Politik

23.11.2023

Ist ein baldiger EU-Beitritt der Ukraine sinnvoll?

2022 hat die Ukraine einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU gestellt. Die EU-Kommission hat jetzt die Aufnahme von Verhandlungen empfohlen. Ein wichtiges Zeichen, findet der Grünen-Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter. Bloß nichts überstürzen, sagt dagegen der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber

JA

Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der EU im Bundestag

Die EU-Kommission hat empfohlen, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau aufzunehmen. Das ist ein wichtiges Zeichen! Beide Länder haben in den letzten Jahren große Fortschritte in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemacht. Sie reformieren ihr politisches System und kämpfen gegen Korruption.

Vor zehn Jahren versammelten sich junge Menschen auf den Straßen in Kiew, um gegen den Einfluss von Putins Regime und den daraus erfolgten Rückzug der Ukraine aus dem Assoziierungsabkommen mit der EU zu protestieren. Daraus entwickelte sich eine landesweite Bewegung für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine enge Anbindung an die EU. Jetzt muss sich die Ukraine in einem grausamen Krieg gegen den russischen Überfall verteidigen, weil sie sich für den europäischen Weg entschieden hat. Diese Schritte sollten belohnt werden.

Und auch wir haben ein Interesse daran, größer zu werden für ein friedliches Zusammenleben auf unserem Kontinent, unseren wirtschaftlichen Austausch und nicht zuletzt unser Gewicht in der internationalen Gemeinschaft. Wir müssen uns klarmachen, was es bedeutet, wenn Russland mit seinem Angriffskrieg Erfolg hat. Für die ukrainische Bevölkerung würde es Flucht, Vertreibung und weitere Kriegsverbrechen bedeuten. Für andere ehemalige Sowjetstaaten, wie Moldau, Georgien und die baltischen Staaten, hieße es, zum nächsten Ziel Putins zu werden. Für Europa und die Welt wäre es das Ende einer regelbasierten Ordnung. Um ein friedliches Zusammenleben auf unserem europäischen Kontinent zu gewährleisten und unsere Werte zu verteidigen, ist es richtig, dass unsere Gemeinschaft wächst. Denn eine stärkere, größere und geschlossene EU ist die geopolitische Antwort auf Russlands Angriffskrieg.

Gleichzeitig gibt es keinen Rabatt beim EU-Beitritt. Erst wenn die Ukraine alle sieben von der EU-Kommission festgelegten Kriterien erfüllt hat, kann sie Mitglied werden. Wir können und wollen uns keinen zweiten Orbán leisten. Denn die konsequente Einhaltung unserer Werte nach innen ist auch unsere Stärke nach außen in der Welt.

NEIN

Markus Ferber (CSU), Mitglied des EU-Parlaments

Eine EU-Beitrittsperspektive ist für die Menschen in der Ukraine ein wichtiges Signal und vermittelt Hoffnung in diesen schwierigen Zeiten. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir aber konstatieren, dass die Ukraine noch einen sehr langen Weg vor sich hat. Deshalb sollten wir aktuell keine voreiligen Versprechungen machen, die sich nicht einhalten lassen. Aus europäischer Sicht gibt es keinen Zweifel daran, die Staaten in unserer unmittelbaren Nachbarschaft langfristig an Europa zu binden. Das liegt im geopolitischen Interesse der EU.

Zu einem auf Tatsachen basierenden und respektvollen Umgang miteinander gehört aber auch, dass man keine falschen Hoffnungen weckt, wo sie nicht gerechtfertigt sind. Ein großes Problem auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft ist nicht nur, dass die EU finanziell und strukturell der Aufnahme der Ukraine nicht gewachsen ist, sondern dass das Land selbst weiterhin tiefgreifende Probleme aufweist. Es kämpft zum Beispiel nach wie vor gegen die weit verzweigte Korruption, deren jüngste Skandale auf Justizebene hohe Wellen geschlagen haben. Zum anderen haben wir auch gesehen, wohin es führt, wenn man Länder in die EU aufnimmt, die eigentlich noch nicht dazu bereit sind.

In Bulgarien und Rumänien gibt es auch fünfzehn Jahre nach dem EU-Beitritt noch immer erhebliche Probleme mit Korruption, Rechtsstaatlichkeit und organisierter Kriminalität. Das sollte uns eine Mahnung sein, sich auf ein Fast-Track-Verfahren einzulassen, ohne dass die notwendigen Bedingungen erfüllt sind. Es schafft langfristig immer Probleme. Deshalb ist auch das Beitrittsversprechen des EU-Ratspräsidenten Charles Michel an die Ukraine völlig utopisch. Bis 2030 müsste Kiew sämtliche Reformen umgesetzt haben und die Korruption bekämpft sein. Das ist mehr als unrealistisch und auch ein herber Schlag gegen Länder auf der EU-Bewerberliste, die schon deutlich länger auf einen Beitritt hoffen und bereits jahrelang aktiv daran arbeiten.
 

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