Politik

FDP-Spitzendkandidat Martin Hagen (37) kommt kompetent und sympathisch rüber. Sein Problem: Kaum einer kennt ihn. Die rätselhaften Wahlplakate mit seinem comichaft verfremdeten Konterfei machen die Sache nicht leichter. (Foto privat)

05.10.2018

Liberale Mühsal

Serie Wahlkampf in Bayern – letzter Teil (FDP): Wie der weithin unbekannte Spitzenkandidat Martin Hagen in München-Schwabing Wähler gewinnen will

Glaubt man den Umfragen, wird es die bayerische FDP bei der Landtagswahl wieder schaffen. Demoskopen sehen die Liberalen bei Werten zwischen 5 und 6 Prozent. Das ist zwar weit entfernt von den 8 Prozent, mit denen die FDP vor zehn Jahren ins Maximilianeum eingezogen war, aber eben auch viel besser als die mageren 3,3 Prozent, mit denen sie 2013 aus dem Landtag gekegelt wurden. Hagen lebt und kandidiert in Rosenheim, im Wahlkampf ist er emsig im ganzen Freistaat unterwegs.

CSU, wohin man blickt. Überall in der Münchner Innenstadt guckt einem derzeit ein CSU-Kandidat entgegen. Ministerpräsident Markus Söder eh, vor allem aber Ludwig Spaenle. Der frühere bayerische Wissenschaftsminister hat mit seinen Wahlplakaten die ganze City zugepflastert. Auch die anderen Parteien mühen sich, buhlen mit den Köpfen ihrer Top-Leute um Aufmerksamkeit. Nur die FDP gibt Rätsel auf. „Politik mit Neuwagengeruch“, prangt zum Beispiel auf einem gelb-blau-pinken Plakat. Drüber in Comic-Zeichner-Manier der Kopf des Spitzenkandidaten Martin Hagen. Wahrscheinlichkeit, den 37-jährigen Unternehmensberater danach in persona wiederzuerkennen: null.

Macht nix, sagt Hagen. Er findet die Plakate super. Sie brächten „unglaublich viel Aufmerksamkeit“, schwärmt der Liberale. „Sie stechen einfach ins Auge, und das ist das Entscheidende.“

„Ach, die FDP! Ich wähle Euch eh!“

Tatsächlich dürfte es der Not geschuldet sein, dass Bayerns FDP als einzige Partei gerade nicht mit dem Konterfei des Spitzenkandidaten wirbt. Die weißblauen Liberalen hatten Hagen nämlich erst im März auf den Schild gehoben. In einer parteiinternen Urwahl setzte sich Hagen, bis dato Landesgeschäftsführer der Bayern-FDP, vor gut sechs Monaten als Spitzenkandidat durch. In so kurzer Zeit freilich schafft es auch der beste Kandidat der Welt nicht, vom unbekannten Parteimitarbeiter zum populären Zugpferd zu mutieren.

Ortstermin in München-Schwabing: Im Rahmen seiner Wahlkampftour macht Martin Hagen beim Stadtteilmarkt an der Münchner Freiheit Station. Zwischen Ständen mit Bio-Äpfeln, Vollkornbrot, Antipasti und Honig hat das FDP-Team einen Infostand aufgebaut. Spitzenkandidat Hagen ist da, der Schwabinger Stimmkreiskandidat und FDP-Stadtrat Wolfgang Heubisch, FDP-Stadtrat Michael Mattar sowie der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Roland Reif. Die Truppe will den gut besuchten Markt nutzen, um mit Bürgern ins Gespräch zu kommen, ihnen ein paar FDP-Souvenirs in die Hand zu drücken und für das liberale Wahlprogramm zu werben.

Heubisch, 72, ist fleißig am Händeschütteln. Er hat sich während seiner Zeit als Wissenschaftsminister der schwarz-gelben Koalition zwischen 2008 bis 2013 sowie als FDP-Stadtrat einen gewissen Bekanntheitsgrad erworben, viele Münchner kennen und mögen ihn. Alle paar Minuten kommt jemand auf ihn zu, verwickelt Heubisch in einen Plausch.

Hagen steht etwas verloren daneben, geht aber unverdrossen auf die Bürger zu. Wer dann tatsächlich mit Hagen spricht, erlebt einen sympathischen und unprätentiösen Politiker; auch in Talkshows und TV-Wahlsendungen wirkt Hagen, der Politologie studiert und für die FDP mal als Pressesprecher gearbeitet hat, kompetent und angenehm. Am Infostand schnurrt Hagen versiert die wichtigsten FDP-Anliegen im Wahlkampf herunter: Der Ausbau der Digitalisierung zählt dazu, der Bau der dritten Startbahn am Münchner Flughafen, das Recht auf einen Ganztagsschulplatz.

Martin Hagen? "Kenn ich nicht!"

Die Klientel am Schwabinger Stadtteilmarkt ist durchaus FDP-affin: Unter den Vorbeieilenden sind viele Künstler, Selbstständige und Unternehmer. Wobei im Wahlkampf aktuell der Grüne Stimmkreiskandidat Christian Hierneis die Nase vorn hat – vor der CSU.

„Ach, die FDP“, ruft ein freiberuflicher Werbefachmann, Ende 50. „Ich wähle euch eh“, verspricht er. Auch wenn er über das bayerische Spitzenpersonal nichts weiß. Martin Hagen? „Kenn ich nicht“, sagt der Mann achselzuckend. Auch Wolfgang Heubisch ist ihm „völlig unbekannt“. Wen er allerdings kennt, ist Helmut Markwort, der FDP-Dino im Wahlkampf. Der 81-jährige frühere Focus-Chef hat sich zwar nicht um die Landtagskandidatur gerissen. Er sprang aber gern ein, als der liberale Landtagskandidat Tobias Thalhammer im Frühjahr zur CSU übergelaufen war. FDP-Leute gehen davon aus, dass der populäre Markwort von Listenplatz 16 auf Platz 2 vorgewählt wird – und damit nach Martin Hagen das beste Ergebnis bayernweit erzielen wird. Auf Platz 3 sehen FDP-Insider Ex-Minister Heubisch, der auf Listenplatz 7 platziert ist.

Die wichtigsten Polit-Themen für den FDP-treuen Werbefachmann sind Migration, Altersversorgung und Wohnungsnot. Vor allem die Flüchtlingspolitik beschäftigt ihn. „Man kann das nicht so laufen lassen“, poltert der Mann. Das Ganze müsse „auf solide Beine gestellt werden“. Er wünsche sich mehr „Realpolitik“, betont er – und lobt die migrationspolitischen Ideen des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz, des Tübinger Grünen-Oberbürgermeisters Boris Palmer oder der Linken Sahra Wagenknecht.

Seine Wunschkoalition in Bayern ist Schwarz-Gelb, zur Not ginge auch Schwarz-Gelb plus Freie Wähler. Obwohl er FW-Chef Hubert Aiwanger total abtörnend findet: „unsexiest man alive“, lästert der Schwabinger.

Schwarz-Gelb – das wünscht sich auch Unternehmer Martin O., 60. Er ist FDP-Stammwähler. Die Grünen nerven ihn, eine schwarz-grüne Koalition in Bayern wäre der Horror für ihn. Zur Not ginge auch eine Dreier-Koalition mit den FW, meint er. Auch für Martin O. ist die Migrationspolitik essentiell. Merkels anfänglich großzügige Einwanderungspolitik hält er für einen „Fehler“.

Auch ein Immobilienunternehmer aus dem Chiemgau, der oft in München ist, outet sich als Fan von Schwarz-Gelb. Er zählt am Schwabinger Markt zu den Wenigen, die Markus Söder loben. „Der verdient mehr Kredit, als er bekommt“, meint der Mann, der im Übrigen Erstaunliches zu berichten weiß: Die Bauern im Chiemgau nämlich seien vielfach sauer auf die CSU. „Die Landwirte sagen, die CSU braucht jetzt die Grünen“, erzählt er.

Leute am Infostand zu überzeugen, ist schwer

FDP-Spitzenkandidat Hagen tut sein Bestes, um den paar Wählern, die sich am Infostand als Unentschlossene outen, sein Wahlprogramm schmackhaft zu machen. Er argumentiert geduldig und verfällt nicht in das nervige Politiker-Laster, Menschen minutenlang zuzutexten. Bei einem Volkswirtschafts-Studenten könnte er Erfolg haben: Der 19-jährige hat auf dem Weg zur Wiesn kurz Halt am Schwabinger Markt gemacht. Ihn interessiert, wie es die FDP mit dem gesetzlichen Ladenschluss hält, den er selbst gern abschaffen würde. FDP-Mann Hagen berichtet erfreut, dass die FDP die Ladenschlusszeiten freigeben will. Der Student fragt auch nach der FDP-Position zur Erbschaftssteuer – die ist etwas differenzierter. Er hat sich bereits am Wahl-O-Mat schlau gemacht – heraus kam dabei, dass die FDP am besten zu seinen Überzeugungen passt. Bei der Bundestagswahl, erzählt der junge Mann, „hab ich SPD gewählt“. Ob er jetzt sein Kreuzerl bei der FDP macht? „Weiß ich nicht“, bekennt er. Martin Hagen seufzt: „Am Infostand jemanden zu überzeugen, ist sehr schwer.“

Das gilt auch für einstige FDP-Sympathisanten, von denen einige in Schwabing anzutreffen sind. Die meisten von ihnen sind wütend, weil die FDP nach der Bundestagswahl überraschend die angestrebte Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP platzen ließ. „Ich war so enttäuscht“, bekennt eine 70-jährige Buchhändlerin, die sogar mal Mitglied war bei den Liberalen. Sie wünscht sich „mehr liberale Überzeugungen“ in der Politik. Die CSU ist ihr ein Graus. „Die hab ich noch nie gewählt.“ Und der Dauerstreit zwischen Seehofer und Söder einerseits sowie zwischen Seehofer und Kanzlerin Merkel andererseits hat die Sache nicht besser gemacht: „Es ist furchtbar, wie Seehofer mit Merkel umgeht“, urteilt die Frau. Ebenfalls auf ihrer schwarzen Liste: die Grünen. „Dieses Gutmenschentum nervt mich.“ Vor allem mit Blick auf die Flüchtlingspolitik. „Wenn ich Frau Göring-Eckhardt über Migration reden höre, stehen mir die Haare zu Berge“, zetert die Buchhändlerin über die Grünen-Fraktionschefin im Bundestag.

Tatsächlich vertritt die FDP beim Thema Migration Positionen, die zumindest teilweise kompatibel wären mit denen der CSU. Im Wahlprogramm wird etwa ein „starker Rechtsstaat“ gefordert. Martin Hagen sieht seine Partei beim Thema Zuwanderung „in der Mitte“. Ihm geht es vor allem um die Fachkräftezuwanderung, weshalb er für ein Einwanderungsgesetz plädiert. Das allerdings will die CSU auch – nur eben keinen Spurwechsel abgelehnter Asylsuchender in den Arbeitsmarkt. Die Zuwanderung, sagt Hagen, sei vor allem für die Menschen auf dem Land ein großes Thema. Auch da, wo er lebt. Hagen wohnt mit Frau und Tochter in Rosenheim.

Obwohl er im Oberland lebt, fremdelt Hagen mit der bayerischen Bierzeltkultur. Einziger größerer Bierzelt-Wahlkampfauftritt war der unvermeidliche Gillamoos in Niederbayern, wo sich die Parteien alljährlich zum politischen Schlagabtausch treffen. Sein bevorzugtes Wahlkampfformat ist „FDP at home“: Interessierte Bürger können hier einen FDP-Politiker für einen Abend buchen, ihn zum Essen einladen und befragen. In der Regel sind zehn bis 20 Leute bei diesen Treffen. Ein Riesen-Publikum erreicht Hagen so zwar nicht. Aber immerhin: Die Anwesenden wissen hinterher, wie der liberale Spitzenkandidat aussieht. (Waltraud Taschner)

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