Ein fiktives Szenario: Um den CO2-Ausstoß auf null zu drücken, beschließt die Regierung den vollständigen Umstieg von Autos auf Rikschas. Jeder, der ein solches Gefährt anbietet, bekommt vom Staat einen garantierten Lohn für täglich acht Stunden, um andere Leute von A nach B bringen. Das löst einen riesigen Boom aus: Unzählige Menschen kaufen sich eine Rikscha. Theoretisch werden dadurch immer mehr Autos überflüssig.
Aber eben nur theoretisch: Denn der Großteil der Strampelnden bietet seine Dienste in München oder Nürnberg an, wo die Radwege schön flach und gerade sind und man gut voran kommt. Im Allgäu, im Bayerwald und in der Rhön, wo es häufig steil bergauf geht, ist das Strampeln dagegen weniger attraktiv. Die Folge: In München und Nürnberg stehen viele Rikschas ungenutzt herum. Doch die Regierung hat ja jedem, der den Transport damit anbietet, ein Einkommen garantiert.
Genauso ist es mit der Windkraft. Deren Fans verweisen stolz darauf, dass deren Anteil an der Stromerzeugung erneut kräftig gestiegen ist: von 21,6 Prozent im Jahr 2021 auf 24,1 Prozent im Jahr 2022 (Quelle: Statistisches Bundesamt).
Allerdings: Nur weil Strom irgendwo erzeugt wurde, heißt das noch nicht, dass er auch da zur Verfügung steht, wo er gebraucht wird. An der Nord- und Ostseeküste – der Wind weht hier quasi ständig – wird beispielsweise deutlich mehr Strom produziert, als vor Ort verbraucht werden kann. Weil aber aus Sicherheitsgründen nur eine bestimmte Menge ins Netz eingespeist werden darf, müssen immer wieder Windräder abgeschaltet werden.
Der Netzausbau hinkt dem Zubau von Kapazitäten, also neuen Windrädern, hoffnungslos hinterher. Der viele Strom kann nicht mehr abtransportiert werden. Doch die Windradbetreibenden müssen bezahlt werden.
Dieses sogenannte Einspeisemanagement steigt seit Jahren, zuletzt waren es nach Angaben der Bundesnetzagentur 800 Millionen Euro pro Jahr.
Der Südost-Link soll erst im Jahr 2032 fertig sein
Kosten hierfür werden über immer höhere Strompreise auf die Verbraucher*innen umgelegt. Und auch für den Anschluss neuer Windräder muss die Kundschaft bezahlen. Auch wenn diese später stillstehen. Fazit: Die Menschen sollen jedes Jahr mehr Geld bezahlen für Windräder, die sich nicht drehen. Finden viele doof.
Annika Rulfs, Sprecherin der Landesgeschäftsstelle Bayern des Bundesverbands Windenergie, meint dagegen: Es müssen trotzdem immer weiter neue Windräder gebaut werden. Schließlich gebe es das Klimaneutralitätsziel des Bundes und das sogar noch schärfere des Freistaats. Außerdem sorge national erzeugte Windenergie dafür, dass Deutschland unabhängig wird von Stromimporten aus anderen Ländern. Und grundsätzlich, so Rulfs, sei der Strom aus Windrädern auch am günstigsten.
Das ist richtig. Nur kann man eben ein Atom- oder Kohlekraftwerk in der Produktion regulieren. Aber wann, wo und wie stark der Wind bläst, lässt sich halt nicht beeinflussen.
Warum wartet man nicht, bis ausreichend Leitungen vorhanden sind? Der bayerische Ableger des Windenergieverbands sagt: Gerade jetzt müssten die Windräder gebaut werden, damit sie in drei bis fünf Jahren fertig sind. „Wenn wir zwar Trassen haben, aber keinen Strom, der hindurchfließt, dann stellt sich wieder das Henne-Ei-Problem“, meint Annika Rulfs.
Die für Bayern wichtigste Trasse ist der sogenannte Südost-Link. Sie führt von Schwerin bis Landshut. Der Bau wurde zwar bereits 2015 beschlossen, die Fertigstellung aber schon mehrfach verschoben. Im Jahr 2032 soll es nun so weit sein, heißt es.
Was aber gar nicht das entscheidende Problem ist. Denn selbst dann kann die Trasse maximal 2 Gigawatt Strom abtransportieren. Den Netzbetreibern liegen aber schon heute Anträge für 18 Gigawatt Erzeugungsleistung vor. Das Ei, um im Rulfs’ Bild zu bleiben, ist inzwischen viel zu groß, als dass es die Henne noch ausbrüten könnte.
Das bayerische Wirtschaftsministerium verweist im Trassen-Dilemma auf ein „umfangreiches Maßnahmenpaket zum Ausbau des Stromübertragungsnetzes und zur Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren“ – ohne es freilich zu präzisieren. Und ohnehin seien ja „primär norddeutsche Windräder“ betroffen.
Beim Südost-Link sei außerdem der Bund zuständig und „der Einfluss der bayerischen Staatsregierung sehr begrenzt“, heißt es aus dem Haus von Ressortchef Hubert Aiwanger (FW). Falls es aber infolge des Baus der Trasse zu Enteignungsverfahren komme, habe man die dafür zuständigen Bezirksregierungen personell verstärkt.
Nötig seien „schnellere und bessere Genehmigungsprozesse“ für den Trassenbau, fordert Annika Rulfs. Aber in einem demokratischen Rechtsstaat dürfen die Menschen, deren Heimat diese XXL-Trasse durchschneiden wird, eben dagegen klagen.
Klar, unterirdisch ginge auch zur Not. Aber dagegen macht die Landwirtschaft mobil. Denn die Auswirkungen auf die Bodenqualität und infolgedessen auf die erzeugten Lebensmittel könnte aus ihrer Sicht verheerend sein.
Auch die Forderung des Bundesverbands Windenergie, mehr Geld in den Netzausbau zu stecken und diesen politisch zu priorisieren, ist nicht unlogisch. Aber die Kassen sind leer. Das Versprechen, dass wir alle jetzt mal befristet den Gürtel enger schnallen, aber dafür in einigen Jahren genug sauberen und billigen Strom zur Verfügung haben: Daran gibt es berechtigten Zweifel. (André Paul)
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