lebensmitteln mit einem Einkauf beim Discounter oder direkt beim Erzeuger tatsächlich noch abgefedert werden kann, bei den Energiekosten funktioniert das nicht. Preisvergleich und Anbieterwechsel können ein wenig Entlastung schaffen, die große Tendenz der um 150 Prozent gestiegenen Börsenstrompreise lässt sich damit aber nicht umkehren.

Benzinpreise im Steigflug

Allein die Spritpreise sind seit rund zehn Monaten im Steigflug. Diesel hat sich seit seinem letzten Tiefstand im Oktober 2020 um rund 40 Cent verteuert. Super E10 hat seit einem Tief im April 2020 sogar fast 45 Cent zugelegt. Noch-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) fordert deshalb spätestens ab einem Preis von 1,99 Euro pro Liter Super Steuersenkungen. Ob da aber die neue Bundesregierung  mitmacht, bleibt abzuwarten. Auch, ob eine Senkung der Stromkosten für private Haushalte und Unternehmen beispielsweise durch eine Steuerfinanzierung der EEG-Umlage kommt, ist fraglich. Bayerns DGB-Chefin Di Pasquale mahnt das an.

Die neue Bundesregierung aber muss dringend den Preisauftrieb in allen Lebensbereichen genau im Blick haben. Und Lösungen erarbeiten. Wenn Menschen ihren Lebensunterhalt kaum noch erwirtschaften können, bedroht das nicht nur deren Gesundheit, sondern auch den gesellschaftlichen Frieden. Und der leidet in Zeiten von Corona ohnehin schon genug.
(Ralph Schweinfurth)

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