Notbetreuung: Das klingt, als sei die Mehrzahl aller Kindergärten gerade geschlossen. Aber so ist es nicht. Ein Münchner Betriebskindergarten etwa: Zwei Drittel der Kinder sitzen zu Hause. Bekommen ab und zu Post von ihrer Kita, Bastelangebote, Wundertüten oder Vorschulmappen. Aber ein Drittel besucht die Einrichtung, erzählt die Leiterin Natalie Sieber. Und sie hat beobachtet: „Die Tendenz steigt.“
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat darum gerade lautstark mobil gemacht und beklagt, statt Not- herrsche vielerorts Normalbetrieb. Eine Berliner Erzieherin wurde mit den Worten zitiert, sie und ihre Kolleg*innen würden „verheizt und gedemütigt“. Hilger Uhlenbrock, Vorstandsmitglied der GEW Bayern, geht davon aus, dass auch hierzulande die Gruppen „sehr oft voll und wegen des Personalmangels sehr groß“ seien.
Den Zahlen des bayerischen Familienministeriums traut Uhlenbrock explizit nicht. Das wiederum stützt sich auf ein Meldesystem, an dem sich vergangenen Montag über 80 Prozent der bayerischen Kitas beteiligten. Ergebnis: Die regionalen Unterschiede sind groß. In Niederbayern wird die Notbetreuung mit 12,9 Prozent in Anspruch genommen, in Oberbayern mit 21,9 Prozent. Auch ein Stadt-Land-Gefälle ist zu beobachten: In den Städten beanspruchen mehr Eltern die Notbetreuung als auf dem Land. Insgesamt liegt der Anteil an Kindern, die in der Notbetreuung sind, durchschnittlich bei 18 Prozent. „Das ist nicht wenig“, erklärte Ministerpräsident Markus Söder diese Woche vor der Presse, „aber an der Stelle schon vertretbar.“ Entwarnung also?
Nun ist trotz moderater Durchschnittszahlen natürlich nicht auszuschließen, dass in Extremfällen Kitas auch unter Notbetreuungsbedingungen aus den Nähten platzen. Es ist ohnehin bitter: Mitten im „harten“ Lockdown gehen Erzieher und Erzieherinnen ihrer Arbeit nach, nehmen Kleinkinder auf den Arm, wickeln Babys, als seien sie immun gegen all das, was ihnen dabei um die Ohren fliegt. Natürlich lüften sie auch, halten die Gruppen zusammen, tragen Masken, desinfizieren. Aber was nützt das schon, wenn man ein kleines Kind trösten muss, das sich wehgetan hat?
Durchsichtige Masken: Das wäre für Kinder schön
Gruppengröße hin oder her: Das Risiko einer Ansteckung lässt sich unter solchen Bedingungen nicht ausschließen. Eine Studie der AOK, der zufolge Erzieher und Erzieherinnen zu der Berufsgruppe gehören, die sich am häufigsten wegen Covid-19 krank meldet, scheint zu bestätigen, dass es in Kitas verstärkt zu Infektionen kommt. Demnach lag die Zahl der coronabedingten Krankschreibungen von März bis Oktober 2,2-fach über dem Durchschnittswert.
Und doch: Notbetreuung muss sein. Und anders als im Frühjahr, als sich die Notbetreuung auf die Kinder systemrelevanter Berufstätiger beschränkte, hat man dazugelernt. „Uns war wichtig, dass auch die Bedarfe der Kinder in den Blick genommen werden und es nicht nur um die Berufstätigkeit der Eltern geht“, so Maria Magdalena Hellfritsch vom Verband katholischer Kindertageseinrichtungen in Bayern.
Das wurde erfüllt. Neben Kindern, die von ihren Eltern nicht betreut werden können, dürfen nun auch solche in die Kita, deren Betreuung das Jugendamt angeordnet hat. Eltern, die Anspruch auf Erziehungshilfen haben, können ihre Kinder schicken. Außerdem haben Kinder mit Behinderungen Anspruch auf Betreuung. Den Löwenanteil derer, die die Notbetreuung in Anspruch nehmen, stellen allerdings Eltern, die einen Betreuungsplatz brauchen.
Und was heißt schon „brauchen“ in einem monatelangen Lockdown? Schließlich wachsen auch in den stabilsten Familien nach und nach Druck und Frust. Wer die Kita besuchen darf: Das sei „zu schwammig formuliert“, findet Natalie Sieber. Weil letztlich die Einrichtung selbst entscheiden muss, fürchtet Sieber um die „gute Erziehungspartnerschaft“, wenn die Kita Familien abweist. „Es bedarf auf beiden Seiten viel Verständnis“, so Sieber.
Christiane Münderlein vom Evangelischen Kita-Verband Bayern dagegen begrüßt, dass in der Sache Gestaltungsfreiheit herrscht. Die Situation von Eltern und Kindern sei nun mal individuell. „Insgesamt zeigen die aktuellen Zahlen einen verantwortungsvollen Umgang mit der Situation“, so Hellfritsch. Sie hofft auf eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ und versichert: „Eltern, die einen Betreuungsplatz brauchen, können ihre Kinder bringen.“
Auf der Wunschliste der Kitas sind allerdings noch einige Posten offen: Da wäre die regelmäßige Testung, die kostenlose Bereitstellung von FFP2-Masken und eine vorgezogene Impfung des Personals. Ein Modell müsste entwickelt werden, wie man stufenweise in den regulären Betrieb zurückkehrt, die Kinder etwa kürzer betreut, um die Gruppen kleiner zu halten. Maria Hellfritsch wünscht sich einen „Digitalisierungspakt“ für Kitas: „Wir müssen alle umdenken.“
Und: Sie plädiert dafür, das Thema durchsichtige Masken für die Beschäftigten in Krippen noch mal zu überdenken. Denn gerade für die ganz Kleinen gilt: „Das Kind muss Mundmotorik und Mimik sehen!“ Im Raum steht zudem eine Frage, die vergangenes Jahr für viel Unsicherheit und Ärger gesorgt hat: Was geschieht mit den Beiträgen, wenn Eltern ihre Kinder nicht in die Betreuung schicken können? Die Grünen fordern die Staatsregierung auf, die Beiträge voll zu ersetzen. Und kritisieren die Pauschalen vom Frühjahr 2020 als zu niedrig und „teilweise existenzgefährdend“. Die Antwort aus dem Familienministerium: „Wir beobachten die weitere Entwicklung der Situation und sind derzeit in Gesprächen mit den Trägern und Kommunen.“
(Monika Goetsch)
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