Politik

Schwangere Lehrerinnen dürfen nach einer individuellen Gefährdungsbeurteilung durch die Schulleitung bald wieder im Klassenzimmer unterrichten. (Foto: dpa/Annette Riedl)

22.09.2022

Langsam kehrt Normalität ein

Ab Oktober dürfen schwangere Lehrerinnen wieder unterrichten – hilft das im großen Stil, und wie riskant ist das?

Schwangere Lehrerinnen vor Tafel und Whiteboard: Das hat es lange nicht mehr gegeben. Denn seit Pandemiebeginn gilt für sie ein betriebliches Beschäftigungsverbot. Sie dürfen weder Präsenzunterricht abhalten noch das Schulhaus betreten. Ersetzt werden die schwangeren Kolleginnen von Teamlehrkräften, die sie von zu Hause aus bei der Unterrichtsplanung und -durchführung unterstützen. Denn Telearbeit und Homeoffice sind erlaubt. Aber am Pult stehen, Tafelbilder erstellen oder Schulaufgaben überwachen: Fehlanzeige.

Das wird demnächst anders. Noch im August hatte die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) die Forderung der Freien Wähler, das Betretungsverbot zu lockern, zurückgewiesen. In der vergangenen Woche jedoch entschied das Kabinett, Schwangeren ab 4. Oktober den Weg in die Schulen zu öffnen.

Das bedeutet allerdings nicht, wie ein Sprecher des Kultusministeriums erklärt, „dass nun jede Schwangere ohne vorherige Prüfung der Arbeitsbedingungen und ihrer individuellen Voraussetzungen an der Schule tätig werden kann“. Möglich sei die Arbeit an der Schule nur, wenn die Rahmenbedingungen vor Ort dies mutterschutzrechtlich zulassen.

Voraussetzung, wieder im Klassenzimmer zu unterrichten, ist eine individuelle Gefährdungsbeurteilung durch die Schulleitungen. „Damit kehrt man zum üblichen Verfahren zurück wie vor der Corona-Pandemie“, so der Sprecher.

Betroffen sind rund 3000 schwangere Lehrerinnen in Bayern. Dass sie sich bisher von den Schulhäusern fernhalten mussten, hatte einen guten Grund: Schwangere haben ein erhöhtes Risiko, an Covid-19 schwer zu erkranken – vor allem, wenn weitere Risikofaktoren vorliegen wie starkes Übergewicht, Bluthochdruck oder Diabetes. Gefürchtet sind bei einer Corona-Infektion zum Beispiel Komplikationen wie Schwangerschaftsvergiftung. Auch Fehlbildungen des Kindes können bei schweren Verläufen vorkommen.

Impfungen haben das Risiko für Schwangere deutlich verringert

Nun besteht zwar an Schulen – wie überall und vor allem in Innenräumen – weiterhin die Gefahr, sich mit Corona zu infizieren. Aber die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, hat die Risikolage entscheidend verändert. Denn Impfungen können Komplikationen für Mutter und Kind, schwere Verläufe und Todesfälle verhindern, wie das Robert Koch-Institut erklärt.

Für Unmut bei Schulen, Lehrkräften, Verbänden und Gewerkschaften sorgte die Ankündigung dennoch. Beklagt wird vor allem der Kommunikationsstil des Kultusministeriums. Denn vom Ende der Allgemeinverfügung erfuhren die Schulen nicht etwa in den Ferien, sondern kurz nach Schulstart durch die Presse. Die Schulleitungen selbst hat das Ministerium nach eigener Auskunft erst am Montag dieser Woche informiert. Verunsicherung und Ärger sind aber auch deshalb groß, weil in der Sache noch keine Details bekannt sind. So beklagt etwa die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bayern, besorgte Fragen ihrer Mitglieder nicht beantworten zu können.

Zugleich betont Ruth Brenner von der GEW: „Wichtig ist, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz der Mütter und ihrer Kinder im Vordergrund stehen. Schwangere Beschäftigte sollten sich nicht unter Druck setzen lassen. Eine individuelle Gefährdungsbeurteilung ist Pflicht und auch eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung sollte unbedingt eingefordert werden.“ Auch Michael Schwägerl, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands, drängt: „Wir brauchen jetzt möglichst schnell verlässliche Regelungen, die den Schutz von Mutter und Kind vor Ort sicherstellen.“

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband BLLV betont: „Freiwilligkeit bei der Rückkehr ist gut. Aber auch bei freiwillig zurückkehrenden Kolleginnen muss die Sicherheit der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes im Vordergrund stehen.“ Eine Gefährdungsbeurteilung durch Schulleiter oder Schulleiterin allein reiche nicht aus. Die Rückkehr an die Schule müsse von der ärztlichen Beurteilung abhängig gemacht werden. „Die Verantwortung darf nicht auf die Schulen abgeschoben werden.“ Generell begrüßt es der BLLV allerdings, dass schwangere Lehrerinnen in die Schule zurückkehren können. „Gerade mit Blick auf die derzeitig äußerst katastrophale Lehrerversorgung vor allem an den Grund- und Mittelschulen. Wir sind hier um jede Lehrerstunde froh, die wir zusätzlich haben können!“, so Hans Rottbauer vom BLLV.

Laut Kultusministerium werden die zurückkehrenden Lehrerinnen zwar nicht für die „Basisabdeckung“ des Unterrichts benötigt – schließlich sei die Unterrichtsversorgung zu Schuljahrsbeginn ohne die schwangeren Kolleginnen sichergestellt worden.

Von einer gesicherten Unterrichtsversorgung kann allerdings nach einer Berechnung des BLLV an den bayerischen Schulen im neuen Schuljahr durchaus keine Rede sein. Demnach fehlen derzeit rund 4000 Lehrkräfte. Der Verband geht davon aus, dass sich die Situation im Verlauf des Schuljahrs weiter verschlechtert, da die mobile Reserve oft komplett aufgebraucht und mit Krankheitsausfällen wegen Corona zu rechnen sei.

Die Rückkehr mehrfach geimpfter, schwangerer Lehrerinnen ohne Vorerkrankungen wäre da natürlich wünschenswert. Besondere Vorsicht ist allerdings dringend geboten. Denn auf Kosten schwangerer Lehrerinnen sollte der Lehrkräftemangel keinesfalls ausgetragen werden. (Monika Goetsch)

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