Politik

Kardinal Reinhard Marx unterstützt die Forderungen nach der Abschaffung des Pflichtzölibates. (Foto: dpa/Felix Hörhager)

08.06.2022

Kardinal Marx und der "tote Punkt"

Vor einem Jahr lehnte der Papst den Rücktrittsgesuch des Münchner Erzbischofs ab - seither ist viel passiert in der katholischen Kirche

Es war ein historischer Tag für die katholische Kirche in Deutschland: Einer der prominentesten deutschen Bischöfe, ein Kardinal, ein Vertrauter von Papst Franziskus, bot seinen Rücktritt an - und zwar in Worten, die deutlicher kaum sein könnten: Die Kirche sei an einem "toten Punkt" angekommen, sagte Kardinal Reinhard Marx, als er dem Papst im Juni 2021 seinen Rücktritt anbot. Er sah "institutionelles oder systemisches Versagen", für das er, der jahrelange Kirchenfürst, Verantwortung übernehmen wolle.

Nach wenigen Tagen kam dann nahezu postwendend das Machtwort aus Rom: Franziskus teilte am 10. Juni 2021 mit, dass er den Rücktritt des Erzbischofs nicht annehmen werde.

Seither ist viel passiert in der katholischen Kirche - und vor allem im Erzbistum München und Freising. Ein Aufsehen erregendes Missbrauchsgutachten machte im Januar weltweit Schlagzeilen. Die Studie geht von mindestens 497 Opfern und 235 mutmaßlichen Tätern aus - und von einem weit größeren Dunkelfeld.

Den ehemaligen Erzbischöfen Friedrich Wetter und Joseph Ratzinger, heute Benedikt XVI., wurde in dem Gutachten persönlich Fehlverhalten in mehreren Fällen vorgeworfen; ebenso - wenn auch in geringerem Umfang - dem aktuellen Erzbischof Marx.

Viele wortreiche Beteuerungen - es gibt aber noch viel zu tun

Dennoch gilt er seit seinem gescheiterten Rücktrittsversuch, für den ihm viel Respekt gezollt wurde, vielen in der Kirche als Hoffnung auf dem Synodalen Weg, dem Reformprozess in der deutschen Kirche. Erst im März feierte er mit der bislang vom Bistum eher stiefmütterlich behandelten queeren katholischen Gemeinde in München einen Gottesdienst. In einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" sagte er: "Bei manchen Priestern wäre es besser, sie wären verheiratet. Nicht nur aus sexuellen Gründen, sondern weil es für ihr Leben besser wäre und sie nicht einsam wären. Diese Diskussionen müssen wir führen."

"Kardinal Marx unterstützt wichtige Reformanliegen auf dem Synodalen Weg wie eine substanzielle Änderung der katholischen Sexualmoral, die Abschaffung des Pflichtzölibates und ist im Rahmen seiner dennoch bleibenden konservativen Grundeinstellung ein moderater Reformer", sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller. Doch es folgt ein großes Aber: "Trotz aller wortreichen Beteuerungen und auch persönlichen Finanzzuwendungen aus seinem Privatvermögen ist das Thema Missbrauch augenscheinlich existenziell bei ihm noch nicht wirklich angekommen."

Zwar liege das mit Spannung erwartete Gutachten nun vor, "aber wirklich substanzielle Schritte auf die Betroffenen hin können weder die Betroffenen selbst, aber auch von außen auf dieses Erzbistum schauende Betrachter bei Kardinal Marx nicht beobachten", sagt Schüller. Vor allem bleibe abzuwarten, "was die laufenden Untersuchungen im Bistum Trier über seine heute schon bekannten gravierenden Fehler als Bischof von Trier im Umgang mit dem Thema Missbrauch hervorbringen werden". Marx selbst hat Fehler aus dieser Zeit bereits eingeräumt.

Marx hat Maßstäbe gesetzt in der Kommunikation mit Betroffenen

Nach dem Missbrauchsgutachten setzte sich Marx mit Betroffenen in dem Gesprächsforum "Betroffene hören" zusammen, das nach einer Pilotveranstaltung womöglich weitergeführt werden könnte. Sein Bistum hat eine Hotline für Betroffene eingerichtet und eine zusätzliche Ansprechperson zu den beiden, die es bereits seit längerer Zeit gab.

Doch auch das Münchner "Netzwerk für eine zukunftsfähige katholische Kirche", zu dem sich Reformbewegungen wie "Wir sind Kirche" oder "Maria 2.0" und Mitglieder aus katholischen Frauenverbänden zusammengeschlossen haben, äußert sich ähnlich und formuliert einen "Weckruf an Kardinal Marx".

"Mit seinem bemerkenswerten Schritt hat er Maßstäbe gesetzt, an denen sich auch die übrigen deutschen Bischöfe und Kirchenverantwortlichen messen lassen müssen", sagt "Wir sind Kirche"-Sprecher Christian Weisner. "Aber auch im Münchner Erzbistum verläuft die Zusammenarbeit mit dem Betroffenenbeirat nicht ohne Komplikationen."

Und nach der Erschütterung durch das Missbrauchsgutachten habe es kaum Konsequenzen gegeben: "Bis auf das Ersetzen des Münchner Offizials Lorenz Wolf durch Peter Förster hat sich wenig verändert", kritisiert Weisner. Sein Fazit: "Die konkreten Reformschritte im Münchner Erzbistum hinken leider immer noch den Ankündigungen und Betroffenheitsbekundungen hinterher."

Seit der Vorstellung des Gutachtens über sexuellen Missbrauch im katholischen Erzbistum München und Freising haben sich Dutzende weitere Betroffene gemeldet. Die unabhängigen Ansprechpersonen der Erzdiözese für die Prüfung von Verdachtsfällen zählten bis Anfang Juni 42 neue Meldungen, wie das Bistum auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in München mitteilte.
(Britta Schultejans, dpa)

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