Politik

Frauenspezifische Symptome – gut, wenn man sich damit auskennt. (Foto: dpa)

14.06.2013

Gleiches Leiden, andere Symptome

In einem Fachgespräch der Landtags-SPD wird die Notwendigkeit genderspezifischer Medizin deutlich

Der Normalfall in der Medizin ist ein Mann mittleren Alters, der nicht besonders krank ist“, hat jüngst die Abgeordnete Kathrin Sonnenholzner (SPD) erklärt. Sie muss es wissen, schließlich ist sie nicht nur die gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, sondern auch Ärztin. Demnach stellt der genannte Patiententypus eine Referenzgruppe dar: in der medizinischen Ausbildung, in der Forschung, in der Therapie und in der Pharmakologie. Welch teilweise fatale Konsequenzen diese Konzentration auf ein Geschlecht hat, veranschaulichte Sonnenholzner gemeinsam mit ihrer Parteikollegin Sabine Dittmar – ebenfalls Medizinerin – im Rahmen des Fachgesprächs „Genderspezifische Medizin aus der Sicht von Ärztinnen und Patientinnen“.
Herzinfarkt wird bei Frauen oft gar nicht erkannt
Die Veranstaltung überzeugte durch Niveau: Das Thema wurde differenziert aufgezogen, die Referentinnen waren gut gewählt. Neben ihrem Fachwissen warteten die drei Medizinerinnen auch mit einem ansehnlichen Erfahrungsschatz auf. Zwar argumentierten sie aus weiblicher Sicht. Dabei erklärten sie aber die Chancengerechtigkeit beider Geschlechter als Ziel.
Ursula Härtel, Professorin am Institut für medizinische Psychologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, nannte geschlechtsspezifische Unterschiede in der kardiologischen Rehabilitation. Diese berücksichtige – wie Reha-Maßnahmen generell – zu wenig die weibliche Physis und Psyche. „Frauen sind nach einer koronaren Herzerkrankung anfälliger für Ängste und Depressionen. Darauf wird oft nicht genügend eingegangen“, nannte sie ein Beispiel. Allerdings gebe es frauenspezifische Reha-Gruppen, die derlei Aspekte berücksichtigen. Auch in der Diagnostik scheint Vieles im Argen zu liegen: Laut Härtel wird bei Frauen ein möglicher Herzinfarkt manchmal nicht erkannt, weil die spezifischen Symptome den Ärzten unbekannt sind. So litten Frauen im Gegensatz zu Männern oft an Schmerzen zwischen den Schulterblättern und Übelkeit.
Außerdem beklagte Härtel den Mangel an Datenmaterial zu Patienten ab 75 Jahren – was auf beide Geschlechter zutreffe. Dem stimmte Claudia Hornberg, Professorin für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld, zu. Sie lenkte den Blick auf das menschliche Seelenleben. „Wir wissen, dass Frauen öfter versuchen, sich umzubringen als Männer. Männer dagegen vollenden häufiger einen Suizid“, sagte sie. Trotz solcher Vergleichsdaten scheint sie nichts davon zu halten, Therapie sklavisch an Statistiken auszurichten. Beispielsweise erkranken laut Datenmaterial häufiger Frauen als Männer an psychischen Störungen. Laut Hornberg werden die von Medizinern eher bei Frauen vermutet als bei Männern. Ergo spiele die Erwartungshaltung der Therapeuten eine große Rolle bei der Art, wie sie diagnostizieren.
Um diese Schere im Kopf zu verhindern, plädiert sie dafür, Kranke statt geschlechterspezifisch „zielgruppenspezifisch anzuschauen“. Dafür gibt es ihrer Meinung nach momentan zu wenig Fachpersonal. Hornberg: „Das trifft besonders auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie zu. Auch für Migrantinnen gibt es zu wenig spezifisch ausgebildete Psychiater.“
Dass es auch in Zukunft nicht einfach sein wird, ausreichend speziell ausgebildete Mediziner zu finden, verdeutlichte der Vortrag von Heidemarie Lux, Vizepräsidentin der bayerischen Landesärztekammer: Beide Geschlechter hätten das Problem, ihren anspruchsvollen Beruf mit dem Familienwunsch zu vereinbaren. Das ist das altbekannte Lied: zu wenig Betreuungsmöglichkeiten, so gut wie keine Teilzeitangebote in den Führungspositionen behindern oder – im schlimmsten Fall – verhindern die berufliche Entfaltung.
Davon sind – wie in den meisten anderen beruflichen Zweigen – Frauen in der Medizin ungleich stärker betroffen als ihre Partner. Das zeige sich vor allem bei einem Blick auf das Karrierestreben: „Während zwölf Prozent der Absolventen einen Chefarzt-Posten anstreben, sind es bei den Absolventinnen gerade mal zwei Prozent“, weiß Lux. Dabei sind mehr als 60 Prozent der Medizin-Studierenden bundesweit weiblich.
Haben Medizinerinnen doch eine Führungsposition inne, setzen sie laut Lux andere Schwerpunkte als ihre männlichen Pendants: „Sie legen Wert auf Weiterbildung und setzen mehr auf Teamarbeit und Empathie.“ Eigentlich wünschenswerte Eigenschaften in einer Disziplin, die Humanmedizin heißt. Dem durchschnittlichen Mediziner dagegen seien Bonuszahlungen und Dienstwagen wichtiger. Augenzwinkernd fügte Lux hinzu: „Männliche Mediziner setzen auch eher auf tiefe Stimme und breite Schultern.“ Darin dürften sie sich nicht von vielen ihrer Geschlechtsgenossen in den Chefetagen der restlichen Berufswelt unterscheiden. (Alexandra Kournioti)

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