Politik

Fliegen ist einer der größten Klimakiller – aber oft günstiger als Bahn fahren. (Foto: dpa/Julian Stratenschulte)

09.08.2019

Mäßige Flugscham

Politiker werben für umweltfreundliche Verkehrsmittel, nutzen aber selbst noch allzu oft das Flugzeug

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will die Mehrwertsteuer auf Bahntickets reduzieren, um Kurzstreckenflüge überflüssig zu machen. Selber nutzen viele Politiker aber auch bei Inlandsreisen lieber das Flugzeug. Als Söder noch Finanzminister war, charterte das bayerische Kabinett für eine Reise nach Leipzig ein Flugzeug für 33 320 Euro, wie eine Anfrage der Freien Wähler im Jahr 2017 ergab. Antwort des Finanzministeriums: Dies sei das wirtschaftlichste Angebot gewesen. Dabei können alle Abgeordneten bis zur bayerischen Landesgrenze gratis Bahn fahren. Auf Anfrage der Staatszeitung, wie sich das Flugverhalten der Staatsregierung samt Beamten seither entwickelt hat, teile das Finanzministerium mit: Man wisse es nicht.

Der Landtag hat einen besseren Überblick. In der vergangenen Legislaturperiode wurden 314 Dienstreisen von Abgeordneten genehmigt – 68 Prozent davon mit dem Flieger. Seit der Landtagswahl 2018 ist der Anteil der Flugreisen auf nunmehr 44 Prozent gesunken – ein Großteil der Ausschussreisen steht aber erst noch an.

Den Fraktionen liegen keine genauen Zahlen zu den Dienstreisen vor. Die CSU spricht von mehreren hundert pro Jahr. Flugreisen aber würden nur bei dringenden Terminen oder einer deutlichen Zeitersparnis genehmigt. Nur in Ausnahmesituationen fliegen auch die Abgeordneten der Freien Wähler, heißt es vonseiten der Fraktion. Die meisten seien Bahn- oder Autofahrer. Strenger ist die Grünen-Fraktion: Abgeordneten werden Flüge im Inland oder in Nachbarländer grundsätzlich nicht erstattet. Wenn Flugreisen anfallen, wird für Klimaschutzprojekte gespendet. Der FDP-Landesverband prüft derzeit ebenfalls eine CO2-Kompensationsregelung.

Natürlich ist es utopisch, dass Politiker und Beamte künftig wie die Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg nur noch mit einem Segelschiff das Meer überqueren. Aber allzu groß ist der Bahneifer nicht. Das zeigt eine Statistik aus dem Bundestag. Im vergangenen Jahr haben Abgeordnete und Bundesbeamte rund 230 000 Mal das Flugzeug für innerdeutsche Dienstreisen genutzt – über die Hälfte davon allein für die Route von Berlin nach Bonn. Regierungsmitarbeiter nahmen im Schnitt nur bei jeder 33. Dienstreise den Zug.

Laut Gesetz ist die günstigste Dienstreise auch die beste

Der Bund zahlt für jede Dienstreise mit Flugzeug oder Auto einen CO2-Ausgleich – das kostete 2017 rund 1,7 Millionen Euro für 300 000 Tonnen CO2-Ausstoß. Für 2018 dürften die Ausgleichszahlungen noch höher ausfallen, da der Ausstoß um drei Prozent gestiegen ist. Das liegt auch an der Bundesregierung: Laut Bundesreisekostengesetz ist immer noch die günstigste Dienstreise die beste – unabhängig vom CO2-Ausstoß. Unverständlich. Es läge an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), diese Reiserichtlinie schleunigst zu ändern.

Ein nicht geringer Teil der Emissionen geht auch aufs Konto von Bundestagsabgeordneten aus Bayern. Pro Jahr müssen sie für 21 Sitzungswochen nach Berlin. Hinzu kommen parlamentarische Dienstreisen und Termine im gesamten Bundesgebiet. Der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek wirbt daher schon länger dafür, zumindest Gremiumssitzungen durch Videokonferenzen zu ersetzen – mit mäßigem Erfolg. Er selbst fährt fast immer mit der Bahn. Ebenso wie die bayerischen Bundestagsabgeordneten Daniel Föst (FDP), Susanne Ferschl (Linke) oder Peter Boehringer (AfD), Letzterer völlig unabhängig vom „CO2-Schuld-Mythos“, wie er betont. In Berlin selbst steigen sie aufs Radl um.

Aber: Es gibt auch Vielflieger, die dazu stehen. Der Münchner SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post will sich keine „Flugscham“ einreden lassen. Gerade erst löste er mit einem Selfie im Flugzeug nach Berlin einen Shitstorm aus – auch im eigenen Lager. Privat nutze er das Flugzeug nie, seine beruflichen Termine wolle und könne er aber nicht nach dem Bahnfahrplan ausrichten. Post schimpft: „Die, die mich am meisten kritisieren, treffe ich regelmäßig im Flieger nach Berlin.“ (David Lohmann)

Kommentare (1)

  1. D. G. am 14.08.2019
    Ein Politiker schämt sich aus Prinzip für nichts!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.