Politik

Die Nachfrage nach psychologischer Beratung steigt. Und mit ihr das Angebot. (Foto: dpa/Jens Kalaene)

24.05.2024

Hilfe finden, die zu einem passt

Immer mehr Krisen verunsichern die Menschen – Coaching und Therapieangebote boomen. Doch was bringen die?

Vieles bringt das Leben gerade durcheinander. Für immer mehr Menschen ist das, was sie im Moment emotional erleben, einfach zu viel. Sie suchen Rat. Holen sich Hilfe. Psychotherapie, Coaching und Lebenshilfeangebote boomen. „Ich muss seit Langem mindestens ein Drittel bis die Hälfte aller Anfragen ablehnen“, sagt Klaus Hofmann, Psychotherapeut und Coach aus Bayreuth. Auch Sebastian Lerch von der Uni Mainz konstatiert: „Es ist eine gesteigerte Nachfrage nach achtsamer, wertschätzender und professioneller pädagogischer Beratung zu beobachten. “ Der Erziehungswissenschaftler gestaltet am 7. Juni den Mainzer „Tag der Erwachsenenbildung“ mit. Der dreht sich in diesem Jahr um die Schwerpunkte „Coaching“ und „Beratung“.

Es gibt wohl kaum jemanden, der von den Krisen der letzten Jahre nicht tangiert wäre. Allerdings kann man so oder so mit Umbruchphasen umgehen, sagt Klaus Hofmann. Dass ein großer Teil der Menschen mit der derzeitigen Krisenhaftigkeit und Komplexität kaum zurechtkommt, hat für den Bayreuther Psychologen etwas mit dem „deutschen Nationalcharakter“ zu tun. „Den Deutschen ist eine gewisse Zwanghaftigkeit eigen, sie wollen immer alles im Griff haben“, sagt er. Den derzeitigen wirtschaftlichen Niedergang empfinden viele als unerträglich.

Menschen fühlen sich nicht nur überbelastet, weil sie mit handfesten Problemen umgehen müssen. Hinter dem Gefühl der Überbelastung stecken häufig auch ungute Glaubenssätze, zu hohe Erwartungen und irrationale Ängste. Auf der Suche nach Entlastung landen Ratlose nicht immer bei seriösen Angeboten. Psychologe Hofmann klagt: „Sie gehen zum Schamanen oder in die Schwitzhütte.“ Das mag kurzzeitig entlasten. Der langfristige Effekt kann jedoch nahezu gleich null sein.
Bei seriösen Psychotherapeut*innen und Coaches lernen Betroffene, dass sie die Welt nicht verändern können. Aber sich selbst können sie verändern. „Doch das bedeutet richtig harte Arbeit an sich“, sagt Hofmann. Um diese Arbeit gut begleiten zu können, sei viel Erfahrung nötig: „Mindestens fünf Jahre, wenn nicht gar zehn.“ Klaus Hofmann selbst kann auf eine 40-jährige Berufserfahrung zurückblicken.

Das Außen kann man nicht ändern, sich selbst schon – doch das ist harte Arbeit

Den richtigen Coach zu finden, ist jedoch nicht leicht. Gut ist ein Coach dann, ist er auf das Wachstumspotenzial seiner Klient*innen fokussiert. Um persönliches Wachstum zu ermöglichen, kann es notwendig sein, verdeckte, mit Scham behaftete Probleme unverblümt anzusprechen oder gar zu provozieren, meint Fred Elsner, der seit 22 Jahren in Würzburg Coaching anbietet. Er begann damit aufgrund einer beruflichen Krise: Der ausgebildete Opernsänger bekam Belastungsasthma. Das beendete seine künstlerische Laufbahn jäh.

Elsner warnt: „Wir versuchen möglichst, Probleme zu vermeiden, wir versuchen, Diskussionen zu vermeiden, wir sehen nicht, dass Fehler ein Teil des Fortschritts sind.“ Zum Coach gehen Belastete oft mit dem Wunsch, etwas, das sie als Übel empfinden, beheben zu lassen. Doch oft ist dem Übel nicht so leicht abzuhelfen.

Wenn jemand um seinen Arbeitsplatz bangt, wenn sich jemand sehr um seine wirtschaftliche Zukunft sorgt oder auch große Angst vor einer nächsten Pandemie hat, sollte er sich beraten lassen. Dazu ermutigt Dieter Frey, Leiter des Center for Leadership and People Management an der Uni München. Allerdings sollte das Beratungsangebot seriös sein. Das, sagt Frey, ehemaliger Inhaber des Münchner Lehrstuhls für Sozialpsychologie, ist es nicht immer. Menschen, die ein gewisses Charisma besitzen und sich als eine Art Guru gerieren, verdienen laut Dieter Frey oft viel Geld mit Veranstaltungen, die Tausende Zuschauer anziehen. Dabei verkündeten sie klare Vorstellungen, was zu tun ist, um aus dem persönlichen Tief herauszufinden: „Meist verbunden mit dem Verkauf weiterer Veranstaltungen.“ Das sei unseriös. Vorsicht sei auch geboten, werden Floskeln laut wie: „Vertraue dir, dann wirst du es schaffen!“

Beim seriösen Coaching kommen Menschen dahinter, was bisher aus welchem Grund in ihrem Leben schiefgelaufen ist. Ein Außenstehender, so Dieter Frey, kann Dinge sehen, die man selbst nicht sieht. Das betreffe zum Beispiel persönliche Potenziale und Präferenzen. Durch Coaching könne es auch gelingen, Träume zu verwirklichen und Grenzen zu erkunden. „Coaching ist gut, wenn der Coach gut ist, wenn er Hinweise gibt, wie jemand seine Persönlichkeit entwickeln kann“, so der Sozialpsychologe. Nun ist „Coach“ kein geschützter Begriff. Wobei es Zertifizierungen gibt. Clemens Baumgartner aus Wolfratshausen, der Führungskräfte-Coaching und Teamentwicklung für Unternehmen anbietet, hat sich zertifizieren lassen. „Motivations-Gurus“ dürften seiner Ansicht nach nicht als „Coach“ bezeichnet werden.

Nach Überzeugung von Coach Winfried Berner aus dem niederbayerischen Mitterfels braucht ein Coach unbedingt die Fähigkeit, den Betroffenen zu widersprechen. Geht ihm diese Fähigkeit ab, könne er kein guter Coach sein. Als sogenannter Change Coach, der in Unternehmen aktiv ist, steht Winfried Berner immer wieder vor schwierigen Aufgaben. Das Topmanagement will Kursänderungen. Das Gros der Belegschaft möchte, dass alles weiterhin seinen alten Gang geht. In solchen Fällen berät Winfried Berner Manager, wie sie den Richtungswechsel gut erklären. Früher, sagt er, habe er vor allem mit den Beschäftigten gearbeitet. Irgendwann habe er erkannt, dass dies wenig bringt. Nur dort, weiß er heute, wo das Topmanagement ins Coaching involviert ist, können neue Strategien effektiv umgesetzt werden. (Pat Christ)
 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist eine Barzahlungsobergrenze von 10.000 Euro sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.