Politik

Echtes Gras einfach legal im Laden kaufen? Noch geht das in Deutschland nicht. Messen geben aber einen Vorgeschmack. (Foto: dpa/Jörg Carstensen)

22.07.2022

Legal kiffen? Keine so blöde Idee

Die Berliner Ampel-Parteien wollen Cannabiskonsum für Erwachsene erlauben – klingt schräg, hat aber Vorteile

Ein Tütchen Gras einfach legal im Laden kaufen? Oder einen Brocken Haschisch? Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ist diese Vorstellung ein Graus: Der Konsum von Cannabis sei ein großes Risiko für die Gesundheit, warnte Holetschek kürzlich in einem Interview. Deshalb müsse die Bundesregierung ihr Vorhaben, den Verkauf von Marihuana, Haschisch und Co zu erlauben, dringend überdenken. In dasselbe Horn stößt Ministerpräsident Markus Söder (CSU): Die Freigabe von Cannabis sei falsch, wetterte er wiederholt. 

Dass sich die Ampel-Parteien in Berlin, also SPD, Grüne und FDP, bei ihren Legalisierungsplänen von dem Gepolter aus München beirren lassen, darf bezweifelt werden. Schließlich haben sie bereits im vergangenen Herbst im Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken genehmigen wollen. Das soll noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden. 
Anders als Söder und Holetschek sehen bayerische Fachleute das durchaus positiv. Zwar verfolge man immer noch das Ziel, die Zahl der Kiffenden zu senken, betont Bettina Lange von der Koordinierungsstelle der bayerischen Suchthilfe (KBS). Aber, gibt sie zu bedenken, „die Konsumenten-zahlen steigen seit Jahren. Das zeigt: Die bisherige Verbotspolitik hat ihr Ziel verfehlt. Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die geplante Legalisierung und die damit verbundene gesundheitspolitische und gesellschaftliche Debatte.“

Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) griffen im Jahr 2018 fast 3,7 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren zum Joint, drei Jahre zuvor waren es noch 3,2 Millionen. Die Dunkelziffer sei wahrscheinlich noch viel höher, vermuten die Autoren der Studie: „Während sich die klassischen Drogen Alkohol und Tabak auf dem Rückzug befinden, probieren immer mehr Erwachsene Cannabis.“ Der Münchner Mediziner und Psychotherapeut Markus Backmund, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin, verweist darauf, dass sogar rund 30 Prozent der jungen Erwachsenen Erfahrungen mit Haschisch oder Marihuana hätten.

Mit der bisherigen Verbotspraxis, sagt er, „kriminalisiert man fast ein Drittel dieser Altersgruppe“. Dabei seien Bier, Wein und Schnaps weit gefährlicher als Cannabis. „Alkohol ist die härteste Droge“, hebt Backmund hervor. Allein in Deutschland seien pro Jahr 75 000 Todesfälle auf Alkoholmissbrauch zurückzuführen.

Das soll allerdings nicht heißen, dass die Blätter und Blüten von Hanfpflanzen harmlos sind. Auch deshalb, weil sie in hoher Dosierung das Psychoserisiko steigern können, warnt der Suchtmediziner. Und: Gerade bei Jugendlichen könnten sie bei massivem Konsum Gehirnstrukturen negativ verändern. Nicht zu vergessen die Gefahr, dass man von der Droge nicht mehr loskommt, ergänzt Oliver Pogarell, stellvertretender Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München und Vorsitzender der Bayerischen Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen (BAS): „Etwa 10 Prozent der Menschen, die Cannabis konsumieren, gehen das Risiko einer Abhängigkeit ein.“ Trotzdem sei Strafverfolgung hier fehl am Platz, sagt auch Pogarell. Man könne Kiffende nicht einfach „in eine kriminelle Ecke stecken“.

Wer Cannabis am Schwarzmarkt kauft, kriegt oft verunreinigte Ware

Was stattdessen wichtig wäre? Da sind sich alle drei Suchtfachleute einig: Aufklärung. Darüber, was mit Körper und Psyche passieren kann, wenn man beispielsweise Haschplätzchen knabbert. Und darüber, was sich alles in einem Joint verbergen kann. Denn, sagt Pogarell, „heutige Cannabisprodukte haben nicht mehr so viel zu tun mit den Produkten aus den 1970er- oder 1990er-Jahren. Die sind wesentlich potenter als früher.“

Tatsächlich belegen Untersuchungen, dass sie inzwischen viermal so viel an bewusstseinsveränderndem THC enthalten, wie das noch Mitte der 1990er-Jahren der Fall war. Letztlich aber, gibt Markus Backmund zu bedenken, „weiß ich nie genau, was drin ist, wenn ich auf dem Schwarzmarkt kaufe“. Wie viel THC im Marihuana steckt. Ob es beispielsweise mit Haarspray, Pestiziden oder synthetischen Cannabinoiden gestreckt ist. Bei einer Legalisierung hingegen könne man die Konsument*innen genau über die Inhaltsstoffe und ihre Wirkungen informieren – „das mindert auch die Risiken für Psychosen“. 

Sollte man sich vielleicht einfach an den Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele und seine Forderung „gebt das Hanf frei“ halten? Solche schlichten Slogans würden den drei Suchtfachleuten vermutlich nicht über die Lippen kommen. Stattdessen mahnen sie, dass man bei einer Cannabis-Legalisierung unbedingt auf den Schutz besonders vulnerabler Gruppen achten müsse. Etwa Menschen mit psychischen Störungen. Und, fügt Bettina Lange hinzu: „Die Abgabe an Jugendliche muss verboten bleiben. Dafür muss man im Bereich Jugendschutz und Prävention Konzepte liefern. In diesem Zusammenhang sollte man auch über den Bereich Alkohol nachdenken.“ 

Die Ängste mancher konservativen Politiker*innen, dass die Zahl der Kiffenden in die Höhe schnellen könnte, wenn der Verkauf unter bestimmten Auflagen genehmigt wird, teilt sie übrigens nicht. Das bewiesen Erfahrungen aus Kanada, Uruguay und einigen US-Staaten, wo Cannabis inzwischen verkauft werden darf. „Wo eine Legalisierung erfolgt ist, zeigt es sich, dass der Konsum insgesamt nicht deutlich und bei jungen Menschen bis 25 überhaupt nicht zugenommen hat“, sagt Lange. „Wir müssen deshalb nicht befürchten, dass die Zahlen explodieren.“ (Brigitte Degelmann)
 

Kommentare (1)

  1. Sir Bartl am 22.07.2022
    Vor was warnt man hier? Die legale Abgabe bringt doch wieder mehr Steuern in das Staatssäckel?! Bei Zigaretten und Alkohol gehts doch auch? Alles ganz legal. Milliarden jedes Jahr!

    Ich darf mir also keinen Joint aus 100% reinem, staatlichen Marihuana reindampfen, aber mit hunderten Zusatzstoffen verseuchten Zigarettentabak schon?

    "Oh Gott"! Es griffen bereits 3,7 Millionen Menschen in 2018 zum Joint? Ich erinnere an die bevorstehende Wiesn 2022 nach 2 Jahren Corona. Ich schliesse gerne die Wette ab, wann vor dem Anstich, am ersten Samstag, schon die erste Alkoholleiche wegen Vorglühen mit Vodka, Sekt, Schnaps, o.ä. abtransportiert wird. Ach ja. auf der Wiesn werden in 2 Wochen mehr "Massn" weggetrunken als 2018 in einem Jahr (!!) Menschen zum Joint griffen. Aber der Staat wird wieder schön die Steuern für 6 Millionen Liter Bier einstreichen. Ist ja "nur" Bier und nicht das teuflische Cannabis. Ich dachte, mehr als eine Halbe Bier pro Tag ist bereits ungesund? Herr Lauterbach, bitte übernehmen Sie!

    Aber ich glaube das ist wie mit den Coronazahlen. Alles über den Kamm scheren und nicht differenzieren können (wollen?).

    Besser wäre es aber für die Politik, die Legalisierung voranzutreiben. Noch vor der kalten Jahreszeit. Wenn viele Menschen wegen Strom und Gasknappheit arbeitslos in ihren kalten, dunklen Wohnungen den nächsten, von vielen Politikern herbeigesehnten, Lockdown aussitzen.

    Opium fürs Volk........
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