Der Opposition geht es zwar viel zu langsam, aber immerhin das Datum ist nun fix: Am 1. Juli öffnen im Freistaat wieder alle Kitas ihre Türen. Doch es herrschen auch Unsicherheit und Unmut über immer neue Vorgaben des Ministeriums mit Blick auf den Infektionsschutz. Eine der bangen Fragen: Wird das Personal ausreichen? Denn wer zur Risikogruppe zählt, kann sich befreien lassen.
Ein abgesägter Baumstumpf, mitten im Wald. Darauf: ein paar Äste. Tannenzeug. Und eine Klingel. So sieht die Tür des Waldkindergartens Dommelstadl in Neuburg in Corona-Zeiten aus. Einen Zaun gibt es hier nicht, erzählt Franz Huber vom Landesverband Wald- und Naturkindergärten, dafür Mischwald, markierte Bäume und verbindliche Regeln. Morgens übernimmt je eine Erzieherin ein Kind an der Klingel, im Fünfminutentakt. Waldkindergärten sind die ersten Einrichtungen für Kinder, die auf eingeschränkten Normalbetrieb umschwenken durften. Sie setzen schließlich von jeher auf frische Luft. Und die wurde im Zuge der Corona-Krise deutlich aufgewertet.
Ein Kind will auch mal auf den Schoß genommen werden
Einfach war es trotzdem nicht, die Waldkindergärten wieder aufzumachen, sagt Huber. Denn auch in Waldkindergärten arbeiten Pädagog*innen, die Vorerkrankungen haben, manche sind über 60 und von einem Zuviel an Personal kann nicht die Rede sein. Und: Alle Kinder wollen mal auf den Schoß genommen werden, brauchen ein Pflaster und eine Umarmung und jemanden, der zeigt, wie man sich die Schuhe bindet. „Man kann die Kinder nicht auf Abstand halten“, so Huber, „wir haben mit den ganz normalen Dingen zu kämpfen.“
Bis alle Kinder in die regulären Kitas zurückkehren dürfen, dauert es noch eine ganze Weile. Erst am 1. Juli soll zum eingeschränkten Regelbetrieb übergegangen werden. Bisher ist etwa die Hälfte der Kitaplätze wieder belegt. Nach den Pfingstferien sollen es 80 Prozent sein.
Vielen kommt die Öffnung zu spät. Die Grünen plädieren dafür, den Kita-Regelbetrieb schon nach den Pfingstferien wiederherzustellen. Johannes Becher, Sprecher für frühkindliche Bildung, lobte zwar das stufenweise Vorgehen der Staatsregierung in Sachen Kitas als richtig, erklärte aber auch: „Spätestens jetzt sind die Regelungen zur Ausweitung der Kita-Notbetreuung nicht mehr nachvollziehbar. Die bisherigen Ausweitungen haben keinen spürbaren Anstieg der Infektionszahlen zur Folge gehabt.“ Die Erkenntnisse, so Becher, verdichteten sich, dass Kinder keine Virenschleudern seien.
Auch die FDP beantragte bereits, Kitas und Schulen wieder für alle zu öffnen. Matthias Fischbach verwies auf die medizinischen Fachgesellschaften, die in einer viel beachteten Stellungnahme davon ausgehen, dass gerade junge Kinder weniger anfällig seien für Infektionen. Die AfD, die bereits zum 1. Juni zum Regelbetrieb zurückkehren wollte, spekulierte, Ministerpräsident Markus Söder falle es schwer, den Kurs zu wechseln, ohne das Gesicht zu verlieren.
Auch die SPD ist unzufrieden, deren sozialpolitische Sprecherin Doris Rauscher hält das Chaos, das die Leitungen in den Kitas vor ihren Türen erlebten, derzeit für „wirklich nicht zumutbar“. Sylvia Stierstorfer, CSU, hält dagegen. Ihr Hauptargument: Eine abschließende wissenschaftliche Einschätzung zur Übertragung von Corona durch Kinder gebe es nicht. Tatsächlich sind die Studien, die dies untersuchen, meist vorläufig und unter Virologen umstritten. Von sicheren Erkenntnissen ist man weit entfernt. „Wir wissen noch sehr wenig“, so Stierstorfer. Auch Susann Enders von den Freien Wählern warnte vor überstürztem Vorgehen.
Aber immerhin: Ab dem 1. Juli könnte eine gewisse Ruhe einkehren in den Kitas, die turbulente Zeiten erlebt haben. Für Unsicherheit sorgte zunächst die offene Frage der Finanzierung von Beiträgen in einer Zeit des Betretungsverbots. Die Zusage der Staatsregierung, von April bis Juni die Beiträge zu übernehmen, habe die Situation zwar entspannt, aber die Pauschalen decken nicht in jeder Einrichtung die ausfallenden Elternbeiträge ab, wie Dirk Rumpff vom Evangelischen Kita-Verband Bayern erklärt. „Die Elternbeiträge sind sehr unterschiedlich“, so Rumpff, „zwischen 150 Euro pro Monat und Krippenplatz in München und 500 Euro in Westmittelfranken ist alles drin.“ Der Grund: In München zahlt die Stadt großzügig dazu, weshalb die Kommunen daran erinnert werden sollten, dass die Unterhaltung von Kitas ihre Aufgabe ist.
Söder stellt Corona-Tests für Kitapersonal in Aussicht
Auch die immer neuen Vorgaben und Handreichungen des Ministeriums, die auf rasche Umsetzung drängten, sorgten vor Ort für Unmut. Gefordert werden von den Kitas zudem immer wieder kreative Lösungen. Verständlich und angemessen – und doch nicht gerade einfach.
Kein Wunder, dass jetzt manche einen Neustart herbeisehnen. Aber auch die Angst vor Ansteckung ist berechtigt. Die Zielkonflikte verschwinden ja nicht einfach so. Als da wären: Das Infektionsgeschehen insgesamt. Das Wohl der Kinder. Die Interessen der Eltern. Und der Schutz derer, die in Kitas arbeiten. Dass sich gerade die Kleinen weder an Abstands- noch an Nieshygiene halten können und zudem viel körperliche Zuwendung brauchen, ist klar. Und Reihentestungen der Kinder? Kaum vorstellbar. Immerhin stellt Ministerpräsident Markus Söder Tests für das Kitapersonal in Aussicht. Wer zur Risikogruppe zählt, wird sich aber dennoch zu recht von der Arbeit am Kind befreien lassen. Keine gute Aussicht in einem Betreuungssystem, das derart auf Kante genäht ist.
Maßnahmen zum Infektionsschutz jedenfalls wird man ab dem 1. Juli auch in den Kitas einhalten müssen. Dazu gehört die Betreuung der Kinder in festen Gruppen. Für die Pädagogik in den Einrichtungen bedeutet das allerdings eine Rolle rückwärts. Denn von der sogenannten Schonraumpädagogik fester Gruppen hat man sich, wie Maria Magdalena Hellfritsch vom Verband Katholischer Kindertagesstätten erklärt, längst verabschiedet. Der Bildungsplan sieht offene Arbeit vor. Das Personal muss künftig also nicht nur fürchten, sich anzustecken. Sondern obendrein, den Anforderungen des Bildungsplans nicht gerecht zu werden. Eine entsprechende Anordnung des Sozialministeriums, so Hellfritsch, die kläre, was die Pädagog*innen vor Ort in Corona-Zeiten zu leisten haben und was nicht, würde wenigstens diese Sorge aus der Welt räumen. (Monika Goetsch)
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