Eine Geburt ist für die Frau immer mit Schmerzen verbunden. Nur: Wo hört der unvermeidliche Schmerz auf und wo beginnt es, eine unnötig traumatische, mit Gewalt verbundene Erfahrung zu werden? Laut Studien erleben rund 30 Prozent aller Gebärenden deshalb eine belastende Geburt, weil das Personal unprofessionell agiert. Allein in Bayern sind das statistisch rund 35 000 Fälle pro Jahr. Es fängt oft an mit unpassenden Bemerkungen wie „Nun reißen Sie sich doch endlich zusammen!“ bis zum Ausüben von Druck in Worten und Taten – und endet häufig mit Maßnahmen, die übergriffig und manchmal auch schlicht gesetzeswidrig sind.
Das Patientenrechtegesetz sieht vor, dass vor medizinischen Eingriffen Aufklärung und Einwilligung erfolgen müssen. „Aus Rückmeldungen von Frauen wissen wir, dass dies häufig nicht passiert“, erklärt Katharina Desery, Sprecherin des Vereins Motherhood, einer Elternvereinigung, die sich bundesweit für sichere Geburten und eine bessere Geburtshilfe einsetzt. So berichteten Frauen von Dammschnitten ohne vorherige Beratung oder das Einholen einer Zustimmung.
Bei rund einem Fünftel der Frauen wird laut Motherhood im Kreißsaal auch der sogenannte Kristeller-Handgriff angewandt. Dabei wird, wenn der Kopf des Babys schon herausschaut, stark auf den Bauch gepresst, um das Kind quasi herauszudrücken. Eine umstrittene Methode, die eigentlich nur im äußersten Notfall und nur mit dem Einverständnis der Frau erlaubt ist – auch weil es dadurch bei Mutter und Kind zu Verletzungen kommen kann. Zudem hat sich die Zahl der Kaiserschnitte in den vergangenen Jahrzehnten verdoppelt – und das nicht nur, weil Eltern öfter ihre Geburt planbarer machen wollen. Laut Motherhood wird beispielsweise Schwangeren, deren Kind mit dem Po voran in Beckenlage liegt, oft pauschal ein Kaiserschnitt angeboten – obwohl dieser nicht zwingend nötig wäre.
Die AfD hat das Problem thematisiert – das kam im Landtag nicht gut an
Häufigste Ursache ist der Mangel an Zeit und Personal. Wer ständig schon die nächsten wartenden Gebärenden im Kopf hat und bereits unzählige Stunden im Kreißsaal verbracht hat, wird eher daran denken, die Geburt endlich zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, als sich den Bedürfnissen von Mutter und Kind zu widmen. Es fehlen bundesweit Tausende Ärzt*innen und Pflegefachkräfte in den Kliniken – und es fehlt an Hebammen: Das Ideal einer 1:1-Betreuung während der Geburt kommt in der Realität so nur selten vor. Katharina Desery weiß von Frauen, die sogar unmittelbar, bevor das Kind auf die Welt kam, ohne Unterstützung einer Hebamme gewesen seien.
Die AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag hat das Thema jetzt aufgegriffen. In deutlichen Worten schilderte die Fraktion in einem Antrag die „physischen oder verbalen Übergriffe durch das medizinische Personal“. Diese könnten zu „erheblichen psychischen Belastungen führen, einschließlich Postpartaler Depressionen und posttraumatischer Belastungsstörungen“. Die Forderung an die Staatsregierung: eine umfassende Aufklärung und Prävention, um werdende Mütter optimal auf die Geburt vorzubereiten und zu schützen. Geschlossen stimmten CSU, Freie Wähler, Grüne und SPD dagegen und warfen der AfD Angstmacherei und ein pauschales Verunglimpfen des Fachpersonals vor. Zudem biete der AfD-Antrag keine Lösung der beklagten Situation.
Tatsächlich kann eine bessere Aufklärung der werdenden Mütter nur ein Baustein von mehreren sein. Der Dachverband der Hebammen betont – wie die Bayerische Landesärztekammer –, man verurteile jede Form von Gewalt, die Frauen unter der Geburt widerfährt – „unabhängig davon, wer sie ausübt und welche Ursachen sie hat“. Der Hebammenverband verweist auf eigene Fort- und Weiterbildungen. Doch eine wirklich gewaltfreie Geburtshilfe erreiche man nur mit neuen Strukturen und mehr Personal.
Sowohl der Hebammenverband als auch die Elternvertretung Motherhood heben in dem Zusammenhang einen Aspekt der jetzt beschlossenen Krankenhausreform hervor: Darin ist zum ersten Mal der sogenannte Hebammenkreißsaal gesetzlich verankert. Bei diesem Konzept kann die Geburt in der Klinik bei normalem Verlauf nur unter Anleitung von Hebammen vonstattengehen – wie im Geburtshaus oder bei einer Hausgeburt. Die Reform sieht außerdem die Einrichtung einer Fachkommission vor, die verbindliche Maßstäbe zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Hebammen festlegt.
In Bayern wurde bereits vor einigen Jahren ein Programm zur Gewinnung von Hebammen gestartet. Hebammen, die sich freiberuflich niederlassen, erhalten einmalig eine Prämie in Höhe von 5000 Euro, dazu bekommen alle Freiberuflerinnen jährlich 1000 Euro. Seit 2018 wurden so mehr als 7 Millionen Euro ausgeschüttet. Das Bayerische Gesundheitsministerium will außerdem mithilfe eines Fachkräftemonitorings erfassen, wie gut die Versorgung mit Hebammen und weiteren Fachkräften für Ergotherapie, Logopädie und Podologie im Freistaat ist. Das Ergebnis liegt noch nicht vor.
Es geschieht also durchaus etwas. Nur ob es reicht, um die Situation in Kreißsälen grundlegend für die Mütter zu verbessern, ist ungewiss. Für Katharina Desery von Motherhood kommt es dabei nicht nur auf das Thema Zeit- und Personalmangel an. Am schwierigsten, erklärt sie, werde es sicher, die Haltung aller Beteiligten zu ändern – hin zu einer stark auf die Frau zentrierten Perspektive. (Thorsten Stark)
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