Das Foto erinnert an die große Flüchtlingswelle von 2015: Es zeigt Feuerwehrleute und andere, die kürzlich Feldbetten und Decken in die Niederbayernhalle in Ruhstorf lieferten – in Erwartung ukrainischer Flüchtlinge. Noch stehe die Halle leer, sagt Werner Windpassinger, Pressesprecher am Passauer Landratsamt. Doch innerhalb von ein bis zwei Stunden könne sie in ein Notquartier umfunktioniert werden. Falls tatsächlich Hunderte oder gar Tausende in der Region Zuflucht suchen sollten. Bisher ist das nicht der Fall. Einige Menschen aus der Ukraine seien zwar schon im Landkreis eingetroffen, sagt Windpassinger. Doch sie würden offenbar von Bekannten und Verwandten beherbergt.
Wie viele Kriegsflüchtlinge sich in den vergangenen Tagen nach Bayern gerettet haben, kann niemand sagen. Man wisse von Privatleuten und Vereinen, die auf eigene Faust Transporte von Hilfsgütern an die ukrainische Grenze organisiert hätten, sagt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat – „und auf dem Rückweg bringen sie dann Leute mit“. Andere Geflüchtete kamen per Bus, mit der Bahn oder in Privatwagen. Denn um über die Grenzen zu gelangen, brauchen Menschen aus der Ukraine kein Visum, ein Pass genügt. Anspruch auf Unterstützung hatten sie zunächst allerdings nur, wenn sie Asyl beantragten, was die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft nach sich zog. Am gestrigen Donnerstag trafen sich die EU-Innenminister*innen, um die Regeln für den Fall eines massenhaften Zustroms von Kriegsflüchtlingen in Kraft zu setzen. Geflüchtete aus der Ukraine erhielten damit in der EU einen vorübergehenden Schutz für zunächst ein Jahr und könnten Asylleistungen beziehen, ohne das entsprechende Verfahren durchlaufen zu müssen. Die Gespräche dauerten bei Redaktionsschluss noch an.
Allein in Nürnberg, wo rund 4000 Ukrainer*innen leben, dürften inzwischen mehrere Hundert Geflüchtete untergekommen sein, vermutet Elisabeth Ries, städtische Referentin für Jugend, Familie und Soziales. Genaue Zahlen habe man nicht. Denn ein Großteil der Leute wird bisher über private Kontakte untergebracht. Das könnte sich jedoch bald ändern. Nach Angaben der UN-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR sind bis Donnerstag über eine Million Menschen vor dem Grauen in ihrer Heimat geflohen, hauptsächlich nach Polen, Rumänien und in die Slowakei. Und es werden immer mehr. Die russischen Angriffe könnten zu Europas größter Flüchtlingskrise in diesem Jahrhundert führen, warnt das UNHCR.
Es kommen vor allem Frauen und Kinder
Darauf bereitet man sich nicht nur im Landkreis Passau vor. Zahlreiche Städte und Landkreise im Freistaat richteten Stabs- und Koordinierungsstellen ein. Entsprechende Erfahrungen habe man schon von der großen Flüchtlingswelle vor sieben Jahren, sagt der Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin, Vizepräsident des Bayerischen Landkreistags: „Die Mechanismen von damals halten wir immer noch vor.“ Allerdings sei 2015 keine Blaupause für die nächsten Wochen. Damals seien Menschen aus vielen Ländern über die Grenzen geströmt, darunter etliche junge Männer. Diesmal erwartet man vor allem Frauen mit Kindern, schließlich dürfen Männer zwischen 18 und 60 Jahren gar nicht ausreisen.
In Nürnberg, wo die Anteilnahme auch wegen der Städtepartnerschaft mit der schwer getroffenen Stadt Charkiw besonders groß ist, hat man inzwischen ein Paket mit Hilfsmaßnahmen für ukrainische Flüchtlinge geschnürt: eine Service-Hotline etwa oder eine zentrale Anlaufstelle mit Angehörigen städtischer Dienststellen, Hilfsorganisationen und Dolmetschenden. Außerdem dürfen Menschen mit ukrainischem Pass kostenlos Busse und Bahnen der Nürnberger Verkehrsgesellschaft nutzen. Vorbereitungen laufen auch im bayerischen Innenministerium. Derzeit findet eine Bestandsaufnahme statt, wo Geflüchtete wohnen können.
Insgesamt beobachte man im Freistaat „eine große Aufnahmebereitschaft und Solidarität“ unter den Bürgern, so eine Ministeriumssprecherin. Davon zeugen etwa die 120 Unterkunftsangebote für Flüchtlinge, die innerhalb von 24 Stunden im Fürstenfeldbrucker Landratsamt eintrafen, wie Thomas Karmasin berichtet: „Wir sind sehr froh über diese Welle der Hilfsbereitschaft.“ Auch Werner Windpassinger und Elisabeth Ries wissen von zahlreichen eintrudelnden Offerten. Und sie hoffen darauf, dass diese Stimmung auch anhält. Denn, sagt Ries mit Blick auf den Krieg und die Zahlen des UNHCR, „das wird noch eine ganz lange Strecke werden, auf der wir alle gesellschaftlichen Ressourcen aktivieren müssen, um sie zu bewältigen“.
(Brigitte Degelmann)
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