Politik

Sein Wort hat noch immer Gewicht in der CSU: Theo Waigel bei der Vorstellung seiner Memoiren in München. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

18.04.2019

"Ich habe Edmund Stoiber verziehen"

Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel über seinen 80. Geburtstag, die Performance der CSU, Frauenquoten und seine soeben erschienene Autobiografie

Am Ostermontag wird Theo Waigel 8o Jahre alt. Pünktlich zu seinem Festtag hat der schwäbische CSU-Politiker seine Memoiren vorgelegt. Waigel war von 1982 bis 1989 CSU- Landesgruppenchef im Bundestag, von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister, und von 1988 bis 1999 CSU-Vorsitzender. 1993 verlor er den CSU-internen Machtkampf um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten gegen Edmund Stoiber. Seit 2009 fungiert der Jurist als Ehrenvorsitzender seiner Partei.

BSZ:  Herr Waigel, Sie werden am Ostermontag 80: Wie fühlt sich diese Zahl an?
Theo Waigel: Ach, ganz normal. 80: Das sind 20 weniger als 100 und 20 mehr als 60. In dieser Mitte befinde ich mich und bin relativ zufrieden und versöhnt mit meinem Schicksal.

BSZ: Im Rückblick: Was war Ihre schönste Zeit als Politiker?
Waigel: Die schönste Zeit war eigentlich die als Landesgruppenvorsitzender im Bundestag. Denn da war man halt überall dabei, konnte Einfluss nehmen in München und in Bonn und hatte daneben auch genug Freiheit. In den sitzungsfreien Wochen musste ich nicht in Bonn sein, sondern konnte mich daheim um meinen Wahlkreis und um sonstige Dinge kümmern. Ereignisreicher war aber die Zeit als Bundesfinanzminister. In diese Zeit fielen auch die spannendsten Momente meines politischen Lebens. Da sind ja wirklich unglaubliche Dinge passiert: die Wiedervereinigung, der Abzug der russischen Truppen und die Vorbereitung der gemeinsamen europäischen Währung – mit unglaublichen politischen Begegnungen.

BSZ: Wer war der faszinierendste Spitzenpolitiker, dem Sie begegnet sind?
Waigel: In Deutschland ganz sicher Helmut Kohl, in Amerika George Bush. Und natürlich Michail Gorbatschow.

„Verletzungen kann man überwinden. Nur: Übergehen und verschweigen
will ich sie nicht. “

BSZ: Was hat Sie motiviert, eine Autobiografie zu verfassen?
Waigel: Ich hab mir das eigentlich schon nach meinem Ausscheiden aus der Politik vorgenommen und hab es dann eine Zeit lang vor mir hergeschoben. Es ist auch ganz gut, dass ich eine Zeit gewartet habe, um ein Stück Distanz zu den Dingen zu bekommen und mit der Distanz von 20 Jahren die Dinge zu ordnen. Mir ist sehr zugutegekommen, dass ich viele Aufzeichnungen besitze, weil ich bei vielen Veranstaltungen mitstenografiert habe.

BSZ: Können Sie drei Dinge nennen, auf die Sie stolz sind?
Waigel: Stolz ist das falsche Wort. Ich würde lieber sagen: etwas, was einen bewegt hat. Erstens: Dass es gelungen ist, nach der Wiedervereinigung mit dem Überleitungsvertrag, den ich am 9. Oktober 1990 unterzeichnet habe, für 12 Milliarden D-Mark sämtliche russischen Truppen und Waffen wieder zurück in ihre Heimat zu bringen. Bewegt hat mich dabei auch das Lied, das die russischen und die deutschen Soldaten dabei auf Russisch und Deutsch gesungen haben. Zweitens: Als ich Gorbatschow, nachdem er von Jelzin entmachtet und als Präsident abgesetzt war, im September 1991 wieder getroffen habe, war er sehr niedergeschlagen und enttäuscht. Ich sagte ihm damals, dass in jenen Wochen und Monaten viele Deutsche für ihn gebetet haben. Da rannen Michail Gorbatschow die Tränen übers Gesicht – das hat mich tief berührt. Eine dritte Sache fällt mir noch ein, die aber eher lustig ist: Als ich einmal in Südtirol auf einer Bergwanderung war, kam mir ein Deutscher entgegen und sagte, Sie sehen ja aus wie der Waigel. Ich darauf: Ja, mit dem werd ich immer wieder verwechselt, dabei will ich mit dem Kerl nix zu tun haben. Worauf der andere sagte: Das kann ich gut verstehen.

BSZ: Gibt es Dinge, die Sie bedauern, die Sie heute anders machen würden?
Waigel: Aber natürlich. Trotzdem stehe ich zu allem, was ich gemacht habe und halte die Entscheidungen auch für richtig.

BSZ: Sie bereuen gar nichts?
Waigel: Ich würde sagen, was wir 1989/90 zu wenig verdeutlicht haben bei der Wiedervereinigung, war, dass drei bis vier Millionen Menschen von 1949 bis 1989 vom Osten in den Westen gegangen waren. Diesen ungeheuren Aderlass an Menschen – und das waren nicht die schlechtesten – muss man ja gegenrechnen, wenn Vorwürfe kommen, dass wir zu viel Geld in den Osten stecken. Der Westen hat nämlich von den Menschen profitiert, die damals von Ost nach West gekommen sind.

"Die Quotierung von Delegiertenversammlungen wäre durchaus eine Möglichkeit, die Zahl weiblicher Abgeordneter zu erhöhen"

BSZ: Blicken wir auf die CSU. Glauben Sie, Ihre Partei kann nach dem Absturz bei der Landtagswahl wieder zu alter Stärke zurückfinden?
Waigel: Ja, das kann sie schon. Das ist auch nicht das erste Mal, dass sie eine solche Situation erlebt. Die CSU hat eine noch schwierigere Situation 1950 erlebt, als sie innerhalb von vier Jahren von 52 auf 27,3 Prozent abgestürzt ist. Erst 1958 bekam sie wieder 38 Prozent – was dem Ergebnis der jüngsten Landtagswahl entspricht. Damals, 1950, hatte die CSU ebenfalls mit dem Auftreten neuer Parteien zu kämpfen. Wir haben erst nach und nach zurückgefunden zu Werten über 50 Prozent. Natürlich ist es heute viel schwieriger. Ich glaube auch, dass wir nicht mehr Werte von über 55 Prozent erreichen können. Aber eine Steigerung auf über 40 Prozent ist möglich. Das zeigt sich auch an den aktuellen Umfragen zur Europawahl.

BSZ: Was gefällt Ihnen derzeit an der CSU, was weniger?
Waigel: Mir gefällt, dass wir europapolitisch wieder eine klare Linie gefunden haben und dass sich die bayerische Linie nicht von der in Berlin und in Brüssel unterscheidet. Mir gefällt auch, wie Söder die Partei justiert und wie er von mancher Semantik der letzten Jahre Abschied nimmt. Zurzeit gibt es tatsächlich nichts, was ich kritisieren würde.

BSZ: Tatsächlich? Auch nicht den peinlich niedrigen Frauenanteil?
Waigel: Ich wünsche mir schon einen höheren Frauenanteil, sonst wird sich das mittelfristig sehr negativ auswirken.

BSZ: Die effektivste Möglichkeit, den Anteil weiblicher Abgeordneter zu erhöhen, wäre die Quotierung von Delegiertenversammlungen. Was halten Sie davon?
Waigel: Das wäre durchaus eine Möglichkeit. Daneben halte ich es aber für ganz wichtig, dass wir uns um junge Frauen bemühen und diesen den Weg in die Politik ebnen.

BSZ: Sind Sie der Ansicht, dass die CSU reuige AfDler aufnehmen sollte?
Waigel: Wenn jemand wirklich bereut und einräumt, dass das, was er gemacht hat, falsch war, wenn er diesen Kurs nicht mehr mittragen und auch helfen will, dass diese politischen Kräfte wieder aus dem politischen Leben verschwinden: Dann halte ich es für richtig, einem solchen Menschen die Aufnahme in die CSU zu ermöglichen. Nach einem ausführlichen Gespräch und einer gründlichen Prüfung natürlich.

BSZ: Sie haben kürzlich gesagt, Sie können sich schwarz-grüne Bündnisse auf Bundesebene vorstellen. Auch für Bayern?
Waigel: Das kommt auf die Konstellation an. Im Bund ist die große Koalition weder für die Union noch für die SPD ein erfolgversprechendes Rezept. Ich glaube, die SPD, die für diese Demokratie dringend notwendig ist, kann sich nur in der Opposition erneuern. Und die CDU/CSU wird auf Dauer in der großen Koalition auch nicht glücklich. Folglich muss man über andere Konstellationen nachdenken. In Bayern gibt es derzeit aber ganz andere Möglichkeiten, es gibt die Freien Wähler, und es gibt auch die FDP. Dennoch würde ich auch hier eine Koalition mit den Grünen nicht ausschließen.

BSZ: Die Politik ist ein hartes Geschäft, in dem mit harten Bandagen gekämpft wird. Sie haben das auch erfahren. Wie lange haben Sie gebraucht, um die Verletzungen des Jahres 1993 zu überwinden, als Sie mit sehr unfeinen Mitteln um das Amt des Ministerpräsidenten gebracht wurden?
Waigel: Die Verletzungen kann man überwinden, da bleibt auch kein Revanchegedanke zurück. Nur übergehen und verschweigen will ich das nicht. Ich habe meine Autobiografie übertitelt mit „Ehrlichkeit ist eine Währung“. Da muss ich dann auch ehrlich zu eigenen Niederlagen stehen. Und 1993 war eine Niederlage für mich. Natürlich hatte das mit Vorgehensweisen zu tun, die unter der Gürtellinie lagen.

BSZ: Haben Sie Edmund Stoiber verziehen?
Waigel: Verzeihen ist keine Frage, das ist selbstverständlich ein christliches Gebot, das wir alle zu beherzigen haben. Aber das heißt doch nicht, dass ich über etwas hinweggehe, was mein Leben damals ganz erheblich beschäftigt hat.

BSZ: Gibt es in der Politik Freundschaften?
Waigel: Ja. In meinem Fall sind das einige. Michael Glos würde ich dazuzählen, Gerda Hasselfeldt, Alois Glück, auch Erwin Huber.

BSZ: Haben Sie einen Geburtstagswunsch?
Waigel: Dass ich den Tag im Kreis meiner Familie gut begehen kann. Politisch: dass diese demokratische Ordnung, für die ich fast ein Leben lang gekämpft habe, lebendig bleibt und von Links- und Rechtspopulisten verschont bleibt – sowohl in Deutschland wie auch in Europa.
(Interview: Waltraud Taschner)

Kommentare (2)

  1. Stefan Mayershofer am 23.04.2019
    Lieber Herr Behrenscheidt,
    Ganz im Gegenteil. Es ist sehr interessant von herausragenden Persönlichkeiten, die in diesem Fall sogar Europa wesentlich geprägt haben Internas und deren Blick nach mehreren Jahren zurück zu erfahren.
    Und wie so spricht einer sicher nicht für das gemeine Volk. Das ist anmaßend.
  2. Hanno Behrenscheidt am 17.04.2019
    Es meinen wohl alle Politiker, auch wenn sie bereits in der Versenkung verschwunden sind, dass das gemeine Volk wissbegierig auf deren Autobiographie sei. Das pure Gegenteil ist der Fall!
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